Yael Bartana: Es werde Licht

Die israelische Künstlerin Yael Bartana und ihre Einzelausstellung »Utopia Now!« in der Weserburg in Bremen

  • Radek Krolczyk
  • Lesedauer: 4 Min.
Ist die Utopie schon gescheitert oder ist sie jetzt dringender denn je? Ansichtssache.
Ist die Utopie schon gescheitert oder ist sie jetzt dringender denn je? Ansichtssache.

»Utopia Now!« ist der Titel der Einzelausstellung der Künstlerin Yael Bartana, die derzeit in der Bremer Weserburg zu sehen ist. Es ist ein irritierender Titel: scheinbar abgegriffen, gleichzeitig seltsam für unsere Zeit, eine Zeit ohne Perspektive, eine Zeit ohne Zukunft. Es ist eine Zeit der Verwaltung von Elend, eine Zeit der Stellungskriege. Es scheint eine Zeit der Restauration, nicht des Aufbruchs. Die einzige Utopie heute, wäre zu glauben, es würde nicht noch schlimmer werden. Auf der diesjährigen Biennale in Venedig zeigt Bartana zusammen mit Ersan Mondtag entsprechend die Filminstallation »Light to the Nations«, in der die Menschheit in einem Raumschiff die Erde verlässt, damit die Erde sich erholen kann.

In der Weserburg zeigt Bartana Filminstallationen und Wandreliefe aus Leuchtstoffröhren. Manche Werke widmen sich der Erschaffung einer besseren, einer messianisch erlösten Welt. Das titelgebende Röhrenbild ist ein rotglühender, in sich zusammenfallender Schriftzug. Es ist schwer zu sagen, ob hier das Scheitern oder die Dringlichkeit einer utopischen Idee behauptet wird.

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Ein anderes Relief zeigt Engel beim Zersägen eines Hakenkreuzes. Mal leuchten die Engel auf, mal das Hakenkreuz, dann beides zusammen. Eine vielleicht etwas schlichte und dekorative antifaschistische Aktion.

Der messianische Eingriff der Künstlerin selbst könnte so aussehen wie in ihrem animierten Kurzfilm von 2010, der ältesten Arbeit der Bremer Ausstellung. Sie errettet hier »Kriegskrüppel«, Gestalten aus einem Bild, das Otto Dix 1920 gemalt hatte. Es zeigte verwundete Soldaten des Ersten Weltkriegs als Karikatur, mit zerschlissenen Gesichtern, Augenklappen und Prothesen, Haken statt Händen, Rädern statt Beinen. Während der Aktion Entartete Kunst 1937 wurde das Bild beschlagnahmt und blieb auch nach dem Ende des Nationalsozialismus verschollen. Als 16-Millimeter-Film sind die verwundeten Kriegsveteranen nun zurück, multipliziert zu einem riesigen, gespenstischen Trupp.

Es ist nicht alles so einfach im Werk der 1970 in Israel geborenen Künstlerin. 2011 wurde sie einem breiteren Publikum mit ihrer Filmtrilogie zum »Jewish Renaissance Movement in Poland« bekannt, die sie im polnischen Pavillon der 54. Biennale in Venedig zeigte. Die Arbeit behauptet die Rückkehr der zumeist nach Israel geflohenen polnischen Juden. Die Episode mit dem Titel »Mauer und Turm« erzählt die Geschichte der Gründung eines Kibbuz auf dem ehemaligen Gelände des Warschauer Ghettos. Deutlich wird hier bereits, dass eine Wiedergutmachung von Geschichte kaum denkbar ist. Denn obwohl das zionistische Siedlungsvorhaben in Polen eine gewisse historische Nachvollziehbarkeit aufweist, ist die Geschichte in den vergangenen Jahrzehnten auch in Warschau vorangeschritten. Wo das Ghetto war, ist heute schon längst etwas anderes. Geschichte ist ein gnadenloser Prozess, der alles laufend überschreibt. Dieses Aufeinandertreffen von Fantasie und Aporie ist eine große Stärke dieser Arbeit.

Um ein derart gerechtes jüdisches Siedlungsprojekt geht es auch in »Malka Germania«, den Bartana 2021 für ihre Ausstellung im jüdischen Museum in Berlin produziert hatte und der nun auch in der Weserburg zu sehen ist. Auf drei übergroßen Leinwänden sehen wir Truppen der Israel Defence Force (IDF) bei der Eroberung Berlins. Mit einer Israel-Fahne über der Schulter schreiten die Soldaten die Treppen hoch zum Reichstag, laufen durch Straßen, überkleben die deutschen Straßenschilder mit israelischen. Aus dem oberen Fenster eines Berliner Mietshauses fliegt alles Deutsche: Bierkrüge, Biedermeierstühle, eine ganze Reclam-Bibliothek und ein gerahmtes Porträt Martin Luthers. Diese Szenen wurden im Berliner Bezirk Mitte aufgenommen. Sie erinnern nicht ohne Grund an die Bilder antisemitischer Pogrome. Bartana betreibt keine Umkehr von Tätern und Opfern, allerdings bringt sie die Zuschreibungen durcheinander.

Der Titel der damaligen Ausstellung war »Redemption Now« (Wiedergutmachung jetzt). Die jüdischen Eroberer holen sich, was ihnen zusteht. Der Weltgeist begleitet sie dabei: eine ätherische Gestalt, zwar erhaben über Alter und Geschlecht, aber auf einem Esel reitend. Eigentlich gibt es in Bartanas Berlin nichts zu erobern. Niemand ist da, der sich der IDF entgegenstellt, überhaupt gibt es fast niemanden mehr in der Hauptstadt dieses überalterten Landes. An einem Bahnsteig stehen Leute, die einem Flüchtlingstrack ähneln. Sie tragen zwar heutige Kleidung aber auch mit Holz beschlagene Koffer, wie aus dem frühen 20. Jahrhundert. Fliehen sie aus Berlin oder kommen sie, um es neu zu besiedeln? Die Stimmung unter den Reisenden scheint entspannt.

Ähnlich wie in der Arbeit in Venedig verbindet sie hier die zionistische Erzählung mit der reinen, athletischen Ästhetik einer Leni Riefenstahl. Am Ende taucht vor den Augen der Badegäste aus dem Wannsee Albert Speers Germania auf, mit einem Hakenkreuz an der Domkuppel. Dieses Werk ist ästhetisch so seltsam, dass es sich auch politisch nicht so recht einordnen lässt.

Das zeigt sich gerade heute, nach dem Massaker der Hamas und während des Gaza-Einsatzes der IDF. Die Spannungen innerhalb der Kunstszene sind da besonders stark. Es ist bezeichnend für Yael Bartana, dass sie während der Eröffnungsfeierlichkeiten der diesjährigen Biennale in Venedig von antisemitischen und propalästinensischen Protesten weitestgehend verschont blieb. Die Proteste richteten sich gegen den Pavillon als Repräsentanz der Bundesrepublik, der man ihre Unterstützung des jüdischen Staates übelnimmt, nicht aber gegen die Künstlerin, die ihn bespielt.

Bis zum 24.11. 2024 in der Weserburg – Museum für moderne Kunst, Bremen

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