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Frankreichs teure Instabilität

Rating-Agenturen haben die Kreditwürdigkeit des Landes lange vor der Wahl herabgestuft

Protest gegen die neoliberale Rentenreform in Frankreich. Auch eine künftige linke Regierung würde sich mit der steigenden Zinslast konfrontiert sehen.
Protest gegen die neoliberale Rentenreform in Frankreich. Auch eine künftige linke Regierung würde sich mit der steigenden Zinslast konfrontiert sehen.

Wie in der Politik sind auf den Märkten Wahrnehmungen oft wichtiger als Tatsachen. Das erklärt die Nervosität der Akteure auf den Finanzmärkten vor und nach den vorgezogenen Neuwahlen in Frankreich. Der Rechtsruck fällt zwar schwächer aus als zuvor angenommen, aber eine regierungsfähige Mehrheit ist nicht in Sicht. Eine solche wäre Banken und Industrie schon deshalb lieb, weil sie vor allem volkswirtschaftliche Planbarkeit schätzen. »Die Finanzmärkte werden einen hohen Preis verlangen«, befürchtet der Ökonom Rudolf Hickel gegenüber »nd«.

Die Zukunft Frankreichs wird wohl wenigstens zum Teil auf den Finanzmärkten entschieden. Dabei geht es nicht um die Aktienkurse, politische Börsen haben bekanntlich kurze Beine. Der französische Leitindex CAC dürfte sich bald wieder erholen. Für die künftige Regierung in Paris zählt vor allem die Hoffnung auf günstige Kredite, die den Wirtschaftskreislauf am Laufen halten.

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Solche Hoffnungen erhielten allerdings bereits Ende Mai einen harten Dämpfer, als die US-amerikanische Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) beschloss, die Kreditwürdigkeit Frankreichs von »AA« auf »AA-« herabzustufen. Dadurch könnte es für den Staat teurer werden, über die Ausgabe von Anleihen an den Finanzmärkten an Kredite zu gelangen. Denn gilt ein Schuldner als weniger vertrauenswürdig, so muss er an den Kapitalmärkten üblicherweise höhere Zinsen bezahlen.

Für den langjährigen französischen Finanzminister und erfolgreichen Buchautoren Bruno Le Maire war es das zweite Ereignis dieser Art. Im April 2023 hatte bereits die französisch-amerikanische Agentur Fitch ihr Rating für das Land um eine Stufe herabgesetzt. Auch S&P hatte lange gewarnt, dass eine Herabstufung drohe, wenn sich die finanzielle Situation nicht verbessere. Als weitere Gründe für den Schritt nannte S&P das Wirtschaftswachstum, das geringer ausfallen werde als erwartet. Zudem könne die »politische Fragmentierung« das Land lähmen.

Die Schulden der öffentlichen Haushalte des zweitgrößten EU-Staates betragen im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) über 110 Prozent (Deutschland: 64 Prozent). Das engt den Spielraum der künftigen Regierung in jedem Fall erheblich ein. Die nun grundlegend veränderte politische Ausgangslage stößt auf die ohnehin durch die EU kritisierte Verletzung der Schuldenregeln sowie auf die derzeit schwache ökonomische Entwicklung, analysiert der Gründer der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik Hickel. Die Arbeitslosenquote sei mit rund acht Prozent hoch und grassiere besonders unter jungen Leuten. Zudem ist die Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung deutlich geringer als in Deutschland.

»Mit wachsenden Steuereinnahmen ist also kaum zu rechnen«, sagt Hickel. Für die ohnehin schon umstritten hohe Neuverschuldungsquote von über fünf Prozent des BIP – bei einer ebenfalls hohen Gesamtschuldenquote – verlangten die Finanzmärkte bereits in den vergangenen Wochen Risikoaufschläge für französische Staatsanleihen. »Auch für die politisch-ökonomisch instabile Lage nach der Wahl werden die Finanzmärkte einen Preis fordern«, befürchtet Hickel.

Frankreich droht nun in eine Abwärtsspirale aus steigenden Zinsen und Schulden zu geraten und befindet sich damit auf dem Weg Italiens. »Das ist auch eine sehr schlechte Nachricht für die Eurozone«, warnt Friedrich Heinemann, Finanzexperte des Mannheimer Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Unter den großen drei Euro-Ländern verfüge einzig noch Deutschland über eine erstklassige Bonität. Damit lösten sich Hoffnungen auf günstige neue EU-Kredite in Luft auf, wenn ein derart wichtiger Mitgliedstaat kein absolut zuverlässiger Garant der EU-Schulden mehr sei.

Die Herabstufung durch die Rating-Agenturen spiegelt sich im gestiegenen Renditeunterschied (»Spread«) zwischen Staatsanleihen aus Frankreich und Deutschland wider. Zuletzt bot der französische Staat daher für zehnjährige Anleihen eine Rendite von 3,29 Prozent und damit 0,8 Prozentpunkte mehr, als der deutsche Finanzminister Christian Lindner berappen muss. Der kleine Zinsunterschied bedeutet, dass Le Maires Nachfolger allein für den Zinsdienst viele Milliarden Euro zusätzlich aufbringen muss.

Gefordert sei darum nun die Europäische Zentralbank, mahnt Hickel. Die EZB müsse durch den Ankauf französischer Staatsanleihen einen weiteren Zinsanstieg verhindern und – gegen den Widerstand Lindners – ihr Instrument »Transmission Protection Instrument« (TIP) konsequent einsetzen. Mit dem vor zwei Jahren eingeführten TIP kann die EZB Anleihen von Ländern kaufen, deren Finanzierungsbedingungen sich verschlechtert haben. Allerdings nur, wenn das nicht durch die Fundamentaldaten gerechtfertigt ist.

»Eine solche Geldpolitik sorgt für die Stabilität des Eurosystems, von dem auch Deutschland profitiert«, lässt der Altmeister unter den linken Wirtschaftswissenschaftlern keinen Zweifel an dem tatsächlichen Nutzen einer Intervention der Zentralbank.

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