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»Sie hat sich regelrecht auf die Leinwand gestülpt«
Ein Gespräch mit Anja Salomonowitz, die mit »Mit einem Tiger schlafen« ein filmisches Porträt der Künstlerin Maria Lassnig geschaffen hat
Was ist das Besondere an Maria Lassnigs Kunst und wie ist Ihr persönlicher Zugang dazu?
Ich kenne die Bilder von Maria Lassnig schon sehr lange und finde sie sehr inspirierend. Ich mag den innerlichen Ausdruck dieser Werke und ihre Farben, mit denen sich jeweils etwas Spezifisches verbindet. Es gibt bei ihr zum Beispiel Krebsangst-, Schmerz- und Qualfarben. Ich fand die Farbtöne immer toll in ihrer Grellheit und in ihrer Ausdruckskraft: Das Rosa, das Gelb, das Lila, das Türkis!
Anja Salomonowitz, 1976 in Wien geboren, hat Film ebendort und in Berlin studiert. Vor »Mit einem Tiger schlafen« hat sie bereits fünf Dokumentarfilme und einen Spielfilm gedreht, für die sie verschiedentlich ausgezeichnet wurde. Aktuell arbeitet sie an einem Film über die ukrainische Aktivistin Inna Schewtschenko, prominente Gründerin der feministischen Gruppe Femen.
In ihren Tagebüchern hat sich Maria Lassnig intensiv damit auseinandergesetzt, welches Gefühl sie mit welcher Farbe übersetzen kann. Wie funktioniert das?
Bei den Kinovorstellungen in Österreich habe ich mit dem Publikum eine Übung mit dem Namen »Schmerzsessel« gemacht – die Leute sollten dem Gefühl von ihrem Hintern im Sessel eine Farbe zuordnen. Lassnig hat das auch einmal gemacht. Sie fragte sich auch, was an dieser Grenze zwischen den beiden, Sessel und Hintern, passiert und wie sich das anfühlt.
In Ihrem Film verkörpert Birgit Minichmayr Maria Lassnig in allen Altersstufen, und es gibt jeweils bestimmte Altersmerkmale: die Brille, den Tigerpelzmantel oder in hohem Alter ihre gebückte Haltung. Warum haben Sie sich für diese Art der gleichsam alterslosen Darstellung entschieden?
Ich habe nach einer filmischen Übersetzung für Maria Lassnigs Gefühlszustand gesucht. Der Film ist ein Seelenporträt und ein Pendant zu dem, was sie sagt und fühlt. Wenn sie malte, hat sie in sich hineingespürt und den Ort gesucht, wo Ideen liegen. Ideen, an die man sich nachher vielleicht gar nicht mehr erinnern kann, von denen man nicht weiß, wo sie herkamen und für die es gar nicht wichtig ist, wo man gerade sitzt und welcher Tag gerade ist. Diesen Moment wollte sie jeden Tag erwischen. In einer Filmszene verschwimmt Maria Lassnig mit der Farbe und taucht in ihre Bilder ein. Sie hat sich in ihren Bildern regelrecht auf die Leinwand gestülpt.
Es sind im Film auch Zeitzeugen und dokumentarische Einstreuungen zu sehen. Wie haben Sie mit Menschen aus Maria Lassnigs Umfeld gearbeitet?
Für diesen Film habe ich sehr viel recherchiert und sehr viele Menschen interviewt. Ich hatte kurz überlegt, einen Dokumentarfilm daraus zu machen, weil ich mit so vielen tollen Menschen gesprochen habe, die im Kunstbetrieb arbeiten, aber ich bin dann bei der erzählerischen Form geblieben. Letztlich habe ich Teile aus den Interviews oder Inhalte destilliert als Szenen wiedergegeben. Einige der Darsteller*innen sind Laiendarsteller*innen, manche spielen sich auch selbst. Elfie Semotan zum Beispiel war eine von den Menschen, die ich interviewt habe. Sie hat mir von dem Fotoshooting erzählt, das sie einmal mit Maria Lassnig gemacht und das wir für den Film inszeniert haben. Ich dachte dann: Warum soll ich das jetzt jemand anderen spielen lassen und nicht sie selbst? Oder Diethard Leopold, Kurator und Sohn des Kunstsammlers Rudolf Leopold: Der spielt im Film einen Museumsdirektor, weil ich ihn mir einfach immer bei einer bestimmten Szene vorgestellt habe.
Johanna Orsini, die Lassnigs sadistische Mutter spielt, war als Kind selbst in einem Film von Maria Lassnig; Maria Nicolini, im Film die analphabetische Großmutter, hat früher im Haus gegenüber von Lassnig gewohnt und auch über Maria Lassnig geschrieben. Sie hatte vorher keinerlei Schauspielerfahrung. Diese Besetzungen geben dem Film eine weitere Dimension.
Maria Lassnig hat für mich etwas Eremitisches. Sie war ab 1980 jedes Jahr vier Monate lang völlig abgeschieden in ihrem Atelier in Feistritz. Es gibt neben ihrem Haus nur zwei andere Häuser, eines stand zu Lassnigs Lebzeiten leer und mit der unmittelbaren Nachbarin hatte sie sich zerstritten. Das nächste Dorf war eine Dreiviertelstunde entfernt. Ich denke, ihr war diese Abgeschiedenheit auch angenehm. Sie konnte sich zwar auf einen Menschen gut einlassen, aber mehrere waren schwierig für sie. Wenn ich jetzt die grandios sinnliche und körperlich-intensive Schauspielerin Birgit Minichmayr mit Laiendarsteller*innen konfrontiere, die immer auch etwas Normales behalten, verstärke ich diesen Graben zwischen dieser eremitischen Malerin und der »normalen Welt«.
Der Film wurde im Originalatelier von Lassnig in Feistritz (Kärnten) gedreht. Wie war Ihr Eindruck, als Sie dort das erste Mal waren?
Das war ein ganz ehrfürchtiger Moment. Es hat immer etwas, sagen wir, Gewaltvolles, dass die Zahnbürste noch dort liegt, aber der Mensch nicht mehr da ist. Das Atelier war so, wie Maria Lassnig es zurückgelassen hat. Es war ursprünglich eine Volksschule, deswegen waren da auch kleine Kindersessel und kleine Tische, die sie auch benutzt hat, ihre Pinsel lagen rum, ihre Gurkengläser und ihr Terpentin standen rum und ihre Kleidung war noch in einem Kasten. In einem Spind standen ihre Jogging-Schuhe, deren Sohle langsam zerbröselte. Für den Film haben wir nur Kleinigkeiten verändert, aber das Dach mussten wir mit visuellen Effekten rekonstruieren. Es war schon ausgebessert worden, weil es morsch gewesen war.
In einer Szene erwähnt Maria Lassnig, dass sie nur an der Akademie unterrichten möchte, wenn ihr das Gleiche gezahlt wird wie Joseph Beuys. Ein andermal sagt sie zu ihrem Lebensgefährten Arnulf Rainer: »Eine Frau muss dreimal so viel schuften, wie ein Mann. Nur weil sie eine Frau ist.« Für Maria Lassnig war die Männerwelt in der Kunst also durchaus ein Thema.
Ihr Leben war bestimmt vom Ringen um Anerkennung in der männlichen Kunstwelt. In den 50er Jahren beispielsweise war der zentrale Ort der Wiener Szene die Galerie von Otto Mauer, wo Lassnigs Kollegen Markus Prachensky, Josef Mik oder auch Arnulf Rainer sehr gefördert wurden. Die zehn Jahre ältere Maria Lassnig nicht. In einer Filmszene sagt jemand in der Galerie zu ihr: »Gell, du bist die Freundin vom Rainer.« Als sie endlich ihre erste Ausstellung in der Galerie bekam, hat sie sich auf einem Foto einen Bart über die Lippen gemalt. Lassnigs Biografie ist die Geschichte einer Selbstermächtigung. Dabei stelle ich im Film überhaupt keinen Anspruch auf irgendeine Art von Vollständigkeit und gehe auch nicht chronologisch vor.
Warum haben Sie den Film nach dem Bild »Mit einem Tiger schlafen« von Maria Lassnig benannt?
»Mit einem Tiger schlafen« bedeutet für mich, dass man sich mit etwas anlegt, das größer ist als man selbst. Dass man mit der Welt rauft. Das kann eine äußere Welt sein – sie hat sich ja mit vielen Leuten angelegt –, oder eine innere Welt, in der sie mit sich selbst kämpft. Das hat sie ja auch getan. Vielleicht ist sie auch selbst der Tiger.
»Mit einem Tiger schlafen«, Österreich 2024. Regie und Drehbuch: Anja Salomonowitz. Mit: Birgit Minichmayr, Oskar Haag, Johanna Orsini, Lukas Watzl. 107 Min. Jetzt im Kino.
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