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225. Geburtstag von Puschkin: Was gegen Frust und Ärger hilft

Zum 225. Geburtstag Puschkins: Seine Briefe aus Boldino zur Zeit der Cholera-Quarantäne

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 4 Min.
100 Jahre nach Puschkin: Auflösung einer Cholera-Baracke in Russland
100 Jahre nach Puschkin: Auflösung einer Cholera-Baracke in Russland

Dieses Jahr ist ein Puschkin-Jahr. Vor allem in Russland, wo der 225. Geburtstag des Dichters Anlass ist für vielerlei Festivitäten. Hierzulande merkt man davon kaum etwas. Der russische Überfall auf die Ukraine wird ja auch der russischen Kultur zur Last gelegt. In der Ukraine, die zum Zarenreich ebenso gehörte wie zur Sowjetunion, wird der Erinnerung an eine gemeinsame Kultur der Kampf angesagt. Denkmäler werden geschleift, auch die des Alexander Sergejewitsch Puschkin, der bekanntlich Russlands berühmtester Dichter war.

Über 700 Gedichte und eine Fülle von Erzählungen, Dramen und Kurzgeschichten hat er in seiner kurzen Schaffenszeit verfasst. Mehr als 800 Briefe stammen aus seiner Feder. Jedes Kind in seiner Heimat kennt die Märchen, die er bearbeitete. Der deutsche Buchmarkt nimmt indes aktuell von Puschkin keine Notiz. Doch es ist einiges von ihm im Handel, und sei es antiquarisch. Das einzige »Neue« ist ein Bändchen von 2022, das man vor dem Hintergrund von Corona lesen konnte: »Puschkin in Quarantäne«. Mit vielen Handzeichnungen des Dichters ausgestattet, beleuchtet es eine interessante Episode aus seinem Leben: sehr produktiv und zugleich voller Unruhe.

Dass Puschkin im August 1830 ins Dorf Boldino im Gouvernement Nishnij Nowgorod aufbrach (drei Tage dauerte die Kutschfahrt), hatte ökonomische Gründe. Ständig in Geldnöten, stand er unter dem Druck seiner künftigen Schwiegermutter. Zwar konnte er sich mit seiner Angebeteten Natalja Gontscharowa verloben, aber deren Familie war verarmt und versuchte, ihm Geld abzupressen. Obgleich sein Vater ein Geizkragen war, stellte er ihm ein Landgut mit 200 »Seelen« in Aussicht. Puschkin fuhr dorthin, um den Besitz auf seinen Namen eintragen zu lassen. Von einer Cholerawelle wusste er zu diesem Zeitpunkt noch nichts.

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Am 28. August 1830 war er aufgebrochen, am 9. September tauchen erste Erkrankungen in der Nähe von Boldino auf. Angst vor Ansteckung hat der Dichter nicht. Was ihn bedrückt und verärgert, ist der Zwang. Er möchte sich nach Moskau durchschlagen, doch die Stadt ist abgeriegelt. Nicht mal Post trifft von dort ein. Umso größer die Sorgen um seine Natalja. »Also, Sie sind auf dem Land, wohlgeschützt vor der Cholera?«, schreibt er an sie. »Schicken Sie mir doch Ihre Adresse und Ihr Gesundheitsbulletin.«

Die Cholera wird seine »Pest«, die er indes für sich produktiv zu machen versteht. »Er verfasst gleich drei Erzählungen Belkins, angefangen von Der Sargtischler. Außerdem eine ganze Reihe von Gedichten; auch sie sind für Puschkin zu jenen klammen Zeiten eine wichtige Einnahmequelle. Und er schließt seinen Versroman Jewgeni Onegin ab, jedenfalls das Kapitel, das zuletzt am Ende stehen sollte, auch wenn sich in seiner Fantasie noch weitere Onegin-Kapitel bewegen«, schreibt Rosemarie Tietze. Wie sie die Texte für diesen kleinen Band nicht nur übersetzte, sondern auch kommentierte, ist ein großer Gewinn.

So sehr Puschkin die erzwungene Abgeschiedenheit ärgerte, seinem Schreiben tat sie gut. Die Erzählungen »Der Schneesturm«, »Der Schuss« und »Der Stationsvorsteher« entstehen. Auch zwei Dramen: »Der geizige Ritter« sowie »Mozart und Salieri«.

»Gnädige Frau Natalja Nikolajewna, auf Französisch mich zanken kann ich nicht, darum gestatten Sie mir, Sie auf Russisch anzusprechen …« Dass die damalige Konvention verlangte, Briefe gerade an Frauen, auf Französisch zu schreiben, erfährt man von der Herausgeberin. Von wie vielen Querelen und Ärgernissen der Dichter umgeben war und wie sich noch Schlimmeres zusammenbraute! Am 29. November 1830 bricht er schließlich nach Moskau auf, doch 75 Werst vor Moskau wird er festgehalten. Immerhin haben Leute wie er Beziehungen, die ihnen in solcher Lage helfen können.

Am 5. Dezember trifft er in Moskau ein. Er ist blank und muss sein neues Gut verpfänden, um Bargeld in der Hand zu haben. 11 000 Rubel habe er seiner Schwiegermutter gegeben, schreibt Rosemarie Tietze, für die Vorbereitungen zur Hochzeit, die dann am 18. Februar 1831 stattfinden kann. Nur knapp sechs Jahre später, am 10. Februar 1827, erlag er seinen Verletzungen nach einem Duell, das er um die Ehre seiner Frau führte. Er war erst 37 Jahre alt und auf dem Höhepunkt seines Schaffens.

In Boldino lag das alles für ihn noch in weiter Ferne. Was das Buch auf jeden Fall zeigt: Wie man Frust und Ärgernissen am besten begegnet – arbeitend. Zu den Texten, die in der erzwungenen Abgeschiedenheit entstanden, gehört auch der Einakter »Das Festmahl zur Zeit der Pest«. Draußen fährt ein Karren voller Leichen vorüber, doch drinnen wird gefeiert. Trauer und Trotz vermischen sich.

Alexander Puschkin: Puschkin in Quarantäne. Ausgewählt, übersetzt und kommentiert von Rosemarie Tietze. Friedenauer Presse, 115 S., br., 22 €.

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