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Deep Purple und Co.: Warum können alte Bands nicht sterben?
Bei den großen Bands weiß man, was man hat: Stillstand für immer
They never come back? Der Spruch mag für Boxer gelten, für erfolgreiche Rockmusiker gilt er nicht. Denn sie sind immer schon da. Im März 1981 schaute ich mit meinem Onkel den »Rockpalast«-Auftritt von The Who an. Das war damals ein Höhepunkt im TV-Programm: Konzertübertragung live im Fernsehen und im Radio gleichzeitig! Das erste Lied war »Substitute«. Mein Onkel freute sich sehr und ich fragte ihn: »Was ist das?« »Na, ›Substitute‹ – kennst du das nicht?«, fragte er mich entgeistert von der Seite auf dem Sofa. Es war 1966 ein Hit gewesen, zwei Jahre vor meiner Geburt.
Das einzige Lied der Who, das ich kannte, war »My Generation«. Man kann es sich gut merken, weil Roger Daltrey beim Singen stottert: »I’m not trying to cause a big s-s-sensation … I’m just talkin’ ’bout my g-g-generation«. Später meinte er, es sei im Studio so kalt gewesen, dass er gezittert habe. Tatsächlich stotterte er, damit er »Why don’t you all … f-f-f ...« formulieren konnte, um dann doch nicht »fuck off« zu singen, sondern auf »fade away« abzubiegen, denn sonst wäre das nicht im Radio durchgegangen, auch wenn es dasselbe meint. Diese dezent vulgäre Anspielung fanden alle gut, die Single wurde 1965 Platz 2 in England.
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Das angedeutete »Fuck off« galt für die Welt der Alten und Spießigen, aber niemals für die Band selbst, die das Lied noch immer singt, seit fast 60 Jahren. Einschließlich der berühmtesten Textzeile dieses Songs: »I hope, I die before I get old«. Mittlerweile der Running Gag im Popgeschäft für alle Bands, die so tun, als wären sie unsterbliche Superhelden.
Klar, je jünger man ist, desto älter kommen einem die Älteren vor. 1981 war ich in der siebten Klasse, und schon die Neuntklässler schienen mir auf einem anderen Planeten zu sein. Damals lagen die 60er Jahre nur 13 Jahre zurück. Die Who wirkten auf mich wie eine uralte Band aus der Zeit, als es noch Ritter gab, die auf Burgen lebten. Dabei war Roger Daltrey im »Rockpalast« 37 Jahre alt, ich habe jetzt nachgeschaut.
Mir erschien er wie ein Überlebender. Denn die großen Bands aus den 60ern waren 1981 schon fast alle aufgelöst: Beatles, Deep Purple, Led Zeppelin, Velvet Underground, es gab nur noch die Rolling Stones und die Kinks und eben die Who. Sie waren die Gerüchte der Vergangenheit, über die ich im »Rock Lexikon« las. Ihre Platten musste ich mir zusammenleihen, von Verwandten und älteren Freunden. Denn die 60er galten als Jahrzehnt von zeitloser Eleganz und Rebellion.
Doch ihre Bands schienen verschollen oder tot zu sein. Aber das Verdrängte kehrt stets zurück und sei es als Wiedergrpndung. Diese Bands waren der Kanon vor Punk und sie sind der Kanon nach Punk und verstopfen bis heute alle Besten-Listen der letzten 50 Jahre. Weniger, weil sie so gut sind, sondern weil sie gut im Geschäft sind. Das war die eigentliche »big s-s-sensation«, von der Roger Daltrey immer gesungen hatte. 2023 spielten The Who in der Berliner Waldbühne. Eine Freundin von mir war da, zusammen mit ihrer Tochter, die war so alt wie ich damals bei meinem Onkel. Das Ticket für 150 Euro. Roger Daltrey war 79 Jahre alt, bestes Mick-Jagger-Alter würde man nun sagen, auch wenn der noch ein Jahr älter ist.
In den 80er Jahren kamen einem die Rolling Stones eigentlich noch älter vor als jetzt. Als die Band 1982 ihren 20-jährigen Geburtstag feierte, gab es im Fernsehen eine Extra-Sendung, moderiert von Nina Hagen, die zum Schluss in die Kamera griente: »Wir sehen uns wieder in 20 Jahren.« Heute weiß man, dass dieser Scherz keiner war. »Es gibt die Sonne, den Mond und die Sterne – und die Rolling Stones«, meinte Keith Richards einmal. Die alten Bands wollen niemals sterben. Es sind wertvolle Markennamen, die unbedingt zu konservieren sind, für die großen Konzerte, denn nur die zählen noch, Plattenverkäufe sind kaum noch zu messen. Und trotzdem gibt es diese teuren De-Luxe-Boxsets für die Fans, die sich die dann tatsächlich auch kaufen. Wie verrückt sind diese Leute?
Sie müssen auf jeden Fall mal jung gewesen sein. In der Regel prägen sich die ersten Erlebnisse am besten ein. Musik schaltet sofort Gefühle frei, das schafft sonst nur der Geruch. Die Musik, die man als Jugendlicher gut fand, wird einen niemals verlassen. Im Rock’n’Roll-Märchen ist Stillstand eine mythologische Qualität. Es gilt anscheinend der alte Werbespruch von Persil: »Da weiß man, was man hat.«
Zwar soll das Neue stets das Beste sein, aber das Alte will noch besser sein. Musikalische Weiterentwicklungen über das dritte Album hinaus sind eher die Ausnahme, aber wer will schon Überraschungen? Bewundert wird das ewige Dabeibleiben. Auf die Konzerte pilgern die Großeltern mit den Kindern und Enkeln hin, das behaupten zumindest diese Bands in Interviews. Für jeden sei etwas vorgesehen, meinten Horkheimer und Adorno über die Kulturindustrie, dass es aber immer dieselbe Band sein sollte, davon war nicht die Rede.
Aus großen Namen können aber auch kleine werden. Mitte der 90er Jahre sah ich zufällig in einer niedersächsischen Kleinstadt Hot Chocolate in einem Bierzelt auftreten. 20 Jahre später sah ich an einer Bushaltestelle in Sachsen ein Plakat, das ein Hot-Chocolate-Konzert auf dem Land ankündigte. 1981 hatten sie bei der Hochzeit von Lady Di und Prince Charles gespielt. In irgendeinem Paralleluniversum kann man bestimmt auch den untoten Bay City Rollers begegnen, die es laut Wikipedia seit 1968 gibt. Achten Sie auf die Bushaltestellen in der Provinz! Nein, die verbrauchte Energie bringen sie wahrscheinlich nicht zurück.
Im »Rockpalast« 1981 folgte auf The Who eine weitere Legende: The Grateful Dead. Die gibt es nicht mehr, nach dem Tod ihres Gitarristen Jerry Garcia 1995 lösten sie sich auf, nach vergleichsweise knappen 30 Jahren. Sie waren berühmt für ihre Dreistunden-Konzerte. Ich schlief nach dem zweiten Lied ein, mein Onkel ebenso.
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