Ausgebeutet auf Europas Straßen

Gewerkschaften fordern EU-weite Maßnahmen zur Regulierung von Subunternehmerketten

Gewerkschaften fordern einen besseren Schutz vor Ausbeutung auf Europas Straßen.
Gewerkschaften fordern einen besseren Schutz vor Ausbeutung auf Europas Straßen.

Mitte September wurde das Urteil gegen Litauens ehemaligen stellvertretenden Verkehrsminister und Geschäftsführer von Arijus Transport von einem belgischen Gericht bestätigt. Es verhängte eine sechsmonatige Haftstrafe auf Bewährung sowie eine Geldstrafe von mehr als 200 000 Euro. Sechs Lkw-Fahrer aus Litauen, der Ukraine und Belarus hatten mit Unterstützung der niederländischen Gewerkschaft FNV gegen das Unternehmen geklagt. Dem Gericht zufolge hatte es die Rechte der Arbeiter missachtet, da es den belgischen Mindestlohn unterlief und die Fahrer in ihren Kabinen übernachten mussten. Für Arijus waren diese im Auftrag der Logistikkonzerne Samskip, ECS und P&O Ferrymasters unterwegs.

Der Fall sei keine Ausnahme in der Transportbranche, unterstreicht Edwin Atema im Gespräch mit »nd«. Der niederländische Gewerkschafter ist ehemaliger Lkw-Fahrer und unterstützte die Arbeiter im belgischen Gerichtsverfahren. Mit seiner Stiftung Road Transport Due Dilligence setzt er sich europaweit für die Rechte von Fernfahrern und gegen Ausbeutung in der Logistikbranche ein. »Menschenrechtsverletzungen in den Subunternehmerketten im Straßentransport spielen eine große Rolle«, betont er.

Wie das Geschäftsmodell funktioniert, erklärt Oskar Brabanski, Regionalleiter bei der Gewerkschaftsinitiative Faire Mobilität. Das Beratungsnetzwerk informiert und unterstützt Arbeiter*innen, insbesondere aus Mittel- und Osteuropa. »Es gibt in der Regel einen Auftrag, der an einen Generalunternehmer geht. Der gibt das an Fuhrunternehmer weiter, meistens undurchsichtige Firmengeflechte oder Briefkastenfirmen in Osteuropa.« Diese stellten dann die Fahrer ein, die aber meist aus Drittstaaten kommen. »Diese Ketten zu rekonstruieren, ist extrem schwierig«, sagt Brabanski im Gespräch mit »nd«. So würden Arbeitsrechtsverletzungen verschleiert, Steuer- und Sozialversicherungszahlungen umgangen und Kontrollen erschwert.

Und auch in anderen Branchen wie der Bauwirtschaft oder bei Paket- oder Lieferdiensten haben sich Geschäftsmodelle entwickelt, die auf der Ausbeutung von vielfach migrantischen Arbeiter*innen in undurchsichtigen Subunternehmerketten beruhen. Um dem etwas entgegenzusetzen, fordern die drei Gewerkschaften Föderation der Bau- und Holzarbeiter, der Verband der Gewerkschaften für Lebensmittel, Landwirtschaft und Tourismus sowie der Europäische Transportarbeiterverband mit einer Demonstration am Dienstag in Straßburg EU-weite Regelungen.

Zu den Forderungen gehören Obergrenzen von maximal ein oder zwei Nachunternehmer-Ebenen und für den Anteil von Unteraufträgen am Gesamtvolumen eines Auftrags. Mehr Befugnisse und Personal bei den entsprechenden Arbeitsschutzbehörden sollen die Kontrollen verbessern. Zudem müssten europäische Betriebsräte gestärkt werden, damit sie mehr Rechte bei der Überwachung von Unteraufträgen erhalten. Subunternehmen sollten ferner ihren Beschäftigten die gleichen Arbeitsbedingungen und Sozialleistungen gewähren wie der Hauptauftragnehmer. Dadurch könnten Direkteinstellungen gefördert werden. Und analog zur Tariftreueregelung, die Arbeitsminister Hubertus Heil zuletzt in die Ressortabstimmung gegeben hat, müssten strengere Vergaberegeln und eine Tarifvertragspflicht für öffentliche Aufträge gelten.

Als besonders effektiv könnte sich die Einführung einer EU-weiten Nachunternehmerhaftung erweisen. Demnach müssten Hauptauftragnehmer auch für Verstöße ihrer Subunternehmer haftbar gemacht werden können. »Das würde viel helfen«, erklärt Brabanski von Faire Mobilität. Eine entsprechende Regelung wird nicht nur in der Paketbranche, sondern auch im Baugewerbe praktiziert. »Zwar bislang nur für die Nettolöhne und nicht für die Sozialausgaben«, bemängelt er. Dennoch sei das ein wichtiger Schritt gewesen. »Wenn ich weiß, ich hafte, dann wähle ich meine Subunternehmer sorgfältiger aus«, unterstreicht er.

»Es besteht ein Desinteresse, Menschenrechtsverletzungen zu bestrafen.«

Edwin Atema Stiftung Road Transport Due Dilligence

Auch Atema unterstützt den Forderungskatalog. »Aber«, betont er, »ich warne vor der Illusion, dass mehr Gesetze und Regularien automatisch die Lage der Beschäftigten verbessern.« Die Vergabe von Unteraufträgen sei nicht per se die Quelle des Übels. In der Transportbranche begingen bereits die Hauptauftragnehmer gravierende Rechtsverletzungen. »Es besteht ein Desinteresse, Menschenrechtsverletzungen zu bestrafen.« Da müsse man ansetzen und bestehende Regelungen besser anwenden. »Das würde schon viele Menschenrechtsverletzungen verhindern«, ist er überzeugt und verweist unter anderem auf das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz.

Für den Straßengüterverkehr gibt es zudem das EU-Mobilitätspaket, das in Teilen schon seit 2020 in Kraft ist und Regelungen zu Lenk- und Ruhezeiten sowie zur Entsendung von Arbeiter*innen umfasst. Zudem regelt es Mindestlöhne bei sogenannten Kabotagefahrten. Das sind Transportdienstleistungen eines ausländischen Verkehrsunternehmens, bei dem die Mindestlöhne des zu befahrenen Landes gelten. Doch diese werden, wie im Fall von Arijus Transport, vielfach unterschritten. Das liegt auch an unzureichenden Kontrollen, sind sich alle Beteiligten einig, darunter auch der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik. So drohe die vorhandene Wirksamkeit des Mobilitätspaketes zu verpuffen, heißt es auf nd-Nachfrage. Auch der Verband fordert neben einer Nachunternehmerhaftung mehr und bessere Kontrollen. Dafür seien mehr Personal und eine zügige Digitalisierung nötig.

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