Missverständnisse am Krankenbett

Mit Empathie für ihre Patienten können Ärzte verhindern, dass Informationen verloren gehen

  • Angela Stoll
  • Lesedauer: 6 Min.

»Trinken Sie Alkohol?«, fragt der Arzt die Patientin wegen ihrer schlechten Leberwerte. »Ja, ich trinke schon mal was«, antwortet die alte Dame unschuldig. Später staunt sie nicht schlecht, als in einem Arztbrief von »Alkoholabusus« die Rede ist. Wie konnte ihr eine gelegentliche Weinschorle als Alkoholmissbrauch ausgelegt werden? Die Frau berichtet amüsiert von dem Vorfall, der zum Glück keine negativen Folgen für sie hatte. Doch können Missverständnisse wie diese weitreichende Konsequenzen haben, indem zum Beispiel eine falsche Therapie verordnet wird.

Der Internist Jobst-Hendrik Schultz, Experte für Arzt-Patienten-Kommunikation am Uniklinikum Heidelberg, kennt solche Gefahren. »In dem Fall hätte man spezifischer nachfragen sollen, etwa: ›Was genau trinken Sie gerne? Wie oft machen Sie das denn?‹« Durch ein kleines Gespräch, das nicht nach einem Verhör klingen sollte, hätte der Mediziner leicht in Erfahrung bringen können, ob seine Patientin wirklich zu viel Alkohol konsumiert.

Schon dieses Beispiel macht klar, dass in der Kommunikation zwischen Arzt/Ärztin und Patient/Patientin viel schiefgehen kann. Seit einigen Jahren wird dem Thema mehr Raum gegeben. Inzwischen gehört Kommunikationslehre zur Ausbildung angehender Mediziner. »Der Bereich hat sich in den vergangenen zehn Jahren enorm entwickelt«, berichtet Schultz, der Kommunikationstrainingseinheiten an der Uni Heidelberg leitet, um Medizin-Studierende auf typische Gesprächssituationen vorzubereiten. Dazu schlüpfen Schauspieler, meist Laiendarsteller, in die Rolle von Patienten, und angehende Mediziner versuchen sich als Ärzte, die etwa eine schwierige Diagnose erklären müssen.

Dennoch berichten viele Patienten nach wie vor von negativen Erfahrungen, die sie im Austausch mit ihren Behandlern machen. So kommen der Münchner Patientenberaterin Carola Sraier häufig Beschwerden über verletzende Bemerkungen zu Ohren. »Manche fühlen sich regelrecht abgewatscht. Das kann zur Folge haben, dass sie gar nicht mehr zum Arzt gehen.« So wurde einem jungen Mann mit schweren chronischen Atemproblemen zum Beispiel lapidar gesagt: »Nun stellen Sie sich mal nicht so an!«

Tatsächlich mangele es Medizinern manchmal an Verständnis für ihre Patienten, sagt auch Schultz. »Empathie ist ganz wichtig und oft noch entwicklungsbedürftig – aus welchen Gründen auch immer.« Sie spielt gerade deshalb eine so entscheidende Rolle, da Kommunikation zwischen Arzt und Patient ein Austausch zwischen ungleichen Partnern ist. Patienten befinden sich nämlich oft in einer Situation, die sie höchst verletzlich macht. So erklärt die Gesundheitswissenschaftlerin Sylvia Sänger von der SRH-Hochschule für Gesundheit in Gera: »Man gibt persönliche Dinge preis, ist mitunter teilweise entblößt, zudem durch die Erkrankung oder Diagnose geschwächt und dadurch besonders verwundbar.« Ebendas hat zur Folge, dass eine ungeschickte Bemerkung tiefere Wunden hinterlässt als ein flapsiger Kommentar vom Nachbarn bei einer Plauderei am Gartenzaun.

Wichtig, findet sie, sei aus Patientensicht in solchen Fällen immer, das Gespräch zu suchen – und zwar in einem möglichst unaufgeregten, nüchternen Ton. »Man könnte etwas in der Art sagen wie: ›Ich finde es nicht angemessen, wie Sie mit mir reden.‹« Obwohl Patienten in den vergangenen Jahrzehnten selbstbewusster geworden sind und Ärzte nicht mehr als »Halbgötter in Weiß« betrachten, seien sie aufgrund des Kompetenzgefälles doch häufig eingeschüchtert. »Man sollte aber den Mut haben, seine Rechte einzufordern«, betont die Gesundheitsexpertin.

Umgekehrt müssen auch Ärzte einiges einstecken: Gerade im Klinikbereich sehen sie sich öfters verbalen Aggressionen und sogar handfesten Drohungen von Patienten und deren Angehörigen ausgesetzt. »Damit umzugehen, ist nicht einfach«, sagt Schultz. Wirken Patienten im Gespräch ärgerlich, empfiehlt er, das »zu spiegeln«, also sachlich anzusprechen: »Ich habe den Eindruck, dass Sie damit nicht einverstanden sind, was ich gesagt habe. Kann das sein?« Reagiert man dagegen ebenfalls gereizt, befeuert das die Aggressivität – schlimmstenfalls bis hin zur Eskalation.

Oft klappt aber auch der schlichte Informationsaustausch schlecht. Schon zu Beginn des Gesprächs werden Patienten, oft aus Zeitmangel, unterbrochen. »Weil sie möglichst viel unterbringen wollen, neigen Ärzte dazu, zu schnell und zu viel zu reden, zu viele Fremdwörter zu verwenden und zu selten Pausen einzulegen«, sagt Schultz. Das kann zur Folge haben, dass das Gegenüber nicht die gewünschten Informationen aufnimmt. Gute Kommunikation ist nicht nur für beide Seiten befriedigender, sondern trägt auch dazu bei, auf längere Sicht Zeit zu sparen: Dadurch lässt sich zum Beispiel vermeiden, dass Ärzte das Gleiche mehrmals erklären müssen.

Patienten sollten sich ihrerseits gut auf das Gespräch vorbereiten, um das für sie Wesentliche zu klären. Sänger rät dazu, Fragen aufzuschreiben und den Zettel ins Behandlungszimmer mitzunehmen. »Die grundlegenden Fragen sind: Was genau habe ich? Was kann getan werden? Warum ist es wichtig, dass etwas getan wird?« Außerdem hilft es, sich beim Gespräch Notizen zu machen. Geht alles zu schnell oder versteht man etwas nicht, sollte man nachhaken. Sänger ist noch etwas anderes wichtig: Bei schwierigen Gesprächen – etwa im Rahmen einer bedrohlichen Krankheit – sollte man eine vertraute Person einbeziehen, zum Beispiel den Partner oder eine Freundin. So fühlt man sich unterstützt und verringert zudem das Risiko, wichtige Aussagen zu verpassen.

Ärzten rät Schultz, als erstes die Gesprächssituation zu klären. Dabei hilft es, die Patienten vorab über die Punkte, die besprochen werden sollen, und den Zeitrahmen zu informieren. Abgesehen davon ist gerade in Kliniken das »Setting« wichtig – etwa, dass das Gespräch an einem ruhigen Ort geführt wird. »Oft werde ich auf dem Gang von Patienten angesprochen«, sagt Schultz. Ein guter Austausch ist auf dem Flur aber kaum möglich. »Besser ist es, um einen Termin für ein Gespräch in einer geschützten Umgebung zu bitten.« Das gilt auch im ambulanten Bereich: Es ist nicht sinnvoll, wichtige Themen klären zu wollen, während man halbnackt auf einer Liege wartet. Angemessen wäre ein Satz wie: »Ich habe ein, zwei weitere Fragen. Können wir das bitte gleich noch besprechen?«

Es geht bei einem Gespräch nicht nur um den Austausch von Informationen. Auch Mimik, Tonfall und Gestik spielen eine entscheidende Rolle. So kann es etwa an mangelndem Blickkontakt oder einer monotonen Sprechweise liegen, wenn Patienten einen Arzt als kühl empfinden. Umgekehrt führt es Ärzte in die Irre, wenn Patienten beflissen nicken, obwohl gerade alles, was gesagt wird, nur so an ihnen vorbeirauscht. Manchmal sind es kleine Dinge, die ein Gespräch entscheidend verändern: So berichtet ein Patient, dem eine Magenspiegelung bevorstand, dass sich der Arzt neben ihm auf die Liege gesetzt habe, um das Vorgehen zu besprechen. »Ich hatte Angst vor der Untersuchung. Diese Geste hat mir aber ein gutes Gefühl gegeben.«

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