Kitas in Berlin: Aus Notstand wird Arbeitskampf

Berlins Kitabeschäftigte wollen Tarifvertrag für Entlastung notfalls erzwingen

Es dürfte für Verdi eines der größten und wichtigsten Tarifvorhaben in der nahen Zukunft sein: Einen »Tarifvertrag pädagogische Qualität und Entlastung« will die Gewerkschaft für die 7000 Beschäftigten der 282 landeseigenen Kitabetriebe erreichen. Ein erfolgreicher Abschluss könnte zum Pionierwerk für Beschäftigte in weiteren Bundesländern und von freien Trägern werden.

Ziel ist es, den Personalmangel einzudämmen. Dafür will Verdi eine neue Berechnung für die notwendige Personalausstattung durchsetzen. Das Ergebnis wäre dann, dass mehr Personal eingesetzt werden müsste. Sollten sich Beschäftigte in den Einrichtungen mit einer Unterschreitung der Fachkraft-Kind-Relation konfrontiert sehen, sollen Ausgleichsmaßnahmen – vorzugsweise in Form von Freizeit – greifen. Das werde einerseits die Arbeit für neue Kolleg*innen attraktiver machen, die stehende Belegschaft beisammen halten und die Arbeitgeber bewegen, die Personaldecke zu verdichten.

»Die Kluft zwischen dem, was ist, und dem, was soll, ist nahezu unüberwindbar geworden«, sagt Anne Lembcke, pädagogische Fachkraft der Kindergärten Nordost. Von den Säulen Bildung, Betreuung und Erziehung bleibe am Ende des Tages oft nur noch die Betreuung übrig, sagt Lembcke, die auch Mitglied der Tarifkommission ist. Kitas würden so zu reinen Aufbewahrungsstätten. »Mittlerweile kann aber selbst die reine Betreuung nicht mehr gewährleistet werden.« Die Schließung von Gruppen und ganzen Einrichtungen sei zum Alltag geworden.

»Grundsätzlich sind die angebotenen Plätze bei den Kita-Eigenbetrieben mit dem nach Paragraf 11 Kindertagesförderungsgesetz (KitaFöG) erforderlichen Personal unterfüttert«, antwortet der Senat auf eine Anfrage aus den Fraktionen von Grünen und Die Linke im Abgeordnetenhaus. Eine Fachkraft dürfte demnach nach vereinfachter Berechnung von Verdi in einem Kindergarten maximal 7,9 Kinder zu betreuen haben. »Was nützt es mir, wenn die Situation auf dem Papier gut ist«, stellt Erzieherin Lembcke fest. »Ich will nicht einfach nur über den Tag kommen.«

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Der gegenwärtigen Personalbemessung liegt der im genannten Gesetz festgelegte Personalschlüssel zugrunde. Laut Verdi ist diese Methode aber viel zu statisch und spiegelt nicht die alltägliche Realität wider. Entscheidend ist demnach vielmehr, die Fachkraft-Kind-Relation vor Ort jederzeit zu erheben und zu gewährleisten. In einer eigenen Erhebung von Verdi aus dem Jahr 2021 gaben lediglich 16 Prozent der Beschäftigten an, dass ihre zu betreuende Gruppe die gesetzlich festgelegte Größe nicht überschritt. Knapp zwei Drittel hätten mit 13 oder mehr Kindern zu tun gehabt. Ursächlich für die Schere zwischen abgedecktem Personalschlüssel auf dem Papier und der Realität in den Einrichtungen sei, dass Faktoren, die dazu führen, dass die Fachkräfte nicht tatsächlich mit den Kindern arbeiten können, in dem Personalschlüssel nicht berücksichtigt sind. Laut Verdi zählen dazu: Urlaub, Krankheit, Fortbildungen und die zuletzt gestiegenen Anteile mittelbarer pädagogischer Arbeit. Zu diesen Tätigkeiten gehören Dienstbesprechungen, Dokumentationen, die Anleitung von Praktikant*innen, Elterngespräche und Konzeptentwicklungen. Verdi fordert zudem, dass Auszubildende bei der Erhebung der Personaldichte, ausgespart werden sollten.

Ob ein Arbeitskampf in den öffentlichen Kitabetrieben erfolgreich ist, hängt vielfach von der gesellschaftlichen Stimmung ab, die derlei Auseinandersetzung mittragen muss. Ein Streik in Landesbetrieben richtet anders als in der Privatwirtschaft keinen Schaden an, sondern spart dem Arbeitgeber die Personalkosten, die die Gewerkschaften dann per Streikgeld kompensieren. Ist die Kita Austragungsort für Arbeitskämpfe, kommt es vor allem darauf an, inwieweit und wie lange die betroffenen Eltern das Anliegen der Erzieher*innen nicht nur stützen, sondern auch deren Arbeit ersetzen.

In Berlin unterstützen Eltern von Beginn an die Verdi-Kampagne. Die Initiative Einhorn sucht Bildung hat schon in der Vergangenheit auf die Überlastung des Kitapersonals und darauf, wie sich diese auf die Kinder und Eltern niederschlägt, hingewiesen. Mascha Krüger, Gesamtelternvertreterin der Kitas Nordost, berichtet davon: Ihr Sohn sei im Dezember lediglich vier Tage in der Kita gewesen. »Die Kitas sind für Eltern kein verlässlicher Partner mehr.« Täglich schauten sie auf E-Mails und Telegram mit dem Gedanken: »Hoffentlich hat die Einrichtung wenigstens zwei Stunden geöffnet.« Langfristige Planungen seien für Eltern nicht mehr drin.

Es müssten zwar noch viele Eltern für die Belange der Kampagne gewonnen werden, im Grunde werde ein potenzieller Streik an der Situation der Eltern nichts ändern, »weil es schon jetzt so extrem ist«, sagt Krüger. Verdi habe dem Land Berlin bereits die Forderungen samt Terminvorschlägen für Verhandlungen übergeben. Man erwarte einen baldigen Abschluss am Verhandlungstisch. Ein solcher liege durchaus in der Kompetenz des Landes.

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