Palästinenser sollen keine Flüchtlinge mehr sein

Israelisches Parlament will die für Palästina zuständige UNRWA-Mission als »Terrororganisation« verbieten

Das Hauptquartier der United Nations Relief and Works Agency (UNRWA) in Gaza
Das Hauptquartier der United Nations Relief and Works Agency (UNRWA) in Gaza

Mit ungewöhnlich deutlichen Worten hat Josep Borrell, der außenpolitische Sprecher der EU-Kommission in Brüssel, auf einen ebenso ungewöhnlichen Angriff gegen eine der ältesten UN-Hilfsorganisationen reagiert. Am vergangenen Montag beschloss das israelische Parlament Knesset, die für Palästina zuständige UNRWA-Mission zukünftig als Terrororganisation zu verbieten. Zwar ist der Beschluss noch nicht rechtskräftig, doch schon jetzt bereiten sich die 30 000 Mitarbeiter auf ein Ende ihrer Mission vor.

Die UNRWA koordiniert die Arbeit kleinerer Hilfsorganisation und versorgt seit 1949 Palästinenser im Westjordanland, Gaza, Ostjerusalem und den Nachbarländern mit Lebensmitteln. Aber auch Schul- und Berufsausbildung fallen in das Mandat der vom UN-Sicherheitsrat beschlossenen Mission. »Die UNRWA als illegal zu bezeichnen, ist schlicht Unsinn«, so Borrell am Donnerstag, »sie für terroristisch zu erklären, gefährdet die regionale Stabilität.« Er lieferte auch gleich seine Erklärung für das Vorgehen der Abgeordneten. Dies sein ein weiterer Versuch, die UNRWA-Mission zu zerstören, so Borrell sichtbar wütend.

Kampagne gegen UNRWA-Mitarbeiter

Der in der Geschichte der Vereinten Nationen wohl einmalige Schritt der Knesset überrascht in Israel niemanden. Im Frühjahr begann die Regierung von Benjamin Netanjahu zunächst mit einer Kampagne gegen zwölf UNRWA-Mitarbeiter, die beschuldigt wurden, direkt oder indirekt am Hamas-Angriff vom 7. Oktober beteiligt gewesen zu sein. Nach einer internen Untersuchung wurden zehn von ihnen entlassen, zwei waren bei israelischen Luftangriffen ums Leben gekommen. Mehrere Länder, darunter Deutschland, stellten zunächst ihre Zahlungen an die UNRWA ein.

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Auf mehreren Pressekonferenzen machten der Sprecher der israelischen Regierung und Berater aus dem Umfeld recht offen klar, dass man sich nur mit der Auflösung der Mission zufriedengeben würde. Verteidigungsminister Joaw Galant behauptete dann, zwölf Prozent der 13 000 in Gaza angestellten UNRWA-Mitarbeiter hätten mit radikalen Gruppen wie der Hamas oder dem islamischen Jihad Kontakt.

Wenig überzeugende Vorwürfe

Mit dem Ende der UNRWA-Mission wollen die Hardliner um Netanjahu einen Schlusstrich unter die Frage des Rückkehrrechts der seit 1948 vertriebenen Palästinenser ziehen. Auch diejenigen, die in Flüchtlingslagern im Libanon, Westjordanland oder Jordanien geboren sind, wollen in das Haus ihrer Groß- oder Urgroßeltern zurück. Deren andauernder Flüchtlingsstatus müsse beendet werden, so das Narrativ der israelischen Ultrarechten.

Doch die vom israelischen Geheimdienst Shin Bet gesammelten Vorwürfe überzeugen auch die Partner Israels nicht. Deutschland hatte bereits im April eine Wiederaufnahme der Förderung angekündigt. Auch die EU, Frankreich, Schweden und Japan hoben den Finanzierungsstopp inzwischen wieder auf. Nun hat Großbritannien angekündigt, die Zahlungen an UNRWA wieder aufzunehmen, um die humanitäre Lage in Gaza nicht weiter zu verschlimmern. »Wir heben die Aussetzung der UNRWA-Finanzierung auf«, erklärte der britische Außenminister und Labour-Politiker David Lammy kürzlich im Unterhaus in London.

Er fügte an, die Organisation sei für die Bereitstellung humanitärer Hilfe im Gazastreifen »absolut zentral«. Die damalige konservative britische Regierung hatte, wie andere Geberstaaten, die Finanzierung des UNRWA im Januar unterbrochen. Der britische Außenminister Lammy sagte zudem die Zahlung von zusätzlichen umgerechnet rund 25 Millionen Euro an UNRWA zu.

Er sei »entsetzt« gewesen über die Vorwürfe gegen das UN-Palästinenserhilfswerk. Nach den von einer unabhängigen Stelle vorgeschlagenen Reformen sei er aber beruhigt, dass »UNRWA sicherstellt, dass es die höchsten Neutralitätsstandards erfüllt und seine Verfahren, auch bei der Überprüfung von Mitarbeitern, verbessert«.

Den radikalen Siedlern, die vor dem UNRWA-Hauptquartier in Jerusalem demonstrieren, ist das alles egal. »Die müssen weg«, sagt einer, »das sind Terroristen.« Noch ist völlig unklar, ob die Arbeit von UNRWA zumindest in Israel verboten wird.

Mit dem Ende der UNRWA-Mission wollen die Hardliner um Netanjahu einen Schlusstrich unter die Frage des Rückkehrrechts der seit 1948 vertriebenen Palästinenser ziehen.

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