Lieber einen Espresso oder ein Kind?

Die Technik hält den Menschen im Dauerbetrieb

Als die Technik noch nicht mit den Menschen sprechen wollte: So stellte man sich 1982 die Zukunft der Espressomaschine vor und nannte dieses Modell »Futura« (ganz ohne Journalistenschule).
Als die Technik noch nicht mit den Menschen sprechen wollte: So stellte man sich 1982 die Zukunft der Espressomaschine vor und nannte dieses Modell »Futura« (ganz ohne Journalistenschule).

Ich bin mir nicht sicher, ob in einer besseren Zukunft nicht unsere Abhängigkeit von moderner Technologie radikal verringert werden müsste. Für den Fortbestand der Menschheit braucht es Menschen dringender als Maschinen. Andererseits: Wenn ich daran denke, was für eine Unmenge an Zeit, Aufmerksamkeit und Zuwendung meine neue Espressomaschine täglich verlangt, bin ich ganz froh, keine Kinder zu haben.

Die Maschine quengelt nicht ständig, und es besteht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei ihr auch nicht die Gefahr, dass sie, sobald sie 16 ist, zum Nazi wird. Aber man stelle sich vor: Auch bei ihr geht am frühen Vormittag schon das Theater los. Kaum hat man sich den ersten Espresso des Tages bereitet – ein Vorgang, der seitens des Geräts zwar nicht von Geheule, aber von lauten, auffahrunfallähnlichen Geräuschen begleitet wird –, beginnt der Apparat schon, Forderungen zu stellen. Eine Leuchtschrift fängt an, aggressiv zu blinken, und signalisiert mir, dass ich mich möglichst umgehend um Nachschub oder Reinigung kümmern möge: »Bohnen nachfüllen«, »Kaffeesatz leeren«, »Wasser einfüllen«. Immer im Befehlston!

Die gute Kolumne

Thomas Blum ist grundsätzlich nicht einverstanden mit der herrschenden sogenannten Realität. Vorerst wird er sie nicht ändern können, aber er kann sie zurechtweisen, sie ermahnen oder ihr, wenn es nötig wird, auch mal eins überziehen. Damit das Schlechte den Rückzug antritt. Wir sind mit seinem Kampf gegen die Realität solidarisch. Daher erscheint fortan montags an dieser Stelle »Die gute Kolumne«. Nur die beste Qualität für die besten Leser*innen! Die gesammelten Texte sind zu finden unter: dasnd.de/diegute

Im Gegensatz zu einem durchschnittlichen Kind, bei dem ja in Hinblick auf Benutzerfreundlichkeit erheblicher Nachbesserungsbedarf besteht, hat die Maschine zwar erfreulicherweise eine Art Einfüllstutzen (für Wasser) und zwei abgetrennte Kammern, die das Befüllen und das Entsorgen der Abfälle deutlich einfacher machen als bei einem Kind, das aller Erfahrung nach andauernd unkoordinierte Bewegungen macht und für welches genau genommen vermutlich auch Kaffeebohnen auf Dauer kein geeignetes Füllmaterial wären, aber dennoch verlangt auch der Espressoautomat nach kontinuierlicher Betreuung. (Interessant ist in diesem Kontext, dass die in der Bedienungsanleitung zu findenden Hinweise des Herstellers zur sachgemäßen Reinigung des Apparats sich lesen, als ließen sie sich ohne Weiteres auch auf das Säubern von Kindern anwenden: »Frische Milchreste lassen sich einfach entfernen – also bloß nichts antrocknen lassen! Mit einem sauberen, feuchten Tuch abwischen!«)

Und den ganzen Aufwand betreibt man nur, damit man hinterher in seiner Tasse eine verschwindend kleine Espressopfütze vorfindet, die einen gerade mal wach genug macht, um unverzüglich den nächsten von dem Gerät gestellten Forderungen nachzukommen. Ein teuflischer Kreislauf, den man erst durchschaut, wenn es zu spät ist und sich die Höllenmaschine bereits in der Küche festgesetzt hat wie der Hausschwamm im Mauerwerk.

Gut, nun werden Sie sagen: »Worüber beschwert der dumme Mann sich denn? Er hat keine schreienden und wimmernden Bälger zu versorgen und großzuziehen und besitzt eine leidlich funktionierende Espressomaschine. Es stünde ihm gut an, wenn er zufrieden wäre und die Klappe hielte.« Aber ganz so einfach ist es eben nicht. Denn die Wahrheit ist: Die Maschinen übernehmen mehr und mehr die Macht.

Auch die in den Maschinen installierte Künstliche Intelligenz ist auf dem Vormarsch. Nicht nur von unseren Haushaltsgeräten werden wir täglich auf Trab gehalten und terrorisiert. Ob Home-Computer im Dauerbetrieb, elektronische Verkehrsleitsysteme, Finanzmarkt-Algorithmen oder havariertes Atomkraftwerk: Maschinen und Künstliche Intelligenzen (KI) verewigen das Elend der kapitalistischen Industriegesellschaft. Ohne ihr Smartphone oder ihr Tablet in den Händen fühlen sich heute viele Menschen wie amputiert. Die Maschinen unseres Alltags sind zu einer einzigen riesenhaften Maschine geworden, und der Mensch ist längst zu ihrem hilf- und bewusstlosen Anhängsel mutiert, wie schon vor über 60 Jahren der Philosoph und Technikkritiker Günther Anders prophezeite.

Und sind die in jüngster Zeit so gefeierten KI, da es sich ja um Technologien handelt, die menschliches Denken und Handeln imitieren (und den Menschen am Ende möglicherweise substituieren), nicht am Ende auch eine spezielle Sorte Maschinen? Auch Journalisten werden von Künstlichen Intelligenzen wie dem textproduzierenden Chatbot ChatGPT (und dessen Nachfolgemodellen) mit der Zeit überflüssig gemacht. Aber das scheint mir bei genauerem Hinsehen nicht das Schlechteste. Selbst dann nicht, wenn die Firma, die ChatGPT erfunden hat, »Cyberdyne Systems« hieße statt »Open AI«. Keine Maschine, keine Künstliche Intelligenz dürfte dazu in der Lage sein, sprachlich so viel nackten Terror über die Welt zu bringen wie eine durchschnittliche deutsche Journalistenschule. (»Eine Reportage muss sinnlich sein: Der Reporter gibt wieder, was er fühlt, empfindet, spürt.«)

Allerdings: Die KI werden vom Menschen trainiert, lernen von ihm, was heißt, dass sie von jener Mischung aus Kitsch, Propaganda und anderem sprachlichen Unrat lernen, die sich unter dem Namen Journalismus im Internet mehr und mehr verdichtet zu riesigen virtuellen Sprachmüllbergen, die minütlich wachsen. Sicher ist also: Wenn Maschinen und moderne Technologien uns eines Tages vollständig ersetzt haben werden, wird’s auch nicht besser werden.

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