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Die Linke und ein bisschen Frieden
Nach der Europawahl steht Die Linke am Anfang grundsätzlicher Auseinandersetzungen über Inhalte, Strategie, Strukturen und Spitzenpersonal
Die einen nennen es Krisentreffen, die anderen erhoffen sich ein geordnetes Zusammenraufen: An diesem Wochenende trifft sich der Linke-Parteivorstand, zeitweise mit den Landesvorsitzenden, um über Wege aus der Talsohle nachzudenken, zu reden, zu streiten. Die Linke-Führung ist gleich mehrfach unter Druck: Erstens hat sie die schwerste Niederlage ihrer Geschichte aufzuarbeiten, zweitens stehen drei Landtagswahlen bevor, bei denen sich auch die Frage der Existenzberechtigung stellt, drittens lasten auf dem Parteitag im Oktober viele Erwartungen, was sich viertens in jeder Menge Forderungen und Papieren äußert.
Die Delegierten für diesen Parteitag werden neu gewählt. Beim letzten Wahlparteitag in Erfurt vor zwei Jahren hatten jene Gruppierungen, die gerne als Bewegungslinke bezeichnet werden, die Mehrheit; Kandidaten, die Sahra Wagenknecht unterstützten oder denen eine Nähe zu deren Positionen zugeschrieben wurde, wurden nicht gewählt oder zogen ihre Bewerbungen zurück. Inzwischen haben viele Wagenknecht-Anhänger Die Linke verlassen. Dennoch wird auf dem Parteitag alles andere als Einigkeit herrschen, denn die Vorstellungen davon, wie die Partei wieder in die Spur kommen könnte, gehen weit auseinander, sofern sie überhaupt schon den Bereich der Ratlosigkeit verlassen haben.
Ein zentraler Punkt der Auseinandersetzung kristallisiert sich heraus: die Friedensfrage. Da herrscht in Teilen der Linken seit dem russischen Überfall auf die Ukraine heillose Verwirrung. Die einen verlassen die Partei, weil sie nicht entschieden genug die Nato geißelt und Sanktionen gegen Russland zustimmt; andere, weil Die Linke nicht entschieden die angegriffene Ukraine unterstützt. Ein Dilemma, dem eine Partei nicht komplett entkommen kann. Sie kann aber versuchen, Streitfragen klären.
In der Linke-Krise fühlen sich alle Flügel in ihren eigenen Positionen bestätigt.
Die Linke-Führung hat dieses Spannungsfeld indessen nicht offensiv thematisiert – im Gegenteil, in einer Wahlstrategie für die kürzliche EU-Wahl, beschlossen im Juni 2023, hieß es, der Ukraine-Krieg treibe viele Linke-Anhänger um, »wenn auch nicht immer in dieselbe Richtung«. Die Linke setze sich für Diplomatie, zivile Konfliktlösungen statt Waffenlieferungen und für Abrüstung ein, wolle aber im Wahlkampf »möglichst nicht darauf hinwirken, dass diese Themen stärker werden«, sondern lege den Schwerpunkt auf soziale und Klimagerechtigkeit.
Das ist nun der Kern aller Vorwürfe gegen die Linke-Spitze: das Friedensthema versteckt zu haben. Die Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch hat das aufgegriffen und scharf kritisiert, andere ziehen nach. Man kann schon fragen, warum eine solche Formulierung ein Jahr lang öffentlich unbeanstandet bleibt und Kritiker erst jetzt davon sprechen oder überhaupt darauf aufmerksam werden. Festzuhalten bleibt aber, was Lötzsch konstatiert und die Wähler bestätigten: »Einfach nicht über Krieg und Frieden zu reden, ist keine gute Strategie.«
Wahrscheinlich meinte die Europakandidatin Ines Schwerdtner nicht zuletzt das, als sie nach der Wahl bilanzierte, Die Linke sei »zu leise und zu mutlos« gewesen. »Der Friedensfrage kann man nicht ausweichen«, stellt auch der Vorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Heinz Bierbaum, in der Zeitschrift »Sozialismus« fest. Sich auf die soziale Frage zu konzentrieren sei wichtig, reiche aber nicht aus, »vor allem, wenn strittige Fragen wie die Friedensfrage nahezu ausgeklammert werden«.
Eine programmatische Erneuerung hält Bierbaum nicht für nötig, weil das Parteiprogramm von 2011 »immer noch eine gute Grundlage für linke, sozialistisch ausgerichtete Politik« darstelle. Allerdings müsse die strategisch-politische Ausrichtung angesichts veränderter gesellschaftlicher Verhältnisse neu bestimmt werden, gemeint sind vor allem die Klimakrise und die geopolitischen Konflikte. Andere sehen das anders: Genau mit der Begründung gravierender Entwicklungen seit 2011 – hinzu kommt unter anderem die galoppierende Digitalisierung – sei eine Reform des Grundsatzprogramms vonnöten, meint etwa die Gruppe Progressive Linke. Noch so ein Streitpunkt. Wobei anzumerken wäre: Wie immer in Krisenzeiten, so sehen sich auch jetzt in dieser Linke-Krise alle Flügel und Fraktionen in genau ihren eigenen Positionen bestätigt.
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Was indessen viele eint: die Unzufriedenheit mit der Spitze der Linkspartei. Mehr oder weniger offen wird für den Parteitag im Oktober in Halle ein Führungswechsel verlangt, obwohl zumindest öffentlich noch niemand für den Vorsitz in Stellung gebracht wird. Aus dem Parteivorstand hört man Stimmen, die von einer inhaltlichen und personellen Neuaufstellung im Herbst sprechen. Der Ko-Vorsitzende Martin Schirdewan, an dem sich wegen seiner Zuständigkeit für die Europapolitik nun manche Kritiker ziemlich direkt, andere zwischen den Zeilen abarbeiten, ließ wissen, er werde »rechtzeitig darüber informieren, ob ich noch einmal antrete«. Die Partei-Altvorderen Gregor Gysi und Dietmar Bartsch forderten dieser Tage eine strukturelle, politische und personelle Erneuerung, ohne zu sagen, ob sie den Wechsel jetzt sofort oder beim Herbst-Parteitag wünschen.
Was viele nach der Erfahrung der letzten Vorstandswahl wollen, ist eine in der Partei weithin akzeptierte Führung. Worunter allerdings sehr Unterschiedliches verstanden wird. Parteivize Lorenz Gösta Beutin sagte neulich im nd-Interview: »Wir brauchen dann einen neuen Vorstand, der von der gesamten Partei getragen statt bekämpft wird, so wie es die Spalter um Wagenknecht bis zuletzt gemacht haben.« Heinz Bierbaum sagt es so: »Die Linke braucht einen Parteivorstand, der die Gesamtheit der Partei abbildet.« Das sind zwei grundverschiedene Ansätze; zumindest kann man sie so interpretieren.
So hat Die Linke viel zu besprechen. Nicht nur an diesem Wochenende beim Krisentreffen des Vorstands, sondern auch in den nächsten Wochen und Monaten. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass die Landtagswahlen im September die Auseinandersetzungen noch befeuern. Bis zum Parteitag im Oktober geht es um ein bisschen Frieden in der Partei – und um deutlich mehr als ein bisschen Frieden in ihrer öffentlichen Profilierung.
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