Thälmann-Mord vor 80 Jahren: Von der BRD ungestraft

Vor 80 Jahren, am 18. August 1944, wurde Ernst Thälmann auf Hitlers Befehl hin erschossen

  • Ronald Friedmann
  • Lesedauer: 6 Min.
Ernst Thälmann in seiner Gefängniszelle; eine der letzten Aufnahmen vom KPD-Vorsitzenden
Ernst Thälmann in seiner Gefängniszelle; eine der letzten Aufnahmen vom KPD-Vorsitzenden

Am 14. August 1944, wenige Wochen nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler, begab sich Heinrich Himmler, der »Reichsführer SS« und Reichsinnenminister, zu einem in dieser Form ungewöhnlichen Gespräch mit seinem »Führer« in die »Wolfsschanze«: Nur Hitler persönlich konnte über das Schicksal so prominenter Gegner und Kritiker des Regimes entscheiden wie das des vormaligen deutschen Botschafters in der Sowjetunion, Werner Graf von der Schulenburg, oder der Marschälle Günther von Kluge und Erwin Rommel. Auf der Liste, die Himmler mit sich führte, stand auch der Name Ernst Thälmann, der von 1925 bis zu seiner Verhaftung im März 1933 an der Spitze der KPD gestanden hatte.

Zunächst hatte die Hitler-Regierung geplant, Thälmann in einem großen Prozess abzuurteilen und mit dem Urteil gegen ihn auch ein Verdikt gegen die gesamte kommunistische Bewegung zu verhängen. In monatelanger Arbeit wurde eine Anklageschrift zusammengezimmert, die den fortgesetzten »Hochverrat« Thälmanns belegen sollte. Die Verhandlung vor dem berüchtigten Volksgerichtshof sollte »Enthüllungen von ganz außerordentlicher Bedeutung über die kommunistische Gefahr, die Deutschland und der Welt gedroht habe, bringen«, wie es ein hochrangiger Beamter des Reichsinnenministeriums noch im Februar 1935 formulierte.

Doch große Begeisterung für den Prozess gab es bei den Nazi-Behörden nicht. Zu frisch war die Erinnerung an die blamable Niederlage beim Reichstagsbrandprozess im Herbst 1933, der mit dem Triumph Georgi Dimitroffs, des »Löwen von Leipzig«, und dem Freispruch für die vier kommunistischen Angeklagten geendet hatte. Und die Staatsanwaltschaft hatte große Zweifel, dass die Beweise gegen Thälmann für das gewünschte Todesurteil oder zumindest die Verhängung lebenslanger Haft ausreichen würden.

Nach mehrfacher Verschiebung des Prozessbeginns fiel im November 1935 die Entscheidung, auf einen Prozess gegen Thälmann zu verzichten. Es gebe »andere und unschädlichere Wege, Thälmann in sicherem Gewahrsam zu behalten«, hatte ein leitender Mitarbeiter der Gestapo zuvor verkündet.

Für Thälmann war die Absage des Prozesses eine große Enttäuschung. Er war überzeugt, dass es ihm – wie zuvor Dimitroff – gelungen wäre, einen Freispruch zu erkämpfen. Noch Anfang 1944 feierte er sich in einem heimlich verfassten autobiografischen Text: »Selbst meine ärgsten Feinde wären überrascht gewesen, dass es einem ehemaligen Transportarbeiter aus Hamburg, der keine höhere Schule und keine Universität besucht hatte, dafür aber ungeahnte volkstümliche und andere Lebenserfahrungen besaß und praktische Lebenskenntnisse in sich trug, gelingen konnte, die ganze Rechts- und Gerichtskomödie anzuprangern und bloßzustellen.«

Nun hoffte Thälmann auf einen Austausch mit Hilfe der sowjetischen Regierung, wie er seinen Genossen wiederholt mitteilen ließ. Dabei trieb ihn die Sorge, »dass die Partei ihn lieber drinnen als draußen habe, da es ja sonst mit der Propaganda aus sei«, wie Rosa Thälmann einem Kurier der KPD-Auslandsleitung Anfang 1938 berichtete. In den Tagen und Wochen nach der Unterzeichnung des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrages (sogenannter Hitler-Stalin-Pakt) im Spätsommer 1939 war sich Thälmann sicher: »Die Stunde meiner Befreiung ist jetzt hoffentlich auch bald gekommen. Ich bin fest davon überzeugt, dass bei den Verhandlungen in Moskau (…) der Fall Thälmann zur Sprache gebracht wurde.«

Doch Stalin zeigte keinerlei Interesse am Schicksal Thälmanns. Weder wollte er daran erinnert werden, dass die Politik der KPD, die der Partei von Moskau vor 1933 verordnet worden war, in jeder Hinsicht gescheitert war, noch wollte er zulassen, dass neben Dimitroff ein weiterer kommunistischer Spitzenfunktionär Licht auf sich zog, das ausschließlich für ihn, also Stalin, bestimmt war. Vor allem jedoch war Stalin nicht bereit, wegen einer »Belanglosigkeit« wie dem Schicksal Thälmanns das Funktionieren des widernatürlichen Vertrages mit Hitlerdeutschland auf eine unnötige Probe zu stellen.

Spätestens mit dem Beginn des deutschen Krieges gegen die Sowjetunion musste Thälmann begreifen, dass es keine realistische Chance auf eine Freilassung mehr gab. Für seine menschliche Größe spricht, dass er auch in dieser hoffnungslosen Lage nicht bereit war, die von seinen Peinigern immer wieder geforderte Erklärung abzugeben, mit der er sein Scheitern als Kommunist eingestanden hätte, und sich so den Weg in die Freiheit zu erkaufen.

Thälmann wusste, dass er das Ende des Krieges nicht erleben würde. Im Januar 1944 notierte er: »Es besteht sogar die Wahrscheinlichkeit, so grausam und so hart es ist, das hier auszusprechen, dass bei einem für Deutschland gefahrvollen Vordringen der Sowjetarmeen und im Zusammenhang mit der damit verbundenen Verschlechterung der deutschen Gesamtkriegslage das nationalsozialistische Regime alles tun wird, um die Persönlichkeit Thälmann schachmatt zu setzen. Das Hitlerregime wird (…) nicht davor zurückschrecken, Thälmann vorzeitig beiseite zu schaffen oder aber für immer zu erledigen.«

Thälmanns Ahnung erfüllte sich mit grausamer Konsequenz. Bei der Unterredung zwischen Hitler und Himmler am 14. August 1944 fiel die endgültige Entscheidung: »Ist zu exekutieren«. Damit war ohne Prozess, buchstäblich durch einen Federstrich, das Todesurteil gegen Ernst Thälmann verhängt worden.

Es schallt Alarm

Es gab mehrere Lieder der kommunistischen Bewegung, die Ernst Thälmann besangen. Am bekanntesten dürfte das von Kurt Bartel (Kuba) gedichtete sein, aus dem auch noch die Hoffnung einer raschen Überwindung der Spaltung Deutschlands sprach und dessen Refrain wohl jeder in der DDR aufgewachsene Bürger kennt: »Thälmann und Thälmann vor allen!/ Deutschlands unsterblicher Sohn./ Thälmann ist niemals gefallen,/ Stimme und Faust der Nation,/ Thälmann ist niemals gefallen,/ Stimme und Faust der Nation.« Das früheste wiederum, gedichtet von Erich Weinert 1934, war noch von der Hoffnung beseelt, Thälmann aus der NS-Haft befreien zu können: »Es schallt Alarm: Das Mordgericht/ will ihm den Kopf abschlagen./ Doch wenn die Welt zum Sturm aufbricht,/ dann werden sie’s nicht wagen./ Reißt weg das Beil, das schon niedersaust!/ Für den Kameraden Thälmann: Hoch die Faust!«
Mit seinem Namen auf den Lippen zogen deutsche Kommunisten in den Spanienkrieg, zur Verteidigung der Volksfront­republik gegen die Franco-Faschisten. Das Thälmann-Bataillon (später Brigade) hatte seinen eigenen Song, intoniert von Paul Dessau, weltweit bekannt in der Interpretation von Ernst Busch: »Rührt die Trommel! Fällt die Bajonette!/ Vorwärts, marsch! Der Sieg ist unser Lohn!/ Mit der Freiheitsfahne brecht die Kette!/ Auf zum Kampf, das Thälmann-Bataillon./ Die Heimat ist weit, doch wir sind bereit./ Wir kämpfen und siegen für dich: Freiheit!«

Erste Überlegungen zur Ermordung Thälmanns hatte es bereits vor dem 20. Juli 1944 gegeben. Im Frühjahr 1944 war im Reichssicherheitshauptamt erstmals davon gesprochen worden, Thälmann heimlich zu töten. Angesichts der drohenden militärischen Niederlage gehörte es zur Strategie des Hitler-Regimes, sich aller Gegner zu »entledigen«, die in einem Nachkriegsdeutschland ohne Hitler und den Faschismus eine Schlüsselrolle hätten spielen können. So war auch der Plan entstanden, Thälmann zu einem gegebenen Zeitpunkt in das KZ Buchenwald zu bringen und ihn dort zu ermorden. Am 17. August 1944 war der Zeitpunkt gekommen, diesen Plan in die Tat umzusetzen.

Trotz Amtshilfe aus der DDR war die Justiz der Bundesrepublik nicht bereit, die Täter zur Verantwortung zu ziehen.

In den späten Nachmittagsstunden wurde Thälmann unter Begleitung mehrerer Gestapo-Beamter in einem Pkw von Bautzen, seinem letzten Haftort, nach Buchenwald gebracht. Dort war die Ankunft dieses besonderen Gefangenen bereits avisiert worden. Die Häftlinge, die sonst im Krematorium arbeiten mussten, waren vorsorglich in ihrer Unterkunft eingesperrt worden. SS-Leute hatten an diesem Abend ihre Arbeit übernommen. Kurz nach Mitternacht traf der Wagen mit Thälmann durch ein separates Tor am Krematorium ein. Während Thälmann durch ein »Spalier« von SS-Leuten eskortiert wurde, fielen drei Schüsse, wenige Minuten später ein vierter. Wie von Hitler befohlen, war Ernst Thälmann ermordet worden.

Ungeachtet der vielen Millionen Toten, die auf das Blutkonto des deutschen Faschismus gingen, waren Hitler und seine Satrapen nicht bereit, vor der Weltöffentlichkeit die Verantwortung für den Tod Thälmanns zu übernehmen. Das Reichspropagandaministerium ließ daher Mitte September 1944 die Nachricht verbreiten, dass Thälmann am 28. August 1944 bei einem alliierten Luftangriff auf das KZ Buchenwald ums Leben gekommen sei.

Allerdings waren Ablauf und Beteiligte des Verbrechens an Thälmann durch die Aussagen des ehemaligen polnischen Häftlings Marian Zgoda, der die Vorgänge in der Nacht vom 17. zum 18. August 1944 heimlich beobachtet hatte, bereits unmittelbar nach Kriegsende bekannt. Doch buchstäblich über Jahrzehnte hinweg war die Justiz der alten Bundesrepublik, trotz umfangreicher Amtshilfe aus der DDR, weder bereit noch in der Lage, die Täter in angemessener Weise zur Verantwortung zu ziehen. Der Mord an Ernst Thälmann blieb ungesühnt.

Von unserem Autor, Dr. Ronald Friedmann, Mitglied des Sprecherrates der Historischen Kommission der Linkspartei, erscheint demnächst eine neue, ausführliche Thälmann-Biografie

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