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Altern, aber nicht Erwachsenwerden

In der Gesellschaft herrscht ein Ressentiment gegen das Erwachsensein

Hoodie, Cap und Sonnenbrille: Soll cool aussehen, drückt aber eher den Geschmack eines Teenagers aus.
Hoodie, Cap und Sonnenbrille: Soll cool aussehen, drückt aber eher den Geschmack eines Teenagers aus.

Es ist kaum ein Geheimnis, dass Millennials – grob jene zwischen 1980 und 1995 Geborenen – ein Problem mit dem Erwachsenwerden haben. Nicht umsonst heißen sie auch Generation Y, wobei das Y als englisches »Why?« ausgesprochen wird. Das spielt weniger auf eine besonders kritische Haltung gegenüber der Welt an, als vielmehr auf das ständige Hinterfragen und die Selbstzweifel, auf die eben jene zurückgeworfen sind, die die sogenannte zweite Lebenshälfte nicht erreicht haben und im Limbus der Postadoleszenz festhängen.

Strukturell ergibt das alles Sinn: Wer keinen Job mit langfristiger Perspektive und kein Gehalt hat, das Hausbaukredit und Familienplanung erlaubt, für den hat die bürgerliche Gesellschaft eigentlich keinen Zukunftsentwurf zu bieten. Die ganze Gesellschaft erlebt quasi, dass permanente Krise radikale Gegenwart bedingt, denn statt Visionen und Fortschritt gibt es nur noch Regression und ein Vergangenheitsrevival nach dem anderen. In prekärer Existenz entwirft man sich auch nicht in die Zukunft, visiert kaum ein langfristiges Entwicklungsziel an, das einem Konsequenz und Verantwortung abverlangen würde. Eher noch hängt man in der Nostalgie der Kindheit fest, schaut den neunten »Star Wars«-Film noch einmal beim Streaminganbieter oder irgendeine andere der unendlichen Neuauflagen scheinbar heiler Achtziger.

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Erwachsenwerden ist dann tatsächlich nur noch Altern. Das Leben ist statt einer Entwicklung zum Besseren ein bloßer Fluss des Immergleichen, der dann irgendwann einfach abbrechen wird. Wir könnten uns eingestehen, unter diesem Zustand der allgemeinen Zukunftslosigkeit zu leiden – aber stattdessen hat sie zu einem regelrechten Ressentiment gegen das Erwachsensein geführt. Jugendwahn, Anti-Ageing-Kosmetik und die Infantilisierung öffentlicher Kommunikation sind nur die Spitze des Eisbergs einer Ablehnung von Verantwortung, Reife und Triebsublimierung. Wie die Krise des Liberalismus bei vielen zu einem Hass auf die Freiheit führt, wollen manche lieber selbstgewählt Kinder bleiben, als der Enteignung ihrer Zukunft in die Augen zu sehen.

Vielleicht sind es ja ganz selbst- und verantwortungsbewusste Entscheidungen, wenn Männer um die Vierzig herum in bunten Sneakerschuhen und gemusterten Socken, in kurzer Hose und Statement-Shirt, coolem Rucksack und stylishem Basecap einfach aussehen wie 16-Jährige. Oder wenn Menschen, die sich ihrem Lebensgefühl entsprechend immer noch mit den Anfang 20-Jährigen identifizieren, Rückenschmerzen haben und schweren Kater nach dem »Feiern«, das sie als Lebensgewohnheit mitschleifen. Aber selbst wenn, solche Entscheidungen werden »nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen« getroffen, wie Marx schon anmerkte. Und diese Umstände sind eine auf Dauer gestellte Unmündigkeit, aus der die Menschen einmal herausgeführt – ja erwachsen werden sollten.

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