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Von Hasen, Jägern und Historikern

Aus für die Berliner Gesellschaft für Faschismus- und Weltkriegsforschung. Wer treibt künftig marxistische Faschismusanalyse voran?

  • Manfred Weißbecker
  • Lesedauer: 8 Min.
Fotomontage von John Heatfield: Anklage an einen kriegslüsternen Raubtierkapitalismus
Fotomontage von John Heatfield: Anklage an einen kriegslüsternen Raubtierkapitalismus

Der Blick zurück darf durchaus ein stolzer sein. Selbstverständlich muss er auch kritisch-prüfend geraten. Beides halte ich für berechtigt: Einerseits kann Freude und ein gewisses Maß an Zufriedenheit gezeigt werden, andererseits ist zu suchen nach Vergebenem und Vergeblichem. Anerkennung ist möglich für eine wohl als gelungen zu bezeichnende Selbstvergewisserung nach dem unmittelbar erlebten totalen Umbruch von 1989/90. Radikale Selbstbefragung führte zu Selbstbehauptung.

Wovon hier die Rede ist? Von der Berliner Gesellschaft für Faschismus- und Weltkriegsforschung (BG). Dieser im März 1992 gegründete Verein wird sich – ob kräftemäßiger Erschöpfung und mangelnder finanzieller Ressourcen – zum Jahresende auflösen. Vermutlich wird dies in der Öffentlichkeit kaum beachtet werden. Niemand wird von einem Flurschaden sprechen oder gar protestieren, wie das im Zusammenhang mit der für 2028 geplanten Schließung des Hamburger Instituts für Sozialforschung der Fall ist. Dennoch lohnt ein Blick auf ihre Geschichte.

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Diese Berliner Gesellschaft war hauptsächlich von Mitgliedern des abgewickelten Instituts für Geschichte an der Wissenschaftsakademie der DDR geschaffen worden und über Jahrzehnte hinweg erfolgreich tätig. Dank auch hinzugekommener Mitglieder aus der westdeutschen Historikerzunft. Die BG verlangte von sich eine »gemeinsame Streitkultur, die den Respekt vor der Person und der wissenschaftlichen Leistung voraussetzt, doch die vorgestellten Auffassungen unter der Verpflichtung auf Wahrheit der Kritik unterwirft«. Sie wollte ein Forum der Kommunikation und der Urteilsbildung sein.

Sie entstand nicht in einem luftleeren Raum, sie arbeitete unter bestimmten politischen Verhältnissen, die immer noch kritischer Aufarbeitung bedürfen – vielleicht sogar mehr denn je. Dazu wird allerdings nach wie vor von den einstigen Akteuren der »Abwicklungs«- und Verdrängungsprozesse nichts Erhellendes zu erwarten sein. Für sie zählt immer noch als ein zu feiernder Erfolg, eine Mehrheit der Historikerinnen und Historiker der DDR im »vereinigten« Deutschland entlassen, in die Arbeitslosigkeit gedrängt und aus dem staatlich geförderten Wissenschaftsbetrieb ausgeschlossen zu haben. Energischer, als nach 1945 Institute von Nazis bereinigt wurden. Sie wollten auch siegen über marxistische Auffassungen zu Faschismus und Antifaschismus.

Daran ist nicht zuletzt deshalb zu erinnern, weil mit dem Ende der Berliner Gesellschaft möglicherweise eine zweite »Abwicklung« erfolgt, eine Ausschließung des von ihr geförderten Denkens und Gedenkens historiografisch, medial und digital betriebener Geschichtsdeutung. Es gilt nach wie vor, was der US-amerikanische Historiker Howard Zinn in seiner 1980 erschienenen »Geschichte des amerikanischen Volkes« schrieb: »Solange die Hasen keinen Historiker haben, wird die Geschichte von den Jägern erzählt.«

Es gab nach der »Vereinigung« keinerlei Möglichkeiten einer Fortsetzung von Faschismusforschung in den personell »bereinigten« und schließlich aufgelösten Akademie- und Hochschulinstituten in Ostdeutschland. Neues hätte sich auch nicht mit der an sich selbst gescheiterten Historiker-Gesellschaft der DDR angeboten. Vor allem durfte selbst eine kritisch-konstruktive Weiterführung bisheriger Faschismusforschung nach dem Willen des Wissenschaftsrates der Bundesregierung und des westdeutschen Historikerverbandes nicht sein. Strikt wurde jede organisatorische Zusammenführung abgelehnt. Auch die Idee des FU-Professors Wolfgang Wippermann, ein neues eigenständiges Institut zu schaffen, fand keine Zustimmung.

Zumeist wurde – nach einer kurzen Phase illusionärer Erwartungen – in relativ kleinen Kreisen versucht, sich in den neuen Verhältnissen zurechtzufinden und den alltäglich-schmählichen Diskreditierungen zu trotzen. Entstanden ist zunächst – bevor sich später mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung ein gewisses Zentrum formieren konnte – ein bunter Flickenteppich an einzelnen Vereinen, sortiert zumeist nach Wissenschaftsdisziplinen, regionalen und lokalen Bedingungsfeldern, (partei)politischen Interessen und nicht zuletzt auch nach generationsbedingten Aspekten. Allein im Bereich der Geschichtswissenschaft wären zu nennen die Zeitschriften »Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung« und »Berliner Debatte Initial«, der Förderkreis Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung, die Gesellschaft für sozialwissenschaftliche Forschung und Politik und die Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrechten und Menschenwürde (GBM) sowie die Alternative Enquete-Kommission Deutsche Zeitgeschichte u.a.m. Davon sind einige bereits nicht mehr existent.

Die Berliner Gesellschaft, von der hier die Rede sein soll, scheint eine der größten Gruppen mit eigener wissenschaftlicher Tätigkeit gewesen zu sein, zudem eine, die früher relativ stark getrennt tätige Forschungsbereiche nun in sich vereinte: Faschismusforschung, Weltkriegsforschung, Widerstandsgeschichte und Erinnerungspolitik. Von Anfang an wirkten fordernd und fördernd auch Historiker aus den alten Bundesländern mit, darunter Karl Heinz Roth. Zugleich bot die Berliner Gesellschaft Platz für jüngere Mitglieder. Sie trat mit deutschlandweit beachteten Publikationen und Tagungen in Erscheinung, stets bemüht, neue Forschungsergebnisse in der Öffentlichkeit bekannt zu machen sowie die Zusammenhänge von Expansion, Faschismus, Widerstand, Weltkrieg, Völkermorden und Okkupation aufzuzeigen.

Zu den großen Leistungen der Berliner Gesellschaft gehörten die verdienstvoll aus DDR-Zeiten fortgesetzte Reihe der Dokumentenbände »Europa unterm Hakenkreuz« und die zwei Bände zur Abwicklung der DDR-Geschichtswissenschaft von Werner Röhr, einem der Initatoren der BG und auch deren langjähriger geschäftsführender Vorstand. Unübersehbar ist aber auch, dass im Laufe der Jahre an die Stelle der gewohnten kollektiven und mitunter auch genutzten interdisziplinär angelegten Arbeitsweisen verstärktes Einzelgängertum trat, das letztlich die Basis für eine weiterführende Faschismustheorie einschränkte. So warnte ein Grußwort aus Anlass des zehnjährigen Bestehens, es würde eine »Vereinzelung des Interesses und damit einhergehend die Vernachlässigung der Klärung übergreifender Fragen« geben, worunter die Arbeit der BG »zunehmend zu leiden scheint«. Zudem hieß es weiter: »Zwischen Geschichtsschreibung, Geschichtstheorie und Geschichtsphilosophie scheinen sich immer tiefere Gräben aufzutun.« Im Vordergrund stand das Faktische und Dokumentarische, was eine unersetzbare Grundlage für alle Darstellungen war und bleibt, wie auch als Ausgangspunkt für eine tragfähige, möglichst komplexe Faschismustheorie. Im Laufe der Jahre veränderte sich merklich die Relation zwischen umfassenden Monographien einerseits und kleineren, wenn auch in keiner Weise klein zu redenden Publikationen andererseits zu Gunsten letzterer.

Dennoch dürfte die Berliner Gesellschaft einen nicht unerheblichen Platz in der Geschichte der deutschen Geschichtsschreibung und überhaupt Wissenschaftsgeschichte einnehmen. Militärisch gesprochen: Sie entstand unter feindlichem Beschuss und schuf dennoch Beachtenswertes. Ein Verdienst beispielsweise ist, dass nicht nur mit dem Namen, sondern der konkreten Arbeit in der Berliner Gesellschaft Faschismus- und Weltkriegsforschung zusammengeführt worden sind. Sie richtete, stärker als es in der DDR getan wurde, den Blick auf die rassistische Ideologie des deutschen Faschismus und deren Wirkungsmöglichkeiten sowie auf Formen und Strukturen faschistischer Organisiertheit. Man bemühte sich um die Präzisierung und Erweiterung einer marxistischen Deutung des Faschismus. Wider dem heute wieder dominierenden entökonomisierten Denken und neuen einseitig ideologiefixierten Deuten, das sich zudem oft lediglich auf Nationalismus, Feminismus, Rassismus oder speziell auf Antisemitismus beschränkt, untersuchten die Mitglieder der Berliner Gesellschaft auch sozialökonomische Ursachen und Zusammenhänge für Weltkriege und Faschismus.

Anknüpfend an das Wort von Max Horkheimer, wer nicht vom Kapitalismus reden wolle, sollte vom Faschismus schweigen, wäre indes gewiss mehr und deutlicher zu beachten, dass mit dem Begriff Kapitalismus nicht allein die Wirtschaft oder die ökonomischen Interessen jeweils dominierender Großindustrieller und Bankiers gemeint sein dürfen. Zu reden ist über den Kapitalismus als ein Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, dessen soziale, politische, rechtliche und kulturell-geistige Verhältnisse bedingt sind durch anhaltendes Streben nach Gewinnmaximierung und Konkurrenzfähigkeit sowie zugleich Krisenanfälligkeit. Dies zudem unter begrenzter Berücksichtigung von Nachhaltigkeit, Menschenwürde und sozialer Gerechtigkeit unter kapitalistischen Bedingungen.

Zugleich gilt es, den Kapitalismus in seinen unterschiedlichen konkreten Erscheinungsformen sowie seine Entwicklungsprozesse zu analysieren. Nationalstaatlich organisierter Kapitalismus bot für den historischen Faschismus einen günstigen Nährboden. Heute dominiert Kapitalismus in einem globalisierten Geflecht weltweiter Beziehungen. Neuer Faschismus kann sich durchaus in einer von tiefen Widersprüchen und Krisen aller Art durchzogenen Gemengelage aus weltweit agierendem Kapitalismus, multipolarer Welt(un)ordnung sowie aus regionaler und nationaler Machtpolitik entfalten, könnte aber mit seinem nationalistisch-rassistischem Grundgehalt den globalen Interessen dysfunktional entgegenwirken. Zudem: Dem historischen Faschismus ging es in politischer Hinsicht hauptsächlich um den Kampf gegen Kommunismus und Sozialismus. Für große Teile der Eliten galt er als notwendig für das Bewahren bestehender gesellschaftlicher Verhältnisse vor möglichen revolutionären Veränderungen. Solchen Gefahren sieht sich das die bürgerlich-parlamentarische Demokratie bevorzugende Kapital nicht ausgesetzt. Jene Kräfte, die für linke Alternativen eintreten, scheinen auf ein erträgliches Maß gestutzt zu sein. Daher engen sich die Möglichkeiten eines neuen Faschismus als diktatorisch-terroristisches Machtsystem auf nationaler Ebene erheblich ein. Neue Bereiche tun sich ihm eher auf durch wachsende Gewalt- und Kriegsbereitschaft, stark zunehmende Aufrüstung sowie eine wirksame Militarisierung aller Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Es droht eine Faschisierung der Politik in den großen Machtzentren der Welt. Kapitalistisch fundiertes Gewinnstreben verstärkt die Konkurrenz im Streben nach einer zu erhaltenden oder zu erringenden Vormachtstellung.

In jeder Hinsicht trifft wohl ein Gedanke zu, mit dem vor nahezu drei Jahrzehnten Kurt Pätzold und ich das Buch »Geschichte der NSDAP« beendeten: »… das zunächst abgewiesene Erbe des Faschismus wird an anderer Stelle längst auf seine Verwendbarkeit schon durchgesehen und sortiert, und seine Teilstücke sind unter anderem Namen in der Erprobung.« Feindbilder, Hass, Intoleranz und fanatische Gewaltbereitschaft bewirken eine abnehmende Distanz zum historischen Faschismus. Dessen Ideen sind hingegen, wie auch sich radikalisierende, militante Scharen und Gemeinschaften, auf dem Vormarsch.

Von Prof. Dr. Manfred Weißbecker, Faschismusforscher in Jena, ist ein ausführlicherer Beitrag zum Thema in der jüngsten Ausgabe von »Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung« erschienen.

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