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Total Eclipse of the (He)art
In Texas hätte eine Begegnung mit Dirk Nowitzki die Sonnenfinsternis in den Schatten stellen können
Howdy aus Texas, liebe Lesende,
wetten, ich habe mehr mit Dirk Nowitzki gemein als Sie? Es sei denn, Sie sind ein Basketballprofi in den USA. In dem Falle: Glückwunsch! Aber zurück zu mir. Dirk und ich sind Deutsche in Dallas. Wir haben beide mit der Kunstwelt zu tun: Ich theoretisch, er praktisch – als Kunstsammler und als Ehemann von Jessica Nowitzki, die mal eine Galerie in Dallas leitete. Und zwar nicht irgendeine, sondern die von George Michael und seinem Ex Kenny Goss. Nowitzkis Kinder gingen gar einst auf die deutsche Schule meiner Tochter (Mädels von der GISD, wenn ihr das lest, danke für alles!). Und da hätten die Parallelen enden können, hätte ich mich letztens nicht auch noch auf demselben Event wie der Basketballstar getummelt: Ich sah Dirk auf der Dallas Art Fair letzte Woche. Und was tut man, wenn man sich in der Nähe eines der besten deutschen Sportler befindet? Man macht nervös ein wackeliges Foto und schickt es rum, was sonst?
Dann ist mir noch ein anderer großer Deutscher im Rahmen der Kunstmesse begegnet. Gerhard Richter, oder besser gesagt seine gigantischen »48 Portraits«, die auf einer neuen Ausstellung des Dallas Museum of Art gezeigt wurden, die gleichzeitig mit der Kunstmesse eröffnete. Überhaupt schien letzte Woche die ganze Stadt im Kunstfieber zu sein: Partys in Galerien, Künstlergespräche in Museen, »immersive Pop-ups« auf öffentlichen Plätzen …
News aus Fernwest: Jana Talke lebt in Texas und schreibt über amerikanische und amerikanisierte Lebensart.
Die Metropolregion Dallas Fort Worth wächst unaufhaltsam, seit 2010 ist die Zahl ihrer Bewohner um eine ganze Million gestiegen. Den Appetit auf kulturelle Vielfalt haben nicht nur die vielen New Yorker und Kalifornier mitgebracht, die in den letzten Jahren in Scharen hierherzogen (leider vergaßen sie, ihre gastronomische Vielfalt mitzubringen). Es ist seit jeher auch eine texanische Tugend, teure Kunst aufzukaufen. So zählt die Dallas-Kunstmesse in ihrem 16. Jahr ganze 91 amerikanische und internationale Aussteller. Wie auf allen Kunstmessen dieser Welt war trotzdem vieles Dargebotene unterirdisch schlecht, das meiste überteuert und nur weniges wirklich herausragend.
Da aber der US-amerikanische Kunstmarkt den Ton angibt und stets auch die deutschen Geschmäcker beeinflusst, kommt hier eine kleine Kunstwelt-Prognose: Abstraktion ist out, Künstlerinnen und die weibliche Perspektive sind gefragter als je zuvor, Werke von POC (People of Color) boomen, und die Themen Migration, Umweltverschmutzung und Politikkritik stehen nach wie vor hoch im Kurs (wenn schon nicht in der Politik selbst, dann doch wenigstens in der Kunst). Die Preise sind steil, der Lallier schmeckt um jede Uhrzeit, Messebesucher sollten sich so auffällig wie möglich kostümieren, und witzige kleine Hunde gehören in Buggys.
Auf die Kunstwoche folgte gleich die nächste Attraktion: die Sonnenfinsternis, die am 8. April ausgerechnet in Dallas besonders gut zu sehen sein sollte. Auch hier wurden viele Events veranstaltet, spezielle Eclipse-Drinks verkauft, Public-Viewing-Partys organisiert und gar Verschwörungstheorien darüber verbreitet, dass man nichts während der Sonnenfinsternis essen dürfe aufgrund »schädlicher« Strahlung.
Dann kam der Schock: Ein paar Tage von dem Naturspektakel sagten Experten, die Sonnenfinsternis würde wegen des schlechten Wetters keine totale werden. Bis kurz vor der Eklipse blieben wir nervös, doch der Himmel klärte sich glücklicherweise zur richtigen Zeit auf, und die Finsternis konnte in ihrer vollen Pracht betrachtet werden. Sie zu erleben kam dem Gefühl sehr nah, das man empfindet, wenn die Lieblingsmannschaft gewinnt (zumindest im Falle meines Mannes) oder wenn man vor einem Kunstwerk steht, das man sein Leben lang sehen wollte (wie in meinem Fall vor dem »Abendmahl« in Mailand).
Und was macht man, wenn man diesem unvergesslichen Naturschauspiel ins Auge blickt? Man macht ein wackeliges Video und stellt es online, was sonst!
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