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Bewegung in Ungarn, Stillstand in Deutschland
Die im Antifa-Verfahren in Budapest angeklagte Ilaria Salis darf in den Hausarrest
Das Berufungsgericht in Budapest hat vergangene Woche entschieden, dass die in der ungarischen Hauptstadt inhaftierte italienische Linksaktivistin Ilaria Salis aus der Untersuchungshaft in den Hausarrest entlassen werden kann und hierfür eine Kaution von umgerechnet 41 000 Euro festgesetzt. Die Maßnahme soll durch eine elektronische Fußfessel überwacht werden.
Die Staatsanwaltschaft wirft Salis und einer mitangeklagten Deutschen vor, im Februar 2023 mit anderen Beteiligten beim »Tag der Ehre« in Budapest mehrere Rechtsextremisten angegriffen und verletzt zu haben. Ihr drohen dafür bis zu elf Jahren Haft, der Deutschen bis zu dreieinhalb Jahren. Der ebenfalls aus Deutschland stammende Tobias E. hat Ende Februar den Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zugegeben und kam deshalb in einem Vorverfahren mit zunächst drei Jahren Haft davon.
Mit der Erlaubnis des Hausarrests für Ilaria Salis kommt Ungarns Justiz Italien entgegen. Dort hatten die Haftbedingungen und der Prozess gegen die Lehrerin für diplomatische Verstimmung gesorgt, nachdem die bekennende Antifaschistin zum Prozessauftakt im Januar und abermals im Mai an Händen und Füßen gefesselt dem Gericht vorgeführt wurde. Während ihrer 15-monatigen Haft hatte Salis massive Kritik an den menschenunwürdigen Bedingungen im Gefängnis geübt. Deshalb entschied Italiens Generalstaatsanwaltschaft, der von Ungarn in der gleichen Sache geforderten Auslieferung des Linksaktivisten Gabriele Marchesi nicht zuzustimmen.
Entscheidung kommt Italien entgegen
Die Hafterleichterung für die Italienierin könnte auch Auswirkungen auf zwei Deutsche haben, denen im Zusammenhang mit dem »Tag der Ehre« aus Sachsen und Bayern die Auslieferung nach Ungarn droht. In der ersten Maiwoche hatte die Bundesanwaltschaft in Nürnberg dazu die 29-jährige Aktivistin Hanna S. festnehmen lassen. Über ihr Auslieferungsverfahren ist derzeit noch nichts bekannt.
Beim Kammergericht Berlin ist ein solches Verfahren jedoch gegen Maja T. anhängig, der seit Dezember in Dresden in Untersuchungshaft sitzt. Ein Haftbefehl zur Auslieferung wurde bereits verhängt, der Generalbundesanwalt in Karlsruhe wäre damit einverstanden. Bei der deutschen Bundesanwaltschaft wird gegen Maja T. parallel wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung nach Paragraf 129 Strafgesetzbuch und wegen verschiedener Körperverletzungshandlungen ermittelt. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um identische Vorwürfe wie in dem ungarischen Verfahren.
Die anfangs für Maja T. zuständige Generalstaatsanwaltschaft in Dresden hatte hinsichtlich von neun weiteren von Ungarn gesuchten deutschen Staatsangehörigen erklärt, einer Auslieferung könne widersprochen werden, wenn sich die Untergetauchten einem hiesigen Verfahren stellen würden und ein Geständnis abgeben würden.
Anwälte gegen »Aussageerpressung«
An diese Möglichkeit erinnern nun vier Zusammenschlüsse deutscher Strafverteidiger in einer am Freitag veröffentlichten Erklärung. Ein rechtsstaatliches Verfahren in Deutschland solle aber »nicht an die Bedingung einer Aussageerpressung geknüpft« werden, so die Anwälte, denn zu den Rechten von Beschuldigten gehöre auch die Freiheit, keine Aussagen machen zu wollen.
Maja T. ist eine non-binäre Person, deshalb drohen ihm in Ungarn zusätzlich erschwerte Haftbedingungen. Auch daran erinnern die Strafverteidiger in ihrer Erklärung und fordern, Maja T. nicht auszuliefern. Ähnlich hatte dies auch das Kammergericht Berlin in dem Auslieferungsverfahren in einem Schriftsatz beschrieben, wonach die Politik der ungarischen Regierung als »gender-, homo- und transfeindlich bezeichnet werden muss«.
Wann Ilaria Salis ihren Hausarrest in Budapest antritt, ist noch offen. Dort wird sie sich dem Europawahlkampf widmen, nachdem die Allianz der italienischen Grünen und der Linken Salis als Spitzenkandidatin im Bezirk Nordwestitalien auf ihren Listen nominiert hat. Würde sie in der zweiten Juniwoche tatsächlich gewählt, könnte Salis von ihrer parlamentarischen Immunität profitieren. Ungarns Justiz könnte jedoch beantragen, diese Immunität aufheben lassen.
Unterstützung des Ko-Vorsitzenden der linken EU-Fraktion
Am Dienstag hat auch der Ko-Vorsitzende der Fraktion Die Linke im Europäischen Parlament Martin Schirdewan in einer Pressekonferenz auf den Prozess in Budapest aufmerksam gemacht. Die drohende Auslieferung deutscher Antifaschisten nannte Schirdewan »erschütternd«. Das Vorgehen Ungarns sei »völlig unverhältnismäßig«, deutsche Behörden agierten als »willige Vollstrecker«. Den Versuch, mit dem Angebot eines Verfahrens in Deutschland Informationen zu erpressen, bezeichnete Schirdewan als eines Rechtsstaates unwürdig.
In der Pressekonferenz kam auch Birgit Wittkugel, die Mutter einer gesuchten Deutschen, zu Wort. Sie und ihre 87-jährige Mutter seien vom Verfassungsschutz als mögliche Informatinnen angesprochen worden, berichtete Wittkugel. Die Untergetauchten würden durch die drohende Auslieferung gezwungen, ihr Studium abzubrechen und riskierten auch gesundheitliche Probleme, wenn aus Furcht vor einer Verhaftung auf Arztbesuche verzichtet werde. Deshalb forderte Wittkugel zusammen mit anderen Eltern ein rechtsstaatliches Verfahren in Deutschland statt in Ungarn.
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