Alzheimer: Früher erkennen, schneller behandeln

Der Kampf gegen die Alzheimer-Demenz braucht nicht nur neue Medikamente

Soziale Teilhabe wirkt: Musiktherapie in einer vom Unionhilfswerk betreuten Demenz-Wohngemeinschaft in Berlin-Neukölln.
Soziale Teilhabe wirkt: Musiktherapie in einer vom Unionhilfswerk betreuten Demenz-Wohngemeinschaft in Berlin-Neukölln.

An einer Demenz sind schon aktuell etwa 1,8 Millionen Menschen in Deutschland erkrankt, etwa 60 Prozent davon am Alzheimer-Typ. Die Prognosen für den Anstieg dieser Zahlen sind düster: Aufgrund der hohen Lebenserwartung wird für 2050 mit 2,3 bis 2,7 Millionen Patienten gerechnet. Schon jetzt funktionieren Pflege und Versorgung häufig mehr schlecht als recht. Wie wird das erst in einigen Jahren aussehen, wenn im Vergleich zu den Hochaltrigen immer weniger Menschen im arbeitsfähigen Alter sind?

Die Frage berührt verschiedene Themen im Kampf gegen die genannten neurologischen Erkrankungen. Seit 40 Jahren wird am jeweils am 21. September, zum Herbstanfang, der Welt-Alzheimer-Tag begangen, in Deutschland verbunden mit vielen Aktionen, Veranstaltungen und auch Gottesdiensten. Dabei geht es um die öffentliche Wahrnehmung der Erkrankung und der Patienten, aber auch um Versorgung wie um die Suche nach wirksamen Medikamenten.

»Demenz – Gemeinsam. Mutig. Leben« lautete in diesem Jahr das Motto des Welt-Alzheimer-Tages. Monika Kaus von der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft sieht in der Erkrankung einen Lebensabschnitt, dem sich viele Patienten und ihre Familien mutig stellen. Die meisten würden versuchen, möglichst lange selbstständig zu leben, unter anderem mit Sport, Reisen und Geselligkeit. Schreitet die Erkrankung aber fort, gelinge das immer weniger, während gleichzeitig die Hoffnung auf neue Medikamente wachse.

Wie berechtigt ist diese Hoffnung? Die Suche nach Wirkstoffen läuft schon einige Jahrzehnte, die bisherigen Erfolge sind eher mäßig. Zuletzt sorgte die Ablehnung der Zulassung von Lecanemab durch die europäische Arzneimittelbehörde Ema für Diskussionen. Der Antikörper soll Amyloid-Ablagerungen im Gehirn deutlich reduzieren. Diese Plaques wurden in der Forschung lange und bis heute noch zu Teilen für die Entstehung kognitiver Einbußen verantwortlich gemacht. Michael Rapp, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie (DGGP), sieht für das neue Medikament eine »biologisch sehr starke Wirkung«. Bis zu 90 Prozent der Amyloidplaques würden abgebaut.

Rapp erinnert aber zugleich an Versuche, die vor etwa 20 Jahren stattfanden, bei denen im Tiermodell die Ablagerungen vollständig zum Verschwinden gebracht wurden. Die Versuchstiere, in diesem Fall Mäuse, zeigten aber im Bereich der Kognition »nur geringe Effekte«.

Zu hohe Erwartungen an Alzheimer-Medikamente sieht Isabella Heuser von der Hirnliga als ein Problem. Die Liga fördert seit Jahrzehnten die Forschung, indem sie Spenden aus der Bevölkerung und von pharmazeutischen Unternehmen sammelt. Die wissenschaftliche Arbeit für neue Wirkstoffe müsse weitergehen. Unter anderem zu Lecanemab gibt es Forschungsbedarf in der Frage, was eine Langzeitanwendung für die Patienten bringt. Bisherige Studien endeten nämlich nach 18 Monaten. Unter anderem hier braucht es einen langen Atem. »Es gibt keine pharmakologische Revolution. Das Leben ist nicht so«, sagt die Medizinerin.

Lecanemab, dessen Zulassung laut Heuser aktuell in einem Widerspruchsververfahren bei der Ema steckt, könnte demnach trotz aller Einschränkungen doch einem Teil der europäischen Alzheimerpatienten zugutekommen. Sinnvoll wäre das nur für ein bis zwei Prozent der Erkrankten. Trotzdem hält Psychiater Rapp auch Medikamente für einen wertvollen Baustein im Kampf gegen Alzheimer und andere Demenzen. Er verweist auf die Bandbreite dieser Erkrankungen, unter anderem auf gefäßbedingte, also vaskuläre Demenzen. Oder auf jene, die Folge von anderen, aber heilbaren Krankheiten seien.

Bei bis zu 15 Prozent der Demenzpatienten liege dem Leiden eine Schilddrüsenerkrankung zugrunde. Das Problem bisher: Zu wenige Menschen ab 70 Jahren gingen zu einer Früherkennung, eigentlich sollten alle eine solche Untersuchung durchlaufen. Rapp meint darüber hinaus: »Menschen mit Gedächtnisproblemen sollten zum Arzt gehen.« So ließen sich behandelbare Demenzen schneller erkennen und die Ursachen abstellen.

Vor Medikamenten und anderen Therapien steht die Prävention. Auch um Demenzen vorzubeugen, ist ein gesunder Lebensstil zu empfehlen – mit Sport, ausgewogener Ernährung sowie ausreichend kognitiver Aktivität und sozialer Teilhabe. Unter einer ganzen Reihe von Risikofaktoren sollte zum Beispiel eine möglicherweise vorhandene Depression behandelt werden. Psychiater Rapp denkt zwar, dass über Prävention nur ein kleiner Teil der Demenzfälle verhindert werden können, meint aber: »Jedes Prozent zählt.«

Das gilt umso mehr, als die Probleme bei der Versorgung von Alzheimer- und anderen Demenzpatienten heute schon am Tag der Diagnose beginnen und im ganzen Verlauf der Erkrankung eher nicht abnehmen. Laut Saskia Weiß von der Geschäftsstelle der Alzheimer-Gesellschaft sei schon das erste Problem, dass viele Familien keine Beratung für ihre Situation finden »und dann auch nicht den Weg in das Versorgungssystem«. Unter anderem fehlten Pflegedienste und Plätze in der Kurzzeitpflege. Durch den Mangel könnten sich die Träger auch »einfache Kunden« aussuchen. Weiß sieht hier »eine dramatische Situation, die sich weiter zuspitzt.«

»Menschen mit Gedächtnisproblemen sollten zum Arzt gehen.«

Michael Rapp Psychiater und Psychotherapeut
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