Keine Zeitung, nur Tiktok

Christoph Ruf versucht zu verstehen, warum gerade junge Menschen nach rechts tendieren

Jugendliche, generell Menschen unter 30, lesen keine Zeitung mehr. Das ist nicht neu. Neu ist aber, dass viele von ihnen das mit einem Unterton in der Stimme verkünden, als wäre schon die Frage nach dem Medienkonsum lächerlich. Wer Zeitung liest – so offenbar das Image – füllt auch Bank-Überweisungen auf Papier aus und fährt mit dem Hochrad zur Arbeit. Mich ärgert dieser Dünkel ein wenig, und manchmal stellt der Spießer in mir dann Fragen: Wer ist Außenministerin? Echt nicht? Wer Finanzminister? Auch nicht? Für welche Partei kandidiert Trump? Oh, auch nicht. Fasst du dir mal an die Nase? Oh, das klappt. Das Problem daran, dass Jugendliche keine Zeitung mehr lesen, scheint also vor allem, dass sie auch sonst nichts lesen.

Das ist traurig. Zumal ich fürchte, dass es da einen Zusammenhang zu den Prognosen für die kommenden Wahlen gibt, nach denen die AfD bei Jungwählern und Erstwählerinnen noch mal besser abschneidet als im Rest der Gesellschaft. Ich habe in den letzten Wochen ein bisschen recherchiert zum Thema, bin deswegen auch viel herumgereist, um zu verstehen, warum gerade junge Menschen nach rechts tendieren. Das hat zum einen mit der Wahrnehmung von »links« als einer Autorität zu tun, die sich oft nicht mehr hinterfragt, mit Verboten und Tabus arbeitet und Probleme, die nicht ins Weltbild passen, negiert. Doch wahlentscheidend ist das nur am Rande.

Christoph Ruf

Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet hier politische und sportliche Begebenheiten.

Wahlentscheidend, und das hörte ich überall, wo ich war, sind zwei andere Dinge: Zum einen die politische Bildung, wie sie Eltern und Schule vermitteln könnten, was leider millionenfach unterbleibt. Und der Medienkonsum. Denn der ist zunehmend totalitär. Ohne »Insta« kommt kaum jemand aus, ohne das Schwachsinnsmedium Tiktok viel zu wenige. Doch bei knapp 20 Millionen Userinnen und Usern pro Monat kommt eine gehörige Zahl zusammen, die das Einzige, was man mit viel gutem Willen als »Politik« bezeichnen kann, daraus ziehen.

Die AfD hat auf Tiktok weit mehr Zulauf als alle anderen Parteien zusammen. Selbst linke Jugendliche behaupten, das liege auch daran, dass FDP, Union, SPD und Grüne das Medium nicht begriffen hätten. Was eine schwere Unterlassungssünde ist, wenn man von sich behauptet, alles tun zu wollen, um den weiteren Durchmarsch von Rechtsaußen zu verhindern. Enorme Zugriffszahlen haben die Beiträge des AfD-Europa-Spitzenkandidaten Maximilian Krah. Vieles davon ist bis in die tiefsten Verästelungen der Wortwahl NPD-und Neonazi-Propaganda. Sollte es wirklich noch AfD-Funktionäre geben, die nur irgendwie arg konservativ, nicht aber rechtsradikal oder schlimmer drauf sind, müssten sie sofort austreten, nachdem sie das gehört haben.

Früh kommen dann die Algorithmen ins Spiel. Wer einmal vom Thema »Ausländerkriminalität« getriggert ist, bekommt jeden Tag so viel Real- und vor allem Fake-News zur Causa aufs Handy, dass er so endet wie die Mehrheit der Schüler einer achten Klasse in Sachsen, über die mir eine Klassenkameradin erzählte, dass die allen Ernstes glaubten, »alle Ausländer« seien »kriminell«. Und wenn sie »alle« sage, meine sie auch »alle«. Das zu glauben, ist allerdings gar nicht so schwer. Es genügt, sich das Video »Migration« von Krah anzuschauen. Und vorher in seinem Leben noch nie in eine Zeitung geschaut zu haben.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -