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Linke sucht neue Chefs und neue Linie
Wissler und Schirdewan kündigen Rückzug an. Vorstand will Partei aus »existenzbedrohender Situation« führen
Es ist ein nicht unerwarteter Einschnitt: Beim Parteitag im Oktober in Halle werden die beiden Linke-Vorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan nicht erneut für den Parteivorsitz kandidieren. Das teilten sie am Sonntag im Zusammenhang mit einer Vorstandstagung mit. Wissler schreibt in einer Erklärung, sie nehme wahr, »dass es in Teilen der Partei den Wunsch nach einem personellen Neuanfang gibt«. Sie halte es jetzt für den richtigen Zeitpunkt, »Klarheit zu schaffen, zwei Monate vor dem Parteitag, damit der Partei genug Zeit bleibt für ein transparentes Verfahren und eine innerparteiliche Meinungsbildung zu Kandidaturen«. Sie weist auch auf die lange andauernden Machtkämpfe in der Linkspartei hin. Sie habe versucht, die Partei »in ihrer gesamten Breite zusammenzuhalten. Allerdings musste ich bald feststellen, dass viele Brücken, die ich bauen wollte, bereits mehrfach eingerissen waren.«
Auch Schirdewan verweist darauf, dass die letzten zwei Jahre »innerparteilich vor allem von der Klärung alter Konflikte und den damit einhergehenden Umbrüchen und Auseinandersetzungen« geprägt waren. Das habe die öffentliche Wirkung der Linken vielfach gehemmt, manchmal konterkariert. »Die Konflikte der Gesellschaft haben wir (zu) lange in unserer Partei geführt. Das hat viel Energie gekostet, wirkt immer noch nach und hat unsere eigene Zukunft zu lange blockiert.« Dabei seien notwendige inhaltliche Weiterentwicklungen auch nach der Abspaltung von Wagenknecht und anderen zu langsam angegangen worden.
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Wissler ist seit Frühjahr 2021 Vorsitzende, Schirdewan wurde im Sommer 2022 an die Parteispitze gewählt. In den letzten Jahren hat Die Linke empfindliche Niederlagen unter anderem bei der Bundestagswahl 2021 und bei der Europawahl 2024 eingesteckt. Der Parteivorstand habe sich nun auf ein Verfahren geeinigt, wie es bis zum Parteitag im Oktober zu Kandidaturen für den Vorsitz kommen kann, hieß es.
Dabei ist das Personelle nur die eine Seite des Neuaufbruchs, den Die Linke mitten in der Krise in Angriff nehmen muss. Dazu gehört auch eine inhaltliche Neujustierung. Grundzüge hat der Linke-Vorstand im ohne Gegenstimmen beschlossenen Entwurf des Leitantrags für den Oktober-Parteitag in Halle fixiert. Darin heißt es, dass sich die Partei in einer »gefährlichen, existenzbedrohenden Situation« befinde. In dem Papier wird eine Reihe von Defiziten konstatiert. So hätten viele Linke-Wähler »den Eindruck: Ihr seid mit euch selbst beschäftigt, ihr seid nicht für uns da.« Es sei nicht gelungen, als wirksame und überzeugende Alternative wahrgenommen zu werden.
An anderer Stelle heißt es, es genüge nicht, vor dem Rechtsruck zu warnen und ihn zu skandalisieren. »Dass Veränderungen fortschrittlich gestaltet werden können, dass Zukunftsfähigkeit mit gerechter Verteilung, sozialer Sicherheit und mehr Gleichheit zusammengehen kann, kann weder vorausgesetzt noch einfach behauptet werden.« Dafür müsse »argumentiert, mobilisiert, gekämpft werden; dafür müssen Perspektiven aufgezeigt werden«. Dieser Verantwortung sei Die Linke »nicht ausreichend gerecht geworden«.
Speziell wendet sich der Entwurf des Leitantrags neben Feldern wie Sozialpolitik und Ostdeutschland zwei Themen zu, denen bei der Europawahl eine wahlentscheidende Rolle zugeschrieben wurde: Migration und Friedenspolitik. Die Linke tritt dem Entwurf zufolge für eine solidarische Einwanderungsgesellschaft ein und wende sich gegen die »falsche Erzählung ..., die Migrant*innen zu Sündenböcken für Sozialabbau und soziale Unsicherheit macht«. Stattdessen weise man »auf die zutiefst ungerechte Verteilung zwischen oben und unten und die wahren Gründe für die Unsicherheit des Alltags, der Aushöhlung der Daseinsvorsorge hin«.
Ein »eng mit dem europäischen und internationalen Menschenrechtsschutz verzahntes Einwanderungskonzept« müsse unter anderem legale Wege zur Einwanderung jenseits des Asyl- und Flüchtlingsrechts, rechtliche Gleichstellung von Migranten, Zugänge zum Arbeitsmarkt sowie nötige soziale Rahmenbedingungen umfassen.
Zum Thema Krieg und Frieden heißt es, Die Linke werde »tragfähige Konzepte« für eine weltweite Abrüstungsinitiative sowie für Schritte in Richtung Frieden in der Ukraine und im Nahen Osten entwickeln. Zudem wolle man zeigen, »wie ein System der kollektiven Sicherheit in einer multipolaren Welt aussehen kann«. Die geplante Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland wird abgelehnt, denn diese Raketen »erhöhen nicht unsere Sicherheit, sondern schaffen neue Risiken und erhöhen die Kriegsgefahr«. Zugleich will Die Linke gerade in der Außenpolitik ein geschlosseneres Auftreten erreichen. »Vielstimmigkeit und Unklarheit schaden der Wahrnehmung der Linken«, heißt es in dem Entwurf.
Bereits vor der Vorstandstagung vom Wochenende hatte sich die Ko-Vorsitzende Janine Wissler in einem langen Text im Mitgliedermagazin »Links bewegt« zu Problemen und Defiziten der Partei geäußert. So vertrete Die Linke bei Fragen wie Bürgergeld oder Aufrüstung »heute im Gegensatz zu früher Minderheitenpositionen – nicht, weil wir unsere Positionen verändert haben, sondern weil die gesellschaftliche Stimmung sich grundlegend gewandelt hat und es der Linken nicht gelungen ist, dem wirkungsvoll etwas entgegenzusetzen«.
Kritisch setzt sich Wissler in ihrem Aufsatz mit der Wagenknecht-Abspaltung auseinander. »Mit dem Wissen von heute bin ich der Meinung, dass man die Trennung viel früher hätte forcieren müssen«, schreibt sie. Sie habe die inhaltliche Kritik an Wagenknecht und Co. zwar vollständig geteilt, aber die Gefahr für Die Linke unterschätzt. Lange habe sie versucht, die Einheit der Linken zu erhalten und »vieles in diese plurale Partei zu integrieren«. Man habe »zugelassen, dass unsere Partei über Jahre hinweg von innen heraus und über die Medien demontiert wurde. Wir haben keinen Weg gefunden, dem einen Riegel vorzuschieben.« Diejenigen prominenten Abgeordneten, die über Jahre behaupteten, dass Die Linke die soziale Frage vernachlässige, hätten sich »zum Steigbügelhalter der Anti-Links-Kampagne von Rechten und Konservativen gemacht«.
Vor Wissler hatte bereits der Ko-Vorsitzende Martin Schirdewan Grundinien einer Erneuerung der Linken skizziert. In einem Gastbeitrag für »nd« schrieb er, man habe »zu lange gewartet, unsere Rolle als Linke neu zu begründen«. Nach der Abspaltung der Gruppe um Wagenknecht habe man versucht, auf der Basis des Kleinsten gemeinsamen Nenners, soziale Gerechtigkeit, erfolgreich zu sein. »Doch spätestens jetzt steht Die Linke vor einer Richtungsentscheidung: Nehmen wir als moderne linke Partei die Herausforderungen einer krisenhaften Weltordnung an und wollen sie glaubwürdig gestalten oder versuchen wir, ihnen aus dem Weg zu gehen?«
Die Linke müsse sich als sozialistische Gestaltungspartei aufstellen und konkrete Reformprojekte entwickeln, so Schirdewan. »Wir müssen die explodierende Ungleichheit angehen, Verlässlichkeit im Wandel schaffen und den Osten im Blick behalten.« Die Linke solle zum »Treiber eines sozialen Politikwechsels werden«. Bei den zuletzt wahlentscheidenden Themen wie Friedenssicherung und Zuwanderung habe die Partei zwar eine klare Haltung, es fehle aber an glaubwürdigen Konzepten. Hier sei eine programmatische Weiterentwicklung nötig.
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