Universelles Gegengift gesucht

Neue Antikörper könnten Zehntausende Todesfälle durch Schlangenbisse verhindern

Wird in Deutschland ein Mensch von einer Giftschlange gebissen, wird das sogar überregional berichtet. Heimische Arten scheint das kaum zu betreffen. Am bekanntesten dürfte hierzulande die Kreuzotter sein. Aber seit 1960 ist in Deutschland nur ein Todesfall nach dem Biss eines solchen Tieres bekannt. 2004 starb eine 81-Jährige auf der Insel Rügen in diesem Zusammenhang, aber es handelte sich nicht um eine Vergiftung im engeren Sinne, sondern um eine allergische Reaktion. Dazu neigen manche Menschen auch nach Wespenstichen.

Neben der Kreuzotter ist die zweite einheimische Giftschlange die Aspisviper, die aber nur im Südschwarzwald vorkommt. Laut älteren Zahlen werden in Baden-Württemberg pro Jahr etwa 30 Menschen von Schlangen gebissen, wobei diese Unfälle meist schnell versorgt werden und glimpflich ausgehen. Immer wieder kommt es auch in Deutschland zu Bissen exotischer Schlangen, betroffen sind private Halter und seltener Profis aus Zoos oder Tierhandlungen.

Ganz anders sieht das in Lateinamerika, Asien, Afrika und Australien aus. Jährlich wird mit etwa 100 000 Todesfällen durch Bisse von Giftschlangen gerechnet. Attackiert werden nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) pro Jahr mehr als fünf Millionen Menschen. Bei bis zu 2,7 Millionen wird von Vergiftungen ausgegangen. Auf einen Todesfall kommen drei Fälle, bei denen die Opfer mit Amputationen und anderen dauerhaften Beeinträchtigungen überleben.

Hilfe gegen das Gift (auch: Venom) der Schlangen bilden traditionell Gegengifte. Dafür werden Pferde, Rinder oder Schafe mit der Gabe von geringen Dosen des Schlangengifts immunisiert. Die Tiere bilden Antikörper, die dann aus ihrem Blut isoliert werden. Das gereinigte Plasma dient als Gegengift. Die enthaltenen Antikörper neutralisieren die giftigen Substanzen. 1894 gelang dem französischen Immunologen Albert Calmette erstmals die Herstellung eines Antivenoms gegen das Gift der Indischen Kobra.

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Die Antivenine sind teuer und haben Nebenwirkungen. Hinzu kommt, dass sie jeweils nur gegen das Gift einer spezifischen Art wirken. Das ist fatal, wenn die angreifende Schlange nicht identifiziert werden kann. Da auch die Gegengifte von Tieren stammen, können die fremden Antikörper schwere Immunreaktionen auslösen.

Weltweit mangelt es an Gegengiften. Vor allem in entlegenen Gebieten sind sie schwer zu beschaffen, und besonders im ländlichen Raum fehlen entsprechend ausgestattete Kliniken. Oft scheitert die Versorgung auch daran, dass einfach die Transportwege schlecht ausgebaut sind.

Insofern ist die Erforschung universeller Gegengifte von großer Bedeutung für viele Staaten. Neue Möglichkeiten eröffnet die Studie des Immunologen Joseph Jardine vom Scripps Research Institut in La Jolla (USA). Hier wurden im Labor gezüchtete Antikörper aus menschlichen Zelllinien gewonnen. Der Einsatz von Tieren war nicht nötig. Jedoch ist es nach wie vor schwierig, ganze Unterfamilien von Toxinen mit nur einem Antikörper zu neutralisieren – laut Experten aber nicht unmöglich.

Einen kleinen Vorteil haben die Menschen als Schlangen-Opfer: Das Gift dieser Kriechtiere ist gegen bestimmte Beutetiere gerichtet, darunter auch Säugetiere, aber nicht spezifisch gegen den Menschen. Viele Bestandteile sind für uns nicht tödlich. Die für Menschen schädlichen Teile können zu Gruppen zusammengefasst werden, die als Ziel für breiter wirkende Antikörper dienen. In der erwähnten Studie geht es um eine Klasse von Giftproteinen, 95Mat5 – auch Dreifinger-Toxine genannt. Sie greifen das Nervensystem an und kommen in Schlangen der Familie der Elapiden (Giftnattern) vor, mit 380 Arten nach den Nattern die größte Schlangenfamilie. Dazu zählen Kobras, Mambas oder Korallenschlangen.

In der Jardine-Studie wurde der neue Antikörper an Mäusen getestet, denen zuvor Toxine verschiedener Schlangenarten injiziert worden waren. Die Mäuse überlebten und erlitten keine Lähmungen. Die Forscher stellten fast, dass der 95Mat5-Antikörper den zellulären Rezeptor nachahmt, an dem die Dreifinger-Toxine sonst binden. »Wie ein Schwamm« hätten die Antikörper die Toxine angezogen, weg von körpereigenen Rezeptoren. Insofern könnte die Struktur von Rezeptoren der Schlüssel dafür sein, neue Gegengifte zu entwickeln. Solche und ähnliche Forschungsansätze werden erst seit etwa zehn Jahren verfolgt.

Unklar ist, ob ein einziger Wirkstoff-Cocktail vor allen medizinisch bedeutsamen Schlangen weltweit schützen könnte. Manche Forscher halten das für überflüssig und plädieren eher für regionale Cocktails. Gegen eine große Mischung spricht auch, dass diese mit jedem Antikörper stärker verdünnt wird, also am Ende die Dosis erhöht werden müsste, um eine Wirkung zu erzielen.

Laut Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin gibt es noch ein Problem beim Einsatz der Gegengifte: Ihr hoher Preis führt dazu, dass billigere, weniger wirksame und teils gefälschte Gegenmittel eingesetzt werden. Deren Versagen wiederum senkt das Vertrauen in Gegengifte allgemein; die Menschen gingen dann zu traditionellen Heilern. Die sinkende Nachfrage für Antivenome treibe deren Preise weiter in die Höhe.

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