»The Future«: Fluchtpunkt für Superreiche

Naomi Alderman erzählt in ihrem Roman »The Future« von Digitalisierung, Krisen, dem Ende der Zivilisation und Milliardären

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.
Wenn irgendwo Gesellschaft neu verhandelt wird, dann meistens auf einsamen Inseln (»Herr der Fliegen«, »Triangle of Sadness«).
Wenn irgendwo Gesellschaft neu verhandelt wird, dann meistens auf einsamen Inseln (»Herr der Fliegen«, »Triangle of Sadness«).

Was würden die drei reichsten Tech-Milliardäre machen, wenn sie wüssten, dass die Havarie aller sozialen und politischen Systeme unmittelbar bevorsteht? Schon vor ein paar Jahren meldete das Magazin »New Yorker«, dass immer mehr Superreiche Vorkehrungen für ein solch drohendes Ereignis treffen. Besonders beliebt scheinen Bunker in Neuseeland zu sein.

In Naomi Aldermans Roman »The Future« retten sich die drei CEOs der Firmen Anvil, Medlar und Fantail, was unschwer als fiktive Versionen von Amazon, Apple und Facebook bzw. Twitter gelesen werden kann, auf eine einsame Insel im Pazifik. Zimri Nommik, Ellen Bywater und Lenk Sketlish sind auf diesem Eiland, das sie zuvor als Naturschutzgebiet ausgewiesen und mit überlebensnotwendigen Ressourcen ausgestattet haben, aber nicht allein. Die Überlebensexpertin Lai Zhen, die eigentlich keinen Zugang zu dieser letzten Zuflucht haben sollte, landet ebenfalls dort in einem der roboterartigen Überlebensanzüge, sitzt mit den drei Milliardären im Naturparadies fest und bringt die postapokalyptische Ordnung gehörig durcheinander.

Alderman dreht Ayn Rands Prämisse um und stellt die Frage, ob die Welt eine bessere sein könnte, wenn die reichsten Menschen plötzlich nicht mehr da wären.

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Naomi Aldermans Roman basiert, wie sie selbst in einem Interview erklärt hat, auf einer Umkehr von Ayn Rands Roman »Atlas wirft die Welt ab« (1957), einem wichtigen Grundlagenwerk der neoliberalen Doktrin und des Laissez-faire-Kapitalismus.

Rand beschreibt darin eine Welt, die untergeht, weil die vermeintlich wichtigsten Männer der ökonomisch-sozialen Hackordnung, vor allem ein Großunternehmer, plötzlich verschwinden. Alderman dreht diese Prämisse um und stellt die Frage, ob die Welt eine bessere sein könnte, wenn die reichsten Menschen plötzlich nicht mehr da wären.

Was sich nach verkürzter Kapitalismuskritik anhört, entwickelt sich in dem gut 500-seitigen und ziemlich spannenden Roman aber erst Stück für Stück. Die 50-jährige Naomi Alderman, zuletzt mit der Verfilmung ihres Bestsellers »Die Gabe« als Amazon-Serie erfolgreich, fokussiert ihre Erzählung in »The Future« auf die Menschen im Umfeld der schönen und reichen Milliardäre.

Zum einen ist da Martha Einkorn, die Assistentin der Geschäftsleitung des Social-Media-Unternehmens Fantail, die von ihrem selbstgefälligen Chef Lenk Sketlish die Schnauze gestrichen voll hat. Sedlah, die Ehefrau des Software-Milliardärs Zimri Nommick, wird gegen eine jüngere Geliebte ausgetauscht. Und Albert, Programmierer hinter dem Online-Geschäft von Medlar wurde ausgebootet und aufs Abstellgleis geschoben. Die Witwe des Eigentümers regiert das datenbasierte Unternehmen mit harter Hand und liegt im Dauerclinch mit ihrem queeren Kind Badger, das so gar kein Interesse am Geschäft hat und lieber antikapitalistische Parolen skandiert.

Über weite Strecken ist »The Future« mit seinem ausufernden Personal und einem wilden Potpourri ineinandergreifender Handlungsstränge vor allem eine wundervoll erzählte queere Liebesgeschichte zwischen Martha Einkorn und Lai Zhen. Lai wird eher zufällig in die Planungen involviert, sich die verhassten CEOs vom Leib zu schaffen. Dabei entwirft Naomi Alderman eine Welt in naher Zukunft, in der die Digitalisierung noch ein Stück weiter entwickelt ist als in unserer Gegenwart. Das geht stellenweise mit reichlich Action einher, wird dann aber auch wieder mit langen Chatverläufen aus einem Forum für Überlebensstrategien angereichert, in dem Lai Zhen eine Art Star der Prepper-Gemeinde ist.

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Naomi Alderman, die in ihren Romanen auch immer wieder historische und religionsgeschichtliche Verweise einbaut, erzählt hier auch noch die Geschichte einer Endzeit-Sekte und deren Bibelauslegung. Während Martha in dieser Sekte aufwuchs, erlebte Lai in Hongkong die Zerstörung dieser Metropole im Zuge eines bürgerkriegsähnlichen Konflikts mit den chinesischen Machthabern einschließlich Flucht nach Großbritannien. Diese unterschiedlichen Handlungsstränge, die mal in London, dann in Bukarest, in Neuseeland, Hongkong, in San Francisco, in der amerikanischen Pampa, auf einer abgeschiedenen Insel im Pazifik und immer wieder einfach im Internet angesiedelt sind, bieten eine mitreißende Geschichte inklusive eines komplexen World-Buildings.

Das Großartige an Naomi Aldermans Roman ist aber ihre Beschreibung unserer digitalen Welt. Die Datenströme, Algorithmen, KIs und Apps, die hier ebenso zur Wertschöpfung wie zum Überleben nach dem großen Zusammenbruch genutzt werden, sind Teil der Handlung, in der in einem fort fleißig programmiert, gehackt, geklaut und verschlüsselt wird. Denn die sich weiter überlagernden Krisen, von kriegerischen Konflikten über ökonomische Havarien bis hin zu Pandemien, werden nicht weniger, sondern immer mehr. Droht am Ende doch der Untergang unserer Welt, wie wir sie kennen?

Das weiß Naomi Alderman mit einem gewitzten Spannungsbogen in dieser wilden Mischung aus Science-Fiction-Tech-Lovestory-Thriller bis zum Schluss auszubauen. Wobei der am Ende als eine Art Epilog servierte Ausblick auf eine andere, nachhaltigere und bessere Welt, etwas müde und zu systemkonform daherkommt. Die Alternative ist in Aldermans Fiktion nicht mehr als ein besserer Kapitalismus. Die Systemfrage wird in dem Buch nicht wirklich gestellt. Insofern enttäuscht dieses Ende, der Roman ist dennoch lesenswert.

Naomi Alderman: »The Future«. Heyne, geb., 544 S., 24 €.

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