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Deutsche Kampfjets auf Welttournee
In Indien läuft derzeit das letzte von fünf Luftwaffenmanövern, an denen die Bundeswehr federführend beteiligt ist
Natürlich betont Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, die aktuelle weltumspannende Luftwaffenmanöverserie »Pacific Skies« unter Führung der Bundeswehr diene vor allem der Verteidigung der »regelbasierten« Ordnung. Schließlich träten »autoritäre Regime« immer aggressiver auf. Damit ist in erster Linie China gemeint. Aber auch Russland, als dessen stärkster Verbündeter die Regierung in Peking gilt, und Nordkorea.
Ganz unverblümt sagt der SPD-Mann aber auch, man wolle und müsse wirtschaftliche Interessen Deutschlands und Europas schützen, indem man in einer immer stärker »zusammenrückenden« Welt militärisch Präsenz zeige. Als drittgrößte Volkswirtschaft der Welt müsse die Bundesrepublik dafür sorgen, »den freien Handel auf den Weltmeeren« aufrechtzuerhalten.
Tobias Pflüger, Friedensforscher und bis 2021 Linke-Bundestagsabgeordneter, findet, mit der vom Umfang her beispiellosen Luftwaffenübungsserie werde wieder »eine rote Linie« übertreten, insbesondere wenn man bedenke, dass deutsche Soldaten beim Teilmanöver »Nippon Skies« in Japan erstmals seit 1945 wieder mit einem der wichtigsten Verbündeten des Hitlerregimes zusammen trainieren. Zudem sei es bemerkenswert, wie offen sich die Bundesrepublik mit den Manövern »gegen China wendet«, sagte Pflüger dem »nd«. Noch vor Kurzem seien sich die Berater der Bundesregierung einig gewesen, dass man sich »China nicht als Gegner leisten« könne.
Angriff und Verteidigung trainiert
Ihren Anfang nahm die Übungsreihe allerdings im US-Bundesstaat Alaska, wo die Bundeswehr ab Mitte Juni zunächst Tiefflüge übte – und dann ab dem 8. Juli das Nato-Manöver »Artic Defender« leitete, bei dem explizit eine militärische Auseinandersetzung mit Russland geprobt wurde. Laut Bundeswehr wurden mit insgesamt 46 Kampfjets, Hubschraubern, Transport- und Tankflugzeugen neben Operationen mit Marineeinheiten »Luftangriff wie Luftverteidigung, aber auch die Betankung in der Luft« trainiert. Beteiligt waren auch die französische und die spanische Luftwaffe. Das Gros der Maschinen (28) stellte die Bundesrepublik.
Von Alaska flog jeweils ein Teil der deutschen Flieger nach Japan, Australien und Hawaii zu teils zeitgleich stattfindenden Übungen, darunter das USA-geführte Seemanöver Rimpac, an dem auch zwei deutsche Schiffe beteiligt waren. Den Abschluss bildet das am Mittwoch zu Ende gehende Manöver »Tarang Shakti« in Indien gemeinsam mit der dortigen Luftwaffe
Die Führung bei allen fünf »Verlegungen« hat übrigens Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz inne. Jener Mann also, der im Frühjahr in die Kritik geraten war, weil er mit drei weiteren hochrangigen Kameraden in einer schlecht vor dem Abhören durch Dritte geschützten Videokonferenz erörterte, wie man den – bislang von Kanzler Olaf Scholz abgelehnten – Einsatz deutscher Taurus-Marschflugkörper in der Ukraine so gestalten könnte, dass die komplexen Lenkraketen nicht direkt von Bundeswehrangehörigen bedient werden und Deutschland so weiter als Nicht-Kriegspartei gelten könne. Die im lockeren Plauderton gehaltene Besprechung wurde gehackt und vom russischen Staatssender RT komplett veröffentlicht.
Für Gerhartz hatte der »Taurus Leak« kaum negative Folgen. Der 58-Jährige musste nur eine Disziplinarstrafe zahlen. Seine technische und strategische Expertise wie auch seine Routine im Umgang mit Politikern und Medienvertretern machen den aktiven Eurofighter-Piloten offenbar unersetzlich.
Auch in Indien, wo seit dem 7. August die letzte Übung der Serie – die erste mit der dortigen Air Force gemeinsam abgehaltene überhaupt – stattfindet, machte Gerhartz als Redner an der Führungsakademie der indischen Streitkräfte eine gute Figur. Am Manöver »Tarang Shakti« sind neben indischen und deutschen Piloten auch Angehörige der spanischen, französischen und britischen Luftwaffe beteiligt.
Die indische Regierung hat ihrerseits Interesse an einer Demonstration militärischer Stärke gegenüber dem ewigen Rivalen China und führt die Übung nach Ende des internationalen Teils am Mittwoch noch weiter. Die deutsche Rüstungsindustrie hofft nebenbei auch auf die Anbahnung eines milliardenschweren U-Boot-Geschäfts. Die Regierung in Neu-Delhi sucht einen Kooperationspartner für die Produktion von konventionellen U-Booten in Indien mit Technologietransfer. Derzeit werden Vorschläge einer deutsch-indischen und einer spanisch-indischen Kooperation geprüft.
In schlechter Tradition
Mit dem offenen Reden über die Funktion der Bundeswehr als Schutzmacht der deutschen Wirtschaft in aller Welt ist Pistorius heute nicht allein. Es ist schlicht Normalität bei SPD, Grünen, FDP, CDU und CSU. Vor 14 Jahren war das noch anders. Als der damalige Bundespräsident Horst Köhler (CDU) 2010 in einem Interview die Notwendigkeit auch militärischer Sicherung deutscher Wirtschaftsinteressen betonte, gab es einen öffentlichen Aufschrei. Er hatte gesagt, für ein Land mit einer solchen »Außenhandelsabhängigkeit« wie die Bundesrepublik sei »im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig, um unsere Interessen zu wahren«, regionale »Instabilitäten zu verhindern«, die negative Folgen für Deutschland haben könnte.
Die politischen Attacken auf Köhler waren danach so heftig, dass er sich zum Rücktritt entschloss. Der damalige Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin zog gar einen Vergleich zur deutschen »Kanonenbootpolitik« Anfang des 20. Jahrhunderts. Vielfach wurde moniert, dass Köhler nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehe, das »Wirtschaftskriege« verbietet.
Dabei hatte der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) schon 1992, also kurz nach der »Wiedervereinigung«, neue verteidigungspolitische Richtlinien erlassen, in denen die Wahrung und Durchsetzung der »legitimen nationalen Interessen« Deutschlands auf der ganzen Welt als Aufgabe der Bundeswehr formuliert wurde. Explizit wurden die »Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt« und die »Einflussnahme auf die internationalen Institutionen und Prozesse im Sinne unserer Interessen und gegründet auf unsere Wirtschaftskraft« benannt.
Gut ein Jahrzehnt später wurden die Richtlinien unter dem SPD-Verteidigungsminister Peter Struck nochmals reformiert und die Umwandlung der Bundeswehr von einer territorialen Verteidigungsarmee in eine international agierende Interventionstruppe als Ziel ausgegeben.
Auf all das kann sich Pistorius nun berufen. Und so verwundert es nicht, dass er dieser Tage in einem Interview betonte, Horst Köhler habe damals recht gehabt. Heute träfen seine Worte angesichts der »veränderten Weltlage« umso mehr zu.
Vor 14 Jahren trat ein Bundespräsident zurück, nachdem er die Sicherung deutscher Handelswege in aller Welt als Aufgabe der Bundeswehr beschrieb. Wenn Verteidigungsminister Pistorius das heute sagt, gibt er die Mehrheitsmeinung in der deutschen Politik wieder.
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