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Bis zum letzten Hosenknopf

Wahlen in Thüringen vor 100 Jahren: Menetekel für heute?

  • Manfred Weißbecker
  • Lesedauer: 7 Min.
Die Mahnung von Buchenwald: Nie wieder Faschismus!
Die Mahnung von Buchenwald: Nie wieder Faschismus!

Die thüringische CDU verkündet: »Wir wollen Thüringen wieder zum Vorzeigeland machen!« Und: »Wir haben Lust auf Zukunft, auf Aufbruch und Erneuerung.« Wohlfeile Formulierungen, gewiss. Doch was besagen sie eigentlich?

Geschichte wiederholt sich nicht und weist doch oft Parallelen auf. In den frühen 1920er Jahren war Thüringen wie auch Sachsen ein demokratisch-republikanisches Land, von vielen Menschen als Hoffnungsträger geschätzt, der mit der Verwirklichung einer revolutionär erreichten Reichsverfassung demokratische Rechte und sozialpolitische Gerechtigkeit für alle Thüringerinnen und Thüringern anstrebte. Ein linkes Reformprojekt, dem es auch ernst damit war, den Ansturm von Reaktionären aller Art abzuwehren.

Demokratische Politik, soziale Gerechtigkeit und die Schaffung den Frieden fördernder Verhältnisse nach dem grauenvollen Ersten Weltkrieg, verknüpft mit dem humanistischen »Geist von Weimar« wider den nicht überwundenen »Geist von Potsdam«, das waren die Leitprinzipien der Regierung unter dem Sozialdemokraten August Frölich. Er, mitunter auch als Linkssozialist bezeichnet, verkörperte wie kaum ein anderer das linke Reformprojekt. Oft wurde er charakterisiert als ein Typ von lauterem Charakter, als einer, der immer bestrebt gewesen sei, in Konfliktfällen zu friedlichen, gewaltfreien Lösungen zu kommen.

Gewählt worden war Frölichs Regierung im September 1921 von 339 275 Thüringerinnen und Thüringern. Die Wahl war knapp ausgegangen, die anderen Parteien hatten nur 1768 Stimmen weniger erhalten. Diese anderen waren vor allem der Thüringer Landbund (TLB), die Deutsche Volkspartei (DVP), die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) und die Deutsche Demokratische Partei (DDP). Sie stellten mit ihren 26 Abgeordneten zwar eine Minderheit dar, doch eine, die von Anfang an und mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln gegen jeden Versuch vorging, Neues durchzusetzen. Regelrecht gehasst wurden von ihnen beide Arbeiterparteien. Man lebte in Erinnerungen an die angeblich gute alte Zeit, von der man noch dazu meinte, ihr Ende sei durch einen feigen Dolchstoß der Linken in den Rücken des Heeres herbeigeführt worden.

Aus ihren Reihen ertönte wütende Kritik: Die Regierung ruiniere die Wirtschaft, es herrsche »Parlamentsabsolutismus« und »Parteidiktatur«, und es würden »unnötige bürokratische Einrichtungen« geschaffen. Letzteres richtete sich, um nur ein Beispiel zu nennen, gegen die für den 1. Januar 1922 geplante Einrichtung eines thüringischen Landesamtes für Arbeitsvermittlung.

Kritisiert und auch gehemmt wurde der Versuch, größere Wirtschafts- und Verwaltungsgebiete zu schaffen, eine wesentliche Voraussetzung für ein zu modernisierendes und leistungsfähiges Land. Völlig abgelehnt wurden die bildungspolitischen Reformen, die das konservative Schulsystem abschaffen und durch eine Einheitsschule ersetzen sollten, um endlich tatsächlich »allen Kindern des Volkes« gleiche Bildungschancen auf allen Ebenen zu bieten. Im Grunde wollten die bürgerlichen Parteien das alte Bildungsprivileg erneut durchsetzen.

Im Vordergrund stand für die Konservativen das Agieren gegen links. Da können sich rechte und rechtsextreme Kräfte fast immer aufeinander verlassen.

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Im Visier der Konservativen befand sich zudem jeder Versuch, jene sozialen Nachteile zu lindern, die es im Gefolge von Krieg und Inflation für Arbeiter, Bauern, Kriegsinvaliden, Witwen, Waisen sowie kleine Geschäftsleute, Handwerker und Angestellte gab. Aus ihrer Sicht sollte es, statt einer gesicherten sozialen Gerechtigkeit, bei der Gewährung einzelner sozialer Hilfen bleiben. Wenig Gefallen fand auch die Förderung von Kunst und Kultur, wobei es nicht allein um das bekannte Bauhaus ging, sondern auch um Thüringer Volkshochschulen.

Regierungschef Frölich war vor allem auch einer der ärgsten Feinde der aufstrebenden Faschisten. Am 9. November 1923 erklärte er in einer Landtagssitzung: »Wenn nun die Hitlergarden nach Thüringen kommen (…), um die Novemberlinge zu vernichten, denn das ist doch der Zweck der Hitlergarde, sollen wir da ohne weiteres stillhalten? Da bin ich mit den Kommunisten einig, dass wir Seite an Seite den Kampf führen müssen, um dieses Gesindel aus Thüringen herauszubekommen.« Aus solchem Geist kam es zu einer thüringischen Arbeiterregierung, gebildet aus SPD und KPD, im Grunde nach dem Beispiel der am 11. Oktober 1923 in Sachsen entstandenen. Beide werden gewaltsam durch den Einmarsch der Reichswehr beendet. (Näher Interessierten sei das neue Buch von Mario Hesselbarth empfohlen, »Die Arbeiterregierung in Thüringen 1923«, herausgegeben von der thüringischen Rosa-Luxemburg-Stiftung.)

In den Wahlkampf 1924 in Thüringen gingen die linken Parteien arg geschwächt, unter anderem durch das von der Reichsregierung nach dem »Deutschen Oktober« erlassene KPD-Verbot, vor allem aber erneut zerstritten und eher befasst mit gegenseitigen Vorwürfen, auch hinsichtlich der Schuld für das vorschnelle Ende der beiden Arbeiterregierungen. Die bürgerlichen Parteien hingegen agierten entschiedener und einheitlicher. Sie verstanden es, ihre Kräfte organisatorisch zu bündeln.

Ende 1923 entstand eine »antisozialistische Bürger- und Bauernallianz«, die bereit war, selbst ihren »letzten Hosenknopf« gegen die Linke zu opfern. Wohl nicht zufällig wurde der Begriff »Ordnung« für das Wahlbündnis gewählt. Der Thüringer Ordnungsbund (TOB) trat mit der Verleumdung von einem angeblich »auf den Hund gekommenen Land« auf. Sollte heißen: Sozialisten können nicht regieren, erst recht nicht wirtschaften. Wo die Ursachen für Inflation, Wirtschaftskrise und andere Beschränkungen des Alltags wirklich zu suchen waren, darüber schwieg man. Die CDU plakatiert heute: »Thüringen wird links liegen gelassen.« Auch das enthält wieder den Vorwurf, Linke seien unfähig zu regieren und zu wirtschaften. Und es müsse »Ordnung« geschaffen werden.

Aus früh und ständig betriebener antisozialistischer Bedrohungs- und Hasspropaganda erwuchs das am Ende selbst für die Konservativen verhängnisvolle politische Konzept, das sich als »antimarxistisch« bis dort hinaus gebärdete, sich aber auch gegen Demokratie und Republik wandte und sich dabei nicht scheute, sich völkisch-rassistischer und offen faschistischer Kräfte zu bedienen. Man könnte von einem Mixtum compositum sprechen, in dem sich Antimarxismus, also Antisozialismus und Antikommunismus, ferner auch Demokratie- und Republikfeindschaft, Deutschtümelei und ein stark antisemitisch geprägter Rassismus eng miteinander verknüpften.

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Der Wahlkampf fand statt in einer Zeit des Umbruchs, dessen Ursachen für eine große Mehrheit der Wähler undurchschaubar waren. Selbst nach dem Ende der bis dahin noch nie erlebten Hyperinflation sahen sich viele unmittelbar von Existenzsorgen bedroht. Es gab einen Preisverfall für agrarische Produkte. Man forderte auf dem Lande mehr staatliche Förderung und kritisierte die der Industrie gewährten. Antiinflationäre Maßnahmen hatten nichts gebracht. Viele soziale Probleme hatten nicht gelöst werden können.

Umso bemerkenswerter war die hohe Wahlbeteiligung am 10. Februar 1924 von 89,6 Prozent gegenüber 72,4 bei der Landtagswahl im Jahr 1921. Die SPD gewann 23,1 Prozent der Stimmen und 17 Mandate. Die KPD erzielte 18,4 Prozent und 13 Mandate, die USPD mit 0,8 immerhin auch neun Mandate. SPD und KPD verfügten im neuen Landtag zusammen über 30 Abgeordnete.

Der TOB hatte über die Hälfte der Wählerstimmen für sich gewinnen können, was zu 35 Mandaten führte. Das war zwar eine Mehrheit, doch keine absolute wie erhofft. Für die Vereinigte Völkische Liste (VVL), in der auch miteinander konkurrierende Gruppen der Völkischen und der Nazis zusammengefunden hatten, um die im Herbst 1923 erlassenen Verbote von Deutschvölkischer Freiheitspartei und NSDAP umgehen zu können, stimmten 9,3 Prozent der Wählerinnen und Wähler. Und erstmalig zogen sieben Rechtsextreme in einen deutschen Landtag ein.

Die neue Landesregierung wurde rasch gebildet. Ihr stand der DVP-Politiker Richard Leutheußer vor, von dem es übrigens heißt, er sei ein regelrechter Frauenfeind gewesen. Die neue Landesregierung agierte zumeist auf der Basis von Notgesetzen und Verordnungen, also am Parlament vorbei. Binnen kurzer Zeit wurden die Schulreformen aufgehoben und das Verbot der NSDAP rückgängig gemacht – ohne abzuwarten, wie der in München stattfindende Prozess gegen Hitler und andere Putschisten ausgehen wird. Selbst eindeutig antisemitischen Aktionen stimmten die thüringischen Konservativen zu, wie die um den Präsidenten der Thüringischen Staatsbank Walter Loeb gewobene Affäre zeigte – dieser wurde entlassen, weil nicht nur die Völkischen der Meinung waren, man könne einen Juden an der Spitze eines deutschen Bankinstituts nicht dulden.

Hitler durfte keineswegs grundlos hoffen, dass Thüringen, »wie die Dinge liegen, die nationalsozialistische Hochburg Deutschlands« werden könnte. Es verwundert nicht, dass es hier mit Wilhelm Frick einen ersten Nazi-Minister in einem deutschen Land gab. Dem folgte im August 1932 die fast reine Nazi-Regierung unter Fritz Sauckel.

Die Leutheußer-Regierung war nicht auf Völkische und Nazis angewiesen gewesen. Sie hatte in keiner Weise befürchten müssen, diese würden eventuell mit der Opposition stimmen; dagegen sprach deren oft und offen propagierter »Antimarxismus«. Dagegen sprach natürlich auch die völlig ablehnende Haltung von SPD und KPD zu den Völkischen und Faschisten. Im Vordergrund stand für die Konservativen damals jedoch das Agieren gegen links. Und da konnten und können sich rechte und rechtsextreme Kräfte wohl fast immer aufeinander verlassen.

Prof. Dr. Manfred Weißbecker hatte unlängst einen ausführlichen Vortrag zum Thema in Jena gehalten, der im Januarheft der »Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung« (BZG) nachzulesen ist.

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