Planet Nomi

Vier Dekaden nach dem Tod des Gesamtkunstwerks Klaus Nomi ist eine erste Biografie erschienen

  • André Dahlmeyer
  • Lesedauer: 8 Min.
Klaus Nomi bei einem Auftritt im Club Exile in Long Island City, New York City, im August 1980
Klaus Nomi bei einem Auftritt im Club Exile in Long Island City, New York City, im August 1980

Als Klaus Nomi am 6. August 1983 im New Yorker Memorial Sloan-Kettering Cancer Center an den Folgen einer HIV-Infektion starb, erfuhr ich davon in einer Randnotiz unseres Heimatblattes »Braunschweiger Zeitung«. Ich stand damals monatelang täglich um 4 Uhr morgens auf, um ihren Abonnenten druckfrisches Einwickelpapier für tote Fische in deren blattgüldene Briefkästen zu stopfen. Das sollte mir den Führerschein finanzieren. Mit dem gangschaltungslosen Fahrrad durchquerte ich die halbe Kreisstadt, in der ich lebte, und schlief in der Schule aus.

Als ich die Meldung las, konnte ich es nicht fassen. Nach Übersee emigrierte Künstler interessierten den gemeinen Westdeutschen nicht, die galten als bekloppt und eingebildet. In New York, Frankreich und Japan hatte es Nomi zu einiger Bekanntheit gebracht. In der BRD konnten die Leute noch immer nicht mit ihren Enfants perdus; dabei war Nomi durchaus in den Medien angekommen. Ich kannte ihn, also hätten die anderen ihn auch kennen können. Seine extraordinäre Stimme klang wie von einem fernen Planeten. Wahrscheinlich war es sein Habitus, der abschreckte, nicht ins Weltbild passte, für die graue Masse jeden bürgerlichen Rahmen des Abendlandes sprengte (dazu gehörte wenig). Noch wahrscheinlicher war, dass sein offenes Schwulsein als Affront gewertet wurde.

Schwulenpest und Homo-Jagd

Nomi war eines der ersten prominenten Aids-Opfer überhaupt. Mit seinem Tod war die Seuche auch ganz real in Deutschland angekommen, wo sie bis dahin medial als Angstkrankheit benutzt und süffisant als »Schwulenpest« stigmatisiert worden war. Einen Monat nach Nomis Tod entstanden in der BRD die ersten Aids-Hilfsorganisationen.

Zwei Jahre später starb in Beverly Hills, am anderen Ende der Staaten, der Schauspieler Rock Hudson, bekannt als der Womanizer Hollywoods. Mitte der 40er Jahre war der Zweimeterhüne, der Männer liebte, an der Seite von Doris Day, Elizabeth Taylor und Gina Lollobrigida zu einem der größten Frauenhelden der Kinogeschichte aufgestiegen. Gleich nach seinem Tod erhöhte die US-Regierung den Etat für die Aids-Forschung auf das Doppelte.

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1986 zog ich in eine Zweier-WG mit einem Aids-infizierten Krankenpfleger. »Gottes Wachhund« Kardinal Meisner bezeichnete die Immunschwächekrankheit in dieser Zeit als »Heimsuchung Gottes« ob des sündigen Verhaltens der Homos; CSU-Innenstaatssekretär Peter Gauweiler wie auch der damals noch junge CSU-Politiker Horst Seehofer ließen ihren Internierungsfantasien für HIV-Positive freien Lauf.

Nach mir die Oper

Vom niedersächsischen Verlag Andreas Reiffer, immer gut für kleine Sensationen, ist nun, kurz vor dem 41. Todestag, die weltweit erste Klaus Nomi-Biografie auf den Markt gebracht worden. Warum ist niemand zuvor auf die Idee gekommen, diese klaffende Leerstelle zu besetzen? Um dem Nomi-Phänomen auf den Grund zu gehen, hat die Frankfurter Publizistin Monika Hempel in beachtlicher Sisyphusarbeit mannigfaltig noch lebende Zeitzeugen abgegrast und sich nebenbei eine Woche lang durch den auf 15 Kisten verteilten Nachlass in der Theaterbibliothek von Harvard geackert.

Nomi wurde 1944 als Klaus Jürgen Sperber in Immenstadt-Ratholz im Oberallgäu geboren (und nicht, wie eine im Buch abgedruckte Anzeige der Deutschen Aids-Hilfe kolportiert, in Berlin), wo er die ersten vier Jahre mit seiner Mutter lebte, einer »eleganten Dame«. Dann ging es zurück ins ausgebombte Essen. Mit 16 brach er die Schule ab, danach auch Lehren zum Positivretuscheur und Schriftsetzer. Er wollte Opernsänger werden, sonst nichts.

Musikalische Fixsterne waren Elvis Presley und Maria Callas. Nach Komparsenjobs an Essener Bühnen will er seine Stimme (Tenor) in Berlin an der Musikhochschule zum Kontertenor ausbilden lassen. Es ist nicht die Zeit der Kontertenöre. Autodidaktisch geht’s auch. An der Deutschen Oper verdingt er sich als Logenschließer, Fahrstuhlführer, Nachtwächter, Mädchen für alles – Hauptsache Oper. Im Berliner Kleist-Kasino, einem Homo-Stricher-Nachtklub in Schöneberg, bis Anfang der 30er Jahre auch Anlaufpunkt nationalsozialistischer Homosexueller wie Ernst Röhm, Paul Röhrbein und Philipp Prinz von Hessen, schmettert er Arien. Unter den Gästen: Hubert Fichte und Andreas Baader.

1972 (noch mit langer Matte und Vollbart) hat Sperber einen Kurzauftritt als Mezzosopran im ersten längeren Streifen »Ex und hopp« des schwulen Filmemachers Lothar Lambert. Er trällert darin in der Schöneberger Bar »Der Leuchtturm« eine Wagner-Arie. Schon damals wird seinem Gesang – er hatte einen Stimmumfang von sechs Oktaven – nicht über den Weg getraut. »Ich hab ihm gesagt, er soll absichtlich ein paar Töne falsch singen, damit man nicht denkt, es sei ein Playback«, so Lambert.

Klaus Sperber hat irgendwann die Faxen dicke: So wird es mit der Oper nichts – die Idee ist gut, aber Deutschland noch nicht bereit. 1973 fliegt er in die USA, One-Way-Ticket to the Ruhm. Die Ölkrise hat die Welt im Würgegriff. New York City ist offiziell pleite, dafür boomt die Subkultur. Sperber lässt sich in einer Wohnung am St. Mark’s Place im Szeneviertel East Village in Manhattan nieder. Die Gegend ist heruntergekommen, die Mieten günstig.

Noch ist Sperber nicht Nomi. Haupteinnahmequelle ist sein »Baking Business« – als ungelernter Nebenerwerbskonditor mit selbst kreiertem Lime Pie und Linzer Torte beliefert er Cafés und Restaurants – sogar das World Trade Center und das Guggenheim Museum –, und bekommt im lokalen Kabel-TV einen Sendeplatz für eine Show, in der er als »Singender Zuckerbäcker« zweifelhafte Berühmtheit erlangt. Mit Ira Siff, der an der Metropolitan Opera Guild-Gesang lehrt, erkennt erstmals ein Profi seine gigantische Falsettstimme. 1977 hat er eine Rolle in einer schwulen Opernparodie auf Wagners Ringzyklus. Dann kommt alles Schlag auf Schlag.

Die Nomi-Werdung

Klaus Sperber findet seine künstlerische Identität, verbindet seinen Kontertenor mit dem ebenso klinischen wie minimalistischen New-Wave-Sound, der aus den Boxen der örtlichen Punk-Schuppen scheppert. Er singt Marlene Dietrichs »Falling in Love Again«, Stücke, die aus dem Dada-Dunstkreis stammen (etwa »Total Eclipse«), interpretiert Opernarien (gerne Henry Purcells »Cold Song« aus der Barockoper »King Arthur«). Seine unfassbar hohe, androgyne Tonlage kann niemand mehr einordnen, geschweige denn toppen. Das ästhetische Gesamtkunstwerk Klaus Nomi entsteht, ein Anagramm von »Omni« (lat.: alles, jeder), nach einem US-Sci-Fi-Magazin. Außerirdische standen Ende der 60er und in den 70er Jahren auch in der BRD hoch im Kurs; Erich von Dänikens Bücher führten die Bestsellerlisten an, David Bowie lieferte den Soundtrack dazu.

Sperber stilisierte seine Kunstfigur Nomi in der Ufo-Welt der USA ebenfalls zum Außerirdischen und forcierte bewusst den deutschen Akzent, um diese Fremdartigkeit zu betonen. Sein Durchbruch in New York war 1978 ein mitternächtlicher elfenhafter Auftritt in einer bunt gewürfelten Vaudeville-Nummernrevue im Irving Plaza, bei dem ihm der reinste Gesang entströmte, eine Arie aus »Samson et Dalila« von Camille Saint-Saëns in glockenklarer Frauenstimme, höher und höher, als stünde die Callas auf der Bühne.

Klaus Sperber hatte sich gehäutet, ein Es namens Nomi ersetzte ihn. Die Außerirdischen waren gelandet. Sie waren hyperqueer. Klaus Nomi war der welterrettende Rädelsführer in einer Märchenwelt aus sterilem Make-up, während Udo Lindenberg sich nicht viel später von barfüßigen Minderjährigen in Nachthemdchen umschwirren ließ. Der eingefrorene Blick und roboterhafte Mensch-Maschine-Bewegungen fernab von Kraftwerk wurden sein Markenzeichen. Dazu gehörten auch mit schwarzer Lackfarbe scharfkantig akzentuierte Lippen, ein Kussmund wie eine Fledermaus. Das Gesicht Nomis war geschminkt wie das eines Kabuki-Darstellers, der Bogen gespannt vom Cabaret der 20er Jahre, von Stummfilmen und deutschem Expressionismus bis hin zum synthiegeprägten New-Wave-Sound (»Tanz den Mussolini!«). Singende, zwitschernde Comic-Helden mit dadaistischem Œuvre sowie kubistischen Kleidungsstücken und Frisuren und dämmerungsresistente Zwitterwesen flatterten origamimäßig durch den Orbit. Nomi schmetterte seine Arien bevorzugt im Plastik-Smoking oder im Frischhaltefolienkostüm, viele Kleiderentwürfe waren seine eigenen. Seine Musiker trugen Ski- und Hockeymasken, die Tänzer waren als Zellophan-Mumien verpackt.

Ober-Alien als Vitamin B

David Bowie war zu dieser Zeit längst im Futurismus stecken geblieben. Oper und Popmusik zu kombinieren, das gab seine Stimme nicht her. 1979 engagierte er Nomi und dessen Kumpel Joey Arias (Komödiant, Schauspieler, Cirque-du-Soleil-Performer, Drag Queen, fantastischer Jazz-Sänger und LGBT-Pionier) als Background-Sänger für die NBC-Show »Saturday Night Live«. Es wurde der beste Auftritt (noch vor Devo) in der Geschichte des Programms. Während Bowie im Tristan-Tzara-Kostümchen »The Man Who Sold The World« und »TVC-15« sang, lief Nomi mit rosa Plüschpudel durchs Bild. Bowie war der Star. Nomi, für den dieser Gig den endgültigen Durchbruch bedeutete, ein Planet. Er avancierte zum Werbeträger von Fiorucci und Jägermeister.

1981 veröffentlichte das Major Label RCA France sein Debütalbum. Nach einer Woche war es ausverkauft. Nomi bekam eine Goldene Schallplatte. Er ging auf Welttournee. Kurz nachdem er sie beendet hatte, brach die Nacht an.

Grande Finale

Den letzten Auftritt hatte Nomi 1982 bei Eberhard Schoeners dritter »Klassik-Rock-Nacht« in München. Schwer gezeichnet sang er noch einmal den »Cold Song«, der von Frost und Erstarren erzählt. Die Arie endet mit den Worten: »Let me/ Freeze again to death!« (Lass mich noch einmal zu Tode frieren!) Man spürte den Schmerz. Der Mythos des Überirdischen und Unnahbaren war durch einen simplen sexuell übertragbaren Erreger durchkreuzt worden. Der große Traum des Visionärs, eine Weltraumoper, würde sich nicht mehr erfüllen.

Die deutsche Single-Auskopplung seines ersten Albums war »Total Eclipse«, eine ironische Weltuntergangshymne über die Angst vor einer Atomkatastrophe. »In bewusst kunstlosem Sprechgesang führte Nomi aus, wie in Lacoste-Polohemden gekleidete Großkotze den Supergau auslösen, der uns alle in Pommes frites verwandelt«, schreibt Hempel. Klaus Nomi starb am Hiroshima-Gedenktag.

Monika Hempel: Klaus Nomi. Stimme im Orbit. Verlag Andreas Reiffer, 288 S., geb., 22 €.

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