Clara Zetkin: »Deshalb bitte ich um strengste Vertraulichkeit«

Aus der Forschung: Ein Brief von Clara Zetkin gibt Auskunft über ihre Sorge um die kommunistische Bewegung

  • Jörn Schütrumpf
  • Lesedauer: 6 Min.
Clara Zetkin: »All das, was ich war und wirkte, es war gemeinsam Werk mit Rosa Luxemburg.«
Clara Zetkin: »All das, was ich war und wirkte, es war gemeinsam Werk mit Rosa Luxemburg.«

Die Deckel der Aktenordner, in denen im Bundesarchiv Berlin die Briefe Clara Zetkins – zumeist Kopien aus einem Moskauer Archiv – aufbewahrt werden, sind alle einheitlich beschriftet: mit dem Stempel »Vertraulich«. Kaum etwas im »real existierenden Sozialismus« war so geheim wie die eigene Geschichte. Zwar wurden schon vor über dreißig Jahren diese Stempel für ungültig erklärt, aber trotzdem sind bisher nur die Briefe aus den Jahren zwischen 1914 und 1923 veröffentlicht. Am dritten Band, der die Jahre 1924 bis 1933 reflektiert, wird derzeit gearbeitet.

Bis zum Juli 1921 war Clara Zetkin eine streitbare Kämpferin, die, auch wenn sie alleinstand, keiner Auseinandersetzung aus dem Wege ging – so auch während des 3. Kongresses der Kommunistischen Internationale im Sommer 1921 in Moskau. Wohl wissend, dass die neue putschistische Führung der KPD sie nur deshalb delegiert hatte, um sie in Moskau aus der Partei auszuschließen, wich Clara Zetkin keinen Millimeter von ihrer Kritik an der – im Hintergrund von den Bolschewiki geförderten – Putschtaktik der KPD ab. Ihre Haltung unterstrich sie mit der Bemerkung: »All das, was ich war und wirkte, es war gemeinsam Werk mit Rosa Luxemburg.« Lenin verhinderte Clara Zetkins Rauswurf: Am 9. Juli 1921 brachte er einen »Friedensvertrag« zwischen den moskautreuen KPD-Leuten und den angeblich rechten KPD-Gründern um Clara Zetkin zustande.

Schon Napoleon wusste, dass man mit Bajonetten vieles anstellen kann, nur eines nicht: auf ihnen sitzen. Doch genau das versuchten die Bolschewiki. Jeder Widerstand wurde mit Terror gebrochen – und so der sozialistische Gedanke Stück für Stück diskreditiert. Clara Zetkin sah sich zu diesem Kompromiss vom Glauben getrieben, auf die Politik der Bolschewiki zumindest mäßigend einwirken zu können; in der SPD war es ihr bis 1914 auch immer wieder gelungen, Einfluss zu nehmen.

Für diese politische Wende zahlte die erblindende Frau jedoch einen hohen Preis: Als erstes versuchte sie die Veröffentlichung des Fragments »Die russische Revolution«, verfasst von ihrer Freundin Rosa Luxemburg, zu verhindern. Als das misslang, schrieb sie ein Buch gegen Rosa Luxemburgs Kritik an der Politik der Bolschewiki: »Rosa Luxemburgs Stellung zur russischen Revolution« (1922). Außerhalb des parteikommunistischen Lagers jedoch völlig in Misskredit brachte sie sich erst im Sommer 1922, als sie sich als Anklägerin für einen Schauprozess gegen die Sozialisten-Revolutionäre hergab – zusammen mit deren linken Flügel hatten die Bolschewiki im November 1917 die Macht übernommen, sich dann aber mit ihm überworfen. Zwar blieb Clara Zetkin ihrem Vorhaben treu und schrieb an das Zentralkomitee der Bolschewiki einen Brief, in dem sie von Todestrafen abriet. Aber die Reaktion war eindeutig. Am 3. August 1922 schickte Clara Zetkin ihrer künftigen Schwiegertochter einen Boten: »[A]lle Erwartungen u[nd] Abmachungen wurden über den Haufen geworfen. Ich konnte Ihnen leider keine Nachricht geben. Das Telephon arbeitet nicht. Es ist unsicher, wann ich nach M[oskau] komme.« Am 7./8. August wurden die 22 Angeklagten verurteilt, 15 erhielten die Todesstrafe; sie wurde allerdings 1924 in Haftstrafen umgewandelt; man weiß nicht, was besser war.

Schon Napoleon wusste, dass man mit Bajonetten vieles anstellen kann, nur eines nicht: auf ihnen sitzen.

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Über den Faschismus, der sich im November 1922 in Italien an die Macht geputscht hatte, hielt Clara Zetkin vor dem Plenum der Kommunistischen Internationale im Juni 1923 ein von ihr angeregtes Referat. Darin entwickelte sie einen Politikansatz, der statt auf eine »proletarische Einheitsfront« auf ein breites antifaschistisches Bündnis zielte. Aber auch in diesem Punkt drang Clara Zetkin nicht durch; ab 1928 wurden die als »Sozialfaschisten« apostrophierten Sozialdemokraten – statt des Faschismus – sogar offiziell als Hauptfeind bekämpft.

Nach dem Scheitern des in Moskau im August 1923 beschlossenen »Deutschen Oktobers 1923« und Lenins Tod im Januar 1924 machte Clara Zetkin allerdings keine weiteren Zugeständnisse mehr. Nach außen wurde sie zwar weiterhin als Ikone hochgeehrt, aber in Wirklichkeit – nicht erst unter Stalin – zunehmend isoliert. Am 14. November 1929 schrieb sie an Elisabeth Mayer, einer Vertrauten, die mit der KPD nichts zu tun hatte: »Die Ursachen sind die gleichen, die mich auch jetzt schweigsam machen […] Es sind vor allem die steten, aufwühlenden, zerreißenden inneren Konflikte in dieser Zeit des Gärens u[nd] Werdens einer neuen sozialen Welt, geboren aus der uralten Frage: Was ist Wahrheit, was ist Pflicht? […]

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Nicht, daß ich im Unklaren über meine Einstellung zu den Ereignissen u[nd] den dabei in das Licht der Geschichte tretenden Menschen wäre. […] Aber die schwere Frage ist, wie lange ich in der Öffentlichkeit aus politischen Gründen, in Hinblick auf das Interesse der proletarischen Revolution schweigen muss. Entscheidend ist nicht, was einer nationalen Fraktion der Komintern momentan nützt u[nd] angenehm ist, sondern die Ausnützung einer Stellungnahme gegen das große Ganze durch die 2. Internationale, die reformistischen Parteien. […]

Muß ich Ihnen […] sagen, dass meine Überzeugung ganz unerschüttert ist […] von der Unvermeidlichkeit u[nd] dem Triumph der proletarischen Weltrevolution trotz aller Fehler u[nd] Irrungen Führender, trotz aller Fraktionskämpfe u[nd] anderen schlimmen Begleiterscheinungen des geschichtlichen Umwälzungsprozesses u[nd] seines subjektiven Trügens. […]

In den Kreisen der Partei u[nd] ebenso zuerst recht jenen der mir politisch u[nd] persönlich nächststehenden «rechten» Oppositionellen grassiert die üble Gepflogenheit des Klatsches. Ich muss aber aus politischen Gründen auf das Peinlichste vermeiden, dass sich Gerede u[nd] Geraune an u[nd] um meine Person haftet. Deshalb bitte ich um strengste Vertraulichkeit.«

An Ossip Pjatnitzki, einen anderen Vertrauten – er war der eigentliche Kopf der Kommunistischen Internationale; die Stalinsche Bolschewiki-Führung ließ ihn 1938 ermorden – schrieb Clara Zetkin zwei Monate später:

»Die ›Linie‹ vernichtet alles […] Wie die Partei in ihrem jetzigen Zustand, mit ihrer ›Linie‹ leerer revolutionärer Phrasen und Gesten und unter ihrer total unfähigen [Thälmann-]Führung eine Periode der Illegalität überstehen soll, ist eine Rätselfrage. […] Das Auftreten der Parteileitung ist derart, dass manche Leute den Eindruck erhalten, sie wolle die Illegalität, um sich noch mehr als durch die Cliquenwirtschaft der Kontrolle zu entziehen und ihre subjektive Unfähigkeit mit dem Schleier des objektiv Unmöglichen gegenüber der Gewalt zu verhüllen und sich mit dem Nimbus revolutionärer Romantik zu umgeben.«

In ihrem Brief an Elisabeth Mayer im November 1929 hatte einer der letzten Sätze gelautet: »Aber diese Zeit wird hoffentlich vorübergehen, in der ich, wie auch in M[oskau], in klösterlicher Einsamkeit vegetiere.« Diese Hoffnung trog. Stattdessen erlebte Clara Zetkin noch die Übergabe der Macht an die Nationalsozialisten; die schwerkranke Frau starb am 20. Juni 1933 in Moskau. Stalin, dem Clara Zetkin sich als einzige Prominente öffentlich nicht unterworfen hatte, sah sich gezwungen, ihre Urne an die Kremlmauer zu tragen.

Lektüretipp: Clara Zetkin. Die Briefe 1914–1933. Bd. II: Die Revolutionsbriefe (1919–1923). Hg. v. Marga Voigt u. Jörn Schütrumpf. Karl Dietz, 735 S., geb., 49 €.

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