In der Hitze der Kälte

Ein deutscher Exporterfolg: Wie cool und doch angepasst war der »Kälte-Pop«?

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 5 Min.
Heiß und kalt zugleich: DAF ging es um »Sex, Gewalt und Disziplin«.
Heiß und kalt zugleich: DAF ging es um »Sex, Gewalt und Disziplin«.

Die Merkmale, die dem »Deutschen« im Pop international zugeschrieben wurden, waren für lange Zeit, mitgeprägt von zahllosen mehr oder weniger clownesken Nachkriegsfilmnazis mit hartem Akzent in verschiedenen Filmen, nicht eben schmeichelhaft. Seelenlos, kalt und/oder obskur. Und tatsächlich, etwas musikalisch so Zerrüttetes wie den deutschen Schlager wird man in anderen Ländern kaum finden.

Wo der deutsche Pop versuchte, Anschluss an den angloamerikanischen zu finden, gelang ihm im besten Fall eine sympathische, der deutschen Geschichte angemessene Dauerverkrampfung. Ausnahmen waren rar, mit Ton Steine Scherben und Krautrock ging ein Fenster auf, postfaschistischer Muff löste sich auf und Luft kam herein.

Der erste inner- und außerhalb der Landesgrenzen wirklich erfolgreiche Pop-Export gelang aber erst in der affirmativen Verbindung von emotionslos-maschinellem Habitus mit kalten, als seelenlos wahrgenommenen, mechanischen Sounds, die mit linken Liedermachertum und allem Hippieesken brach. Florian Völker rekonstruiert in seiner gründlichen, knapp 600-seitigen und das Phänomen bis in die letzten Ecken ausleuchtenden Studie »Kälte-Pop« diese deutsche Pop-Ästhetik. Der Text schlägt einen Bogen von den Vorläufern im Industrial, Postpunk und New Wave der Siebzigerjahre über die stilbildenden Kraftwerk und die Westberliner Entfremdungsromantik, bis hin zu den kommerziell erfolgreichsten Nachzüglern nach dem Ende der ersten Wellen, wie Rammstein und der sogenannten Neuen Deutschen Härte der Neunzigerjahre. Alles Relevante, was mit dem Phänomen zu tun hat, scheint auf und wird sorgfältig und pointiert kontextualisiert und gedeutet.

Die pophistorischen Linien, die Völker zieht, machen exemplarisch deutlich, wie die Entwicklung von Pop verlaufen kann. Als Reaktion auf vorangegangene Zeichen, Gesten und Sounds, und zwar in Bewegungen von Aktion und Reaktion. Auf die ostentative Wärme der Hippies der frühen Siebziger folgte die teils ironisch-gebrochene Affirmation von Kälte und Emotionslosigkeit in der Stimme und der Sachlichkeit von Kraftwerk, aber auch in soundästhetisch extremistischeren Spielarten der Achtzigerjahre wie bei den Einstürzenden Neubauten, denen Völker eine »kalte Hitze« attestiert, in dem sie die Ästhetik der Kälte mit Weltuntergangstheater verbanden. Mit am aufschlussreichsten an vielen der Fallstudien in diesem Buch ist, wie bei aller Negation des Affektiven zugunsten von Konzept, Mechanik, Ausdruckslosigkeit und Meta-Ebene immer wieder so etwas wie eine dunkel-romantische Tradition aufscheint. Das Gefühl wird in der Negation des Gefühls beschworen.

Überhaupt ist die Kälte-Ästhetik laut Völker kaum in Reinform zu haben. Neben Kraftwerk, der Neuen Deutschen Welle und der Westberliner Apokalyptik der Achtzigerjahre spielen DAF eine zentrale Rolle. Musik und Texte von Robert Görl und Gabi Delgado-López kreisten um »Sex, Gewalt und Disziplin«. Für Völker verfolgten DAF »ein Prinzip der Extreme, das die Kombination ›heißer‹ wie ›kalter‹ Motive ermöglichte«. Die Gruppe hätte offensiv gegen die »in der linksalternativen Gegenkultur vorherrschenden ›Wärme‹-Modelle der Vergemeinschaftung und empathischen Sensibilität« agiert, die als lustfeindlich und beengend empfunden worden seien. Am Beispiel DAF lässt sich sich mit Völker etwas Grundlegendes zeigen: Es »verdeutlicht anschaulich, dass Motive und Strategien der ›Kälte‹ niemals losgelöst vom Ideal und der Praxis einer sozialen und Ästhetischen ›Wärme‹ betrachtet werden können, auf die ›Kälte‹-Akteur:innen mit Distanzgesten und Attacken reagierten«.

In der Rekonstruktion dieser Dynamik zeigt Florian Völker außerdem, wie man Popgeschichte als Zeitgeschichte schreiben kann. Am deutlichsten wird dieser Punkt, wenn klar wird, inwiefern der Sound sich verändert, weil der Kontext sich wandelt. Der Kälte-Pop von Kraftwerk, den Neubauten, DAF und die Subversionsstrategien der frühen Freiwilligen Selbstkontrolle (»Wir sagen Ja zur modernen Welt«) reagierten auf dominante Tendenzen in der deutschen Linken und waren damit in jedem Wortsinne cooler als die mit einem Mal etwas bräsig anmutenden Zausel, die mit der Gitarre in der Hand das Gute wollten.

Später, in den Neunzigerjahren, tauchte die Ästhetik der Kälte dann im EBM, im Industrial Rock, im norwegischen Black Metal und, allerdings bereits in den Achtzigerjahren, in der Totalitarismus-Performance der slowenischen Band Laibach auf. Allesamt Phänomene, die Völker ebenfalls behandelt, im Falle von Laibach und Black Metal auch ausführlich. Jeweils anderer Kontext, jeweils andere Semantik. Die Ästhetik des sogenannten Neuen Deutschen Härte, die heute vor allem mit der Musik der kommerziell erfolgreichsten deutschsprachigen Band Rammstein präsent ist, lässt sich mit dieser Studie als eine Schwundform des Kälte-Pops beschreiben: »Die ›Kälte‹ diente den NDH-Musiker:innen (...) nicht zur Distinktion innerhalb einer deutschen Gegenkultur, sondern zur Abgrenzung von der als ›amerikanisiert‹ kritisierten Pop-Musik Westdeutschlands, der eine vermeintlich ›deutsche‹ Musik und Kultur gegenübergestellt wurde.« Sucht man einen strukturellen Grund dafür, dass die Musik von Rammstein so ausdauernd steindumm klingt, das ist er wohl.

Am Ende fasst Florian Völker noch einmal die einander in Vielem eigentlich widerstrebenden Impulse und Ergebnisse der Ästhetik der Kälte zusammen: Mit der Codierung von Kommerzialisierung, Selbstoptimierung und aufputschenden statt halluzinogenen Drogen affirmierten die Künstler*innen des Kälte-Pops kapitalistische Prinzipien, ob sie es wollten oder nicht. Zugleich wurde diese Ästhetik als subversiv und fortschrittlich erlebt, auch in dem Sinne, dass sie das Kommende spielerisch vorwegnahm: »Den Werten und Forderungen ihrer gegenkulturellen Zeitgenoss*innen liefen die ›Kälte‹-Apologeten damit zuwider, der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung aber voran, denn die ›Kälte‹ antizipierte den Postmodernismus nicht nur, sondern wirkte auch an dessen Ausgestaltung in der deutschen Gesellschaft mit, auf kultureller wie individueller Ebene.«

In »Kälte-Pop« sind, soweit ich sehen kann, alle Entwicklungslinien, Vorläufer und Nachzügler, die mit dem Phänomen verbunden sind, mitsamt kulturwissenschaftlicher Diagnostik auf gerade einmal 600 Seiten zusammengefasst. In seiner Detailgenauigkeit und Breite ist »Kälte-Pop« ein trotz der gefühlt zweitausend Fußnoten leicht zu lesender, ungeheuer kenntnisreicher und nicht zuletzt sehr unterhaltsamer Brocken Popgeschichte.

Florian Völker: Kälte-Pop. Die Geschichte des erfolgreichsten deutschen Pop-Exports. De Gruyter Oldenbourg, 672 S., geb., 34,95 €.

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