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Nahost: Es droht ein endloser Krieg
Israels Armeeführung will das Militär stärker auf die Bekämpfung der Hisbollah richten
Am Sonntag schloss sich Benny Gantz, Chef von Israels Nationaler Einheitspartei, den Forderungen der Armeeführung an, den Fokus auf den Libanon und den Iran zu legen: Diese beinhalten ein Ende der Bombardierungen in Gaza, dafür aber auch den Beginn der Vertreibung der Hisbollah aus dem Libanon und, wenn nötig, auch ein Angriff auf den Iran. »Wir sind spät dran«, so der Koalitionspartner von Benjamin Netanjahu. Damit schließen sich immer mehr Regierungspolitiker der Meinung hoher Militärs an, die Netanjahus Forderung nach einem totalen Sieg über die Hamas ablehnen.
Für die mehr als 100 israelischen Geiseln und deren Angehörige schwindet dagegen die Hoffnung. Israelische Unterhändler schätzen die Chancen auf ein Abkommen mit der Hamas gegen Null. Die Positionen von Premier Netanjahu und Hamas-Chef Jahja Sinwar hätten sich weiter verhärtet, so eine Analyse des Nachrichtensenders Kanal 12.
Für israelische Geiseln schwindet die Hoffnung
Am Montag hatte sich Netanjahu auf einer eigens für internationale Medien einberufenen Pressekonferenz kompromisslos gezeigt. Die israelische Armee (IDF) werde in dem sogenannten Philadelphi-Korridor bleiben, um Waffenschmuggel und den Weitertransport der Geiseln in den Iran zu verhindern, so der Regierungschef. Sein Finanzminister Bezalel Smotrich besteht nicht nur auf die Präsenz der Armee an der Grenze zwischen Israel und Gaza, sondern auch auf eine zweite Trasse: Die Asphaltierung des sogenannten Netzarim-Korridors zeigt, dass die öffentlichen Diskussionen über ein Abkommen längst Makulatur sind. Die entstehende Straße von Netzarim, benannt nach einer 2005 geräumten jüdischen Siedlung, durchschneidet den 40 Kilometer langen Gazastreifen in etwa zwei gleich große Teile, im nördlichen Teil wurden seit dem 7. Oktober bis zu 90 Prozent der Häuser zerstört. Hier will Smotrich zusammen mit ultrarechten Kreisen seiner Zionismus-Partei neue Städte errichten lassen – für jüdische Siedler.
Auch ob dieser Pläne und der fortgeschrittenen Expansion israelischer Sicherheitskräfte in Gaza und der Westbank ist im Hamas-Führungszirkel trotz der weitgehenden Zerstörung der zivilen Infrastruktur die Kompromissbereitschaft gesunken. Vereinzelte Videos in sozialen Netzwerken von Hamas-Scharfschützen, die israelische Soldaten ins Visier nehmen, sollen Kampfbereitschaft dokumentieren.
Hamas-Tunnelsystem trotz Zerstörungen noch intakt
Während fast alle Bewohner des Gaza-Streifens mittlerweile in Zelten in Strandnähe hausen, scheint das Tunnelsystem der Hamas noch intakt zu sein. Sinwar regiert diese an einen Horrorfilm erinnernde Szenerie mit Kurieren und handgeschriebenen Botschaften, um einer elektronischen Ausspähung zu entgehen. Schon Anfang vergangenen Jahres hatte er wohl im Wissen der später folgenden Eskalation die Inkaufnahme vieler ziviler Opfer zu einem Teil des Widerstandskampfes erklärt: »Wir Palästinenser sind leidensfähiger, als unsere Gegner es sich vorstellen können. Wir haben den längeren Atem.«
Die zunehmende Kritik in Gaza an der Hamas beantwortet diese mit repressiver Gewalt. Der palästinensische Blogger und Journalist Ihab Fasfous kritisierte mehrfach die hohen Opferzahlen unter der Zivilbevölkerung und forderte einen Waffenstillstand. Letzte Woche wurde er entführt und nach zwei Tagen mit Wirbelsäulenverletzungen in eine Klinik eingeliefert.
Radikalisierung und Nationalismus als Gefahr von beiden Seiten
Wie sehr auf beiden Seiten zurzeit die radikalen Kräfte den Ton angeben, zeigt auch der Tod der amerikanisch-türkischen Friedensaktivistin Ezgi Eygi. Die 26-Jährige hatte zusammen mit anderen internationalen Freiwilligen versucht, eine palästinensische Familie vor den Angriffen jüdischer Siedler bei Nablus zu schützen. Beim Begleiten von Hirten auf ihr Feld wurde Eygi von einem israelischen Soldaten erschossen.
»Das Westjordanland und Gaza werden demnächst immer wieder aufflackernde Krisengebiete sein, in denen bewaffnete Siedler die Polizeiarbeit machen«, so Itamar Avneri von der israelischen Friedensinitiative »Standing Together« aus Tel Aviv. Palästinenser und Israelis sammelten in den vergangenen Monaten mehrere Tonnen Hilfsgüter, die mithilfe des Internationalen Roten Kreuzes in Gaza verteilt werden sollen. »Gerade, weil der politische Prozess tot zu sein scheint, müssen wir gegen den Hunger und die dortigen unmenschlichen Lebensumstände aktiv werden. Die gerade stärkere werdende Radikalisierung und der Nationalismus auf beiden Seiten ist für uns alle eine Gefahr.«
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