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Li Andersson: »Richtungsentscheidung für Europa«
Die finnische Linkspolitikerin Li Andersson will auf EU-Ebene für Klimaschutz und die soziale Agenda wirken
Welches sind die Schwerpunkte Ihrer Partei Vasemmistoliitto im laufenden Wahlkampf für das EU-Parlament?
Wir treten insbesondere für eine ehrgeizige, aber faire Klima- und Umweltpolitik ein. Dies ist das Feld, wo wir die negativsten Konsequenzen durch den Aufstieg der extremen Rechten befürchten. Daher betonen wir die Notwendigkeit, eine entschiedene Klimapolitik fortzusetzen und zugleich eine gute Industriepolitik für die grüne Transformation zu machen. Zweitens setzen wir uns für die Stärkung der Rechte der Arbeitenden und eine Verbesserung der Situation der Jugend auf dem Arbeitsmarkt in ganz Europa ein. Wir heben die Bedeutung der Arbeitsrechte, die Rolle der Gewerkschaften und die Bedeutung des Streikrechts hervor. Das dritte Thema, das für uns sehr wichtig ist, betrifft die konsequente Einhaltung des Völkerrechts und der Menschenrechte. Wir wollen, dass die EU die Ukraine weiterhin stark unterstützt, ein Land, das gezwungen ist, sich gegen eine illegale Invasion Russlands unter dessen autoritärem Führer Wladimir Putin zu verteidigen. Aber damit die EU eine konsequente und glaubwürdige Stimme in Bezug auf das Völkerrecht und die Menschenrechte sein kann, wollen wir auf EU-Ebene auch mehr Maßnahmen gegen Israels Vorgehen in Gaza sehen, das ebenfalls gegen das humanitäre Völkerrecht verstößt.
Finnland wurde im vergangenen Jahr Mitglied der Nato. Welche Position nahm Ihre Partei dazu ein – und was fordert sie, um einer weiteren Eskalation der Konflikte entgegenzuwirken?
Li Andersson ist seit 2016 Vorsitzende der finnischen Linksbündnis-Partei Vasemmistoliitto und kandidiert bei der Europawahl am 9. Juni.
Eine Mehrheit unserer Wähler und auch unserer Abgeordneten war für einen Beitritt Finnlands zur Nato, was direkt damit zu tun hat, was Russland und Putin mit der illegalen Invasion in der Ukraine angefangen haben. Die allgemeine Auffassung war, dass in einer Situation, in der unser großer Nachbar seine Bereitschaft gezeigt hat, in Nachbarländer einzufallen, der bis dahin von Finnland verfolgte Weg unzureichend war. Dass eine Art von Sicherheitsgarantien erforderlich sei – und die Nato war leider die einzige verfügbare Option. Deshalb wirken wir derzeit nicht dafür, dass Finnland aus der Nato austritt. Aber wir arbeiten daran, welche Politik Finnland innerhalb der Nato verfolgen soll. Wir sind etwa ganz entschieden gegen eine Stationierung von Atomwaffen. Wir haben ein gültiges Gesetz, das Atomwaffen auf finnischem Boden verbietet, und wir wollen, dass das auch so bleibt. Wir betonen außerdem, dass sich die Nato auf ihre ursprüngliche Aufgabe konzentrieren soll, nämlich die Verteidigung in Europa. Wir wollen also keinerlei Beteiligung an militärischen Operationen außerhalb. Ein weiterer Schwerpunkt liegt darauf, sicherzustellen, dass sich Finnland konsequent für die Einhaltung des internationalen Rechts einsetzt, zum Beispiel auf UN-Ebene.
Sie spielen seit Jahren eine wichtige Rolle in der nationalen Politik Finnlands. Warum haben Sie sich als Kandidatin Ihrer Partei für die Europawahl aufstellen lassen, und welche Themen möchten Sie auf EU-Ebene bearbeiten?
Nun, ich habe lange überlegt, ob ich kandidieren soll oder nicht. Ich habe mich dazu entschlossen, bei dieser Wahl anzutreten und hoffentlich auch einen Sitz im Europäischen Parlament zu erringen, weil ich finde, dass diese Wahl eine der wichtigsten in unserer Geschichte ist. Das hat mit dem Aufstieg der extremen Rechten und dem drohenden Rechtsruck zu tun und mit den Auswirkungen, die das bereits jetzt auf die Politik anderer Fraktionen im Europäischen Parlament hat, wie die der EVP. Ich glaube, dass es bei dieser Wahl wirklich um eine Richtungsentscheidung für die Zukunft Europas geht, in der Umwelt- und Klimapolitik, bei den Menschenrechten, der Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit und in Bezug auf die gesamte soziale Agenda. Deshalb ist es sehr wichtig, dass wir in den kommenden Jahren starke linke Stimmen haben, die sich auf europäischer Ebene für diese Themen einsetzen.
In Helsinki regieren die Konservativen jetzt gemeinsam mit den nationalistischen Finnen. Wie spiegelt sich das in der politischen Rolle Finnlands innerhalb der Europäischen Union wider?
Es ist klar, dass wir der aktuellen finnischen Regierung sehr kritisch gegenüberstehen. Finnland und Italien sind derzeit die beiden einzigen Länder in Europa, in denen die extreme Rechte mitregiert. Und man kann in Finnland bereits sehen, was das bedeutet: historisch schwere Angriffe auf Arbeitsrechte und Gewerkschaften, strenge Sparmaßnahmen und drastische Einkommenskürzungen für Geringverdiener und Menschen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind. Das hat auch dazu geführt, dass Finnland nicht mehr dabei ist, seine Klimaziele zu erreichen. Der Politikwechsel mit dieser Regierung ist auch auf europäischer Ebene zu beobachten. Finnland war eines der Länder, die das Nature Restauration Law, das EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur, gestoppt haben. Für den Kampf gegen das Schwinden der biologischen Vielfalt wäre es enorm wichtig. Und Finnland war auch eines der Länder, die das EU-Lieferkettengesetz so beeinflusst haben, dass es schwächer ausgefallen ist, als wir von der Linken uns das gewünscht hätten.
Bei der Bildungspolitik gilt Finnland weltweit als ein Vorbild. In der Koalitionsregierung unter der Sozialdemokratin Sanna Marina waren Sie bis Juni des vergangenen Jahres für das Ressort verantwortlich. Welche Probleme gibt es auf diesem Feld, und wie steht es hier um die Chancengleichheit?
Im Juni wird in allen Mitgliedsländern der Europäischen Union über ein neues EU-Parlament abgestimmt. Dabei zeichnet sich ab, dass rechte Parteien an Einfluss gewinnen könnten. Was ist eine linke Antwort darauf? Und wie steht es um die Klimapolitik der EU? Welche Entwicklungen gibt es in Hinblick auf Sozialpolitik und was ist im Bereich der europäischen Asyl- und Migrationpolitik zu erwarten? Die anstehende Europawahl wird richtungsweisend. Auf unserer Themenseite fassen wir die Entwicklungen zusammen: dasnd.de/europawahl
Die größten aktuellen Herausforderungen haben mit den zunehmenden sozioökonomischen Unterschieden zu tun. Das finnische Bildungssystem war traditionell eines der besten in der Welt, was den Abbau der Klassenunterschiede zwischen den Kindern angeht, aber in dieser Hinsicht ist es nicht mehr so gut wie früher. Deshalb liegt hier das Hauptgewicht bei der Bildungspolitik der Linken. Wir müssen mehr in die frühkindliche Bildung und Erziehung investieren. Wir brauchen auch mehr Mittel für Schulen und Kindergärten, die sich in Gebieten befinden, in denen die Arbeitslosigkeit höher ist und das Bildungsniveau insgesamt niedriger. Außerdem benötigen wir bessere Strukturen zur Unterstützung von Kindern mit Migrationshintergrund beim Spracherwerb, um sicherzustellen, dass sie beim Erlernen der finnischen oder schwedischen Sprache die nötige Hilfe bekommen. Und wir müssen stärker in die Lese- und Schreibfähigkeiten investieren, um sie insbesondere bei Kindern aus der Arbeiterklasse zu verbessern.
Die Regierung von Petteri Orpo hat angekündigt, den Arbeitsmarkt radikal zu reformieren. Dagegen gibt es in der finnischen Gesellschaft starken Widerstand. Wie bringt sich Vasemmistoliitto dabei ein?
Auch in der Arbeitsmarktpolitik der Orpo-Regierung zeigt sich sehr deutlich, was passiert, wenn die traditionelle und die extreme Rechte zusammenwirken. Sie sind dabei, viele Arbeitsmarktreformen durchzusetzen, die die Befugnisse und die Position der Gewerkschaften schwächen. Die es einfacher machen, Leute zu entlassen, kurzfristige Verträge abzuschließen, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu streichen und so weiter. Das wird sowohl schwerwiegende strukturelle Folgen für das gesamte nordische Arbeitsmarktmodell als auch negative Folgen für die einzelnen Beschäftigten haben. Es hat lange Streiks gegen diese Pläne der Regierung gegeben, und wir als Partei haben die Streiks natürlich unterstützt, mit den Gewerkschaften zusammengearbeitet und im Parlament gefordert, diese Reformen zu stoppen. Bisher war die Regierung bei ihren Plänen für die Arbeitsmarktreformen nicht bereit zu verhandeln oder nachzugeben. Als einziges bereits verabschiedet wurde ein Gesetz zur Einschränkung des Streikrechts. Wir sind also weiter gefordert.
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