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  • Sorbische Filmlandschaften

Für Sorben, mit Sorben

Ein Buch gibt einen lebendigen Überblick sorbischen Filmschaffens vom Kaiserreich bis in die Gegenwart

  • Günter Agde
  • Lesedauer: 3 Min.
Ulrike Krumbiegel in der Rolle der Ena mit einer Holzfigur der Göttin Sivas im Film »Sehnsucht«
Ulrike Krumbiegel in der Rolle der Ena mit einer Holzfigur der Göttin Sivas im Film »Sehnsucht«

Filme von Sorben, für Sorben, mit Sorben – so könnte man den Inhalt dieses opulenten und reich bebilderten Sammelbandes umschreiben, der über alles Filmhistorische hinaus auch einen Ausschnitt deutscher Geschichte spiegelt. Zugleich präsentiert das Buch ein Phänomen: sorbische Identitäten, das heißt, eine kleine Volksgruppe mitten in Deutschland in einem modernen Massenmedium, die lange übersehen wurde und nun durch diese Enzyklopädie dem Vergessen entrissen wird. Die Monografie mit Beiträgen sorbischer und deutscher Autorinnen und Autoren gibt einen lebendigen Überblick sorbischen Filmschaffens vom Kaiserreich bis in die Gegenwart. Da werden 150 Filme dargestellt, die Produktionsbedingungen und die Macher beschrieben.

Oft wurde die Lausitz nur als Drehort genutzt: zum Beispiel in der kleinen filmischen Rarität »Der fremde Vogel« mit dem treffenden Untertitel »Eine Liebestragödie im Spreewald« und dem damaligen Stummfilmstar Asta Nielsen (1911, Urban Gad), der mit allen nur denkbaren sorbischen Folklore-Zutaten hantiert: Kostüme, Hauben, Spreewaldkähne, die vielen Kanäle. In der NS-Zeit war – entsprechend der NS-Rassenideologie – alles Sorbische unterdrückt, auch die Zweisprachigkeit deutsch-sorbisch.

Der Schwarz-Weiß-Film »Struga – Bilder einer Landschaft« (1972, Konrad Herrmann) ist der erste DDR-Film, der sich mit dem Heimatverlust der Sorben durch den Braunkohleabbau in der Lausitz beschäftigt. Das zeigt Konrad Herrmann in poetischen Bildern, auch die Zerstörung der Heidelandschaft. Der Spielfilm »Sehnsucht« (1990, Jürgen Brauer) geht Jahrzehnte später der gleichen Problematik mit einer Liebesgeschichte zwischen einem »Zugereisten« (Ulrich Mühe) und einer Sorbin (Ulrike Krumbiegel) nach.

Ein großer Teil der Publikation widmet sich den Sorben-Filmen in der DDR, weil sich in der HFF (Filmuniversität Babelsberg »Konrad Wolf«) ein stabiler Partner fand, der sich lebhaft für die Besonderheit dieser einzigen, staatlich anerkannten ethnischen Minderheit der DDR interessierte und junge Filmemacher und Produktionskapazitäten zur Verfügung stellte. Auch das DDR-Fernsehen engagierte sich. Sie waren auch Mitbegründer einer eigenen Produktionsgruppe »Sorbischer Film« (Serbska filmowa skupina) mit Sitz in Bautzen. Erfreulicherweise werden auch viele Personalia derjenigen Leute mitgeteilt, die über die Jahre diese besondere Produktion am Laufen hielten, auch die Leute im Hintergrund, ohne die ja keine Filmproduktion erfolgreich funktionieren kann.

Das Bildgedächtnis der Sorben wird vor allem von Folklore besetzt: Trachten, Frisuren, Rituale (zum Beispiel bei Hochzeiten), Volkssitten und Gebräuche: der Hochzeitsbitter, Flachsspinnen, und die Lausitz-Landschaft sowieso plus Heuschober plus Gondeln plus viele flache Kanäle. Nach Art volkskundlicher Kulturfilme verschiedener Länge und Genres helfen Filme, die ethnische Identität zu bewahren, wenngleich ihre gegenwärtige Präsentation in Kino und Fernsehen nicht ihrem medialen und ideellen Wert entspricht. Ganz am Ende gehört die Spreewald-Krimiserie »Wolfszeit« mit dazu. Auch sorbische Autoren wie Jurij Brězan und Jurij Koch und die berühmte Sorben-Märchenlegende »Krabat« lieferten Material für Filme.

Der grundlegende Wandel der Lausitz durch die Industrialisierung bedeutete einen radikalen Umbruch der Kulturlandschaft, der sich auch die Filmleute stellen mussten und stellten.

Sorgfältig referiert die Mitherausgeberin Grit Lemke gegen Ende des Buches alle sorbischen Filmaktivitäten der letzten Jahrzehnte. Da gab und gibt es viele, oft kleine Firmen, die wacker und zäh kämpfen. Das Filmfestival Cottbus hat daran erheblichen Anteil, indem es durch Platzierung und Preisvergabe auch kleine Produktionen unterstützt.

Eine besondere Bildästhetik entwickelten die Sorben-Filme nicht, wenn man nicht die vielen Bildsignale sorbischen Charakters einrechnen will. Allein: Das ist das Ansehen allemal wert, und so auch die Lektüre dieses Buches.

Grit Lemke, Andy Räder (Hg.): Sorbische Filmlandschaften. Serbske filmowe krajiny. Defa-Schriftenreihe, Bertz und Fischer, 416 S., br., 43 Fotos, inkl. 2 DVDs, 39 €.

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