Aldi will nicht mit Ex-DDR-Häftlingen reden

Discount-Konzerne wollen sich dem Kapitel Profit mit Arbeit Gefangener bislang nicht stellen

  • David Bieber
  • Lesedauer: 4 Min.
Lebensmitteldiscounter Aldi legt nach eigenen Angaben besonderen Wert auf die Wahrnehmung seiner sozialen Verantwortung. Das Gespräch mit früheren Zwangsarbeitern in DDR-Gefängnissen, die für den Konzern einst schufteten, lehnt man in der Essener Konzernzentrale bislang ab.
Lebensmitteldiscounter Aldi legt nach eigenen Angaben besonderen Wert auf die Wahrnehmung seiner sozialen Verantwortung. Das Gespräch mit früheren Zwangsarbeitern in DDR-Gefängnissen, die für den Konzern einst schufteten, lehnt man in der Essener Konzernzentrale bislang ab.

Zum Sortiment der großen Lebensmitteldiscounter gehören bis heute die sogenannten Angebote: Kleidung, Spielzeug, Werkzeug, Fahrradhelme und vieles mehr. Oft zu sehr niedrigen Preisen. Solange es die DDR gab, haben bundesdeutsche Konzerne wie Aldi Nord und Aldi Süd viele Jahre lang solche Waren auch in der DDR produzieren lassen. Dort wurden sie teilweise auch von Gefängnisinsassen hergestellt.

Die Gefangenen, Dokumente belegen es, mussten vielfach unter gesundheitsgefährdenden Bedingungen für den »Klassenfeind« produzieren. Vor allem Deutschlands umsatzstärkster Lebensmitteldiscounter Aldi hat davon massiv profitiert. Für ihn wurden beispielsweise bis zum Ende der DDR Hunderttausende Damenstrumpfhosen im Frauengefängnis Hoheneck in Sachsen im Auftrag des Volkseigenen Betriebs Feinstrumpfwerke Esda in Thalheim produziert und für jeweils nur 69 Pfennig an Aldi verkauft. »nd« liegt ein Zeitzeugenbericht eines früheren zivilen Angestellten des Gefängnisses vor, der genau darlegt, wie der Handel mit Aldi ablief.

Doch bis heute will der Konzern trotz seit gut einem Jahrzehnt vorliegender Belege seine Verantwortung nicht anerkennen und sich diesem Kapitel seiner Unternehmensgeschichte nicht stellen. Das Management mauert und will nicht einmal Gespräche mit ehemaligen Zwangsarbeitern und politischen Gefangenen führen. Vertreter der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG) bemühten sich in diesen Tagen erneut vergeblich darum.

»Aufgrund des großen zeitlichen Abstands zu den Vorkommnissen ist es Aldi Nord und Aldi Süd nicht möglich, die Details in dem Umfang aufzubereiten, der für eine weitere Aufklärung und abschließende Bewertung nötig wäre«, heißt es in einer schriftlichen Mitteilung. Die Unternehmen könnten daher »zum aktuellen Zeitpunkt keine weiteren Erkenntnisse liefern und stehen entsprechend für kein Gespräch zur Verfügung«. Dass es profitable Geschäftsbeziehungen zum VEB Esda gegeben habe, kann der Konzern zugleich nicht leugnen. Man behauptet dort aber, man habe erst vor elf Jahren erfahren, dass »einzelne Produktionsschritte« an das Frauengefängnis Hoheneck »vergeben wurden«.

»Es wird Zeit, dass sich auch Aldi zur Beteiligung der systematischen Ausbeutung politischer Häftlinge im ehemaligen Frauenzuchthaus Hoheneck bekennt.«

Peter Keup Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft

Dieter Dombrowski, Vorsitzender der UOKG, zeigte sich gegenüber dem WDR empört, nachdem er kürzlich brüsk von einem Pförtner der Essener Konzernzentrale abgewiesen worden war. Dombrowski war zusammen mit Peter Keup gekommen, wissenschaftlicher Mitarbeiter der UOKG und ebenso früherer politischer Gefangener und Zwangsarbeiter. Keup sagte zu »nd«: »Es wird Zeit, dass sich auch Aldi zur Beteiligung der systematischen Ausbeutung politischer Häftlinge im ehemaligen Frauenzuchthaus Hoheneck bekennt.«

Mindestens 71 Zwangsarbeiterinnen, unter ihnen politische Gefangene, schufteten 1987 laut einer Vorstudie der Berliner Humboldt-Universität und des UOKG, die »nd« vorliegt, im »Frauenknast« für West-Firmen, vor allem für Aldi. Sie seien »bedeutend schlechter als außerhalb der Gefängnisse« entlohnt worden, weiß Keup. Besonders schlecht seien die Arbeitsbedingungen und -schutzmaßnahmen gewesen. Die Ende April veröffentlichte Vorstudie sei der erneute Anlass gewesen, um »endlich mit Aldi einmal in den Austausch zu treten«, so Keup. Die UOKG fordert einen »konstruktiven« Austausch mit dem Discounter, der nach eigenen Angaben besonderen Wert auf soziale Verantwortung legt. Von Entschädigungszahlungen, die etwa der Möbeldiscounter Ikea, auch so ein früherer Profiteur von Häftlingsarbeit in der DDR, laut WDR ins Spiel gebracht haben soll, ist derzeit noch nicht die Rede.

In 40 Jahren DDR saßen Studien zufolge etwa 250 000 Menschen aus politischen Gründen in Haft. Alle mussten im Strafvollzug Zwangsarbeit leisten. »Weigerten sie sich, zog das erhebliche Repressalien nach sich«, erklärt Peter Keup. Allerdings lässt sich nicht genau beziffern, wie viele Häftlinge insgesamt für bundesdeutsche Firmen tätig waren. Sicher ist aber, was hergestellt wurde. »Produziert wurden Strumpfhosen, Biber-Bettwäsche und Spulen für Elektromotoren im Frauengefängnis Hoheneck«, sagt Keup. Alugehäuse für Fotoapparate seien im Männergefängnis Cottbus ausgestanzt und entgratet worden. Die Pentacon-Kameras seien im Westen bei Foto Porst und über die Versandhäuser Quelle und Otto verkauft worden.

Auch in der Bundesrepublik gab und gibt es in Gefängnissen Pflicht- und Zwangsarbeit. Der Unterschied zur DDR? »Die große Anzahl aus politischen Gründen Inhaftierte, also nach rechtsstaatlichen Gesichtspunkten unrechtmäßig in Haft befindliche und später strafrechtlich rehabilitierte Menschen, waren Teil des innerdeutschen Handels und wurden im Billiglohnland DDR unter höchst problematischen Bedingungen ausgebeutet«, erklärt Keup.

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