Grüne Jugend implodiert

Sieben GJ-Landesvorstände haben sich ganz oder teilweise dem Rücktritt des Bundesvorstands angeschlossen. Noch-Mitglieder sind enttäuscht und wütend

Die Grüne Jugend in Scherben: Fast die Hälfte der Landesspitzen verlässt die Nachwuchsorganisation
Die Grüne Jugend in Scherben: Fast die Hälfte der Landesspitzen verlässt die Nachwuchsorganisation

Die Austrittswelle bei der Nachwuchsorganisation der Grünen hält an: Nachdem der Bundesvorstand der Grünen Jugend (GJ) vergangene Woche geschlossen seinen Rücktritt angekündigt hatte, sind inzwischen sechs Landesvorstände dem Schritt der GJ-Spitze gefolgt. Unter denen, die in der GJ bleiben, macht sich großer Unmut breit. In einem Mitgliedermeeting erhoben Teilnehmende schwere Vorwürfe gegenüber dem GJ-Bundesvorstand.

Seitdem die GJ-Spitze vergangenen Donnerstag bekanntgab, eine neue linke Jugendorganisation zu gründen, lässt sich der Zerfall der Grünen Jugend live auf Instagram verfolgen. Jeden Tag kommen auf dem Profil der neuen Gruppe, die bislang unter dem Namen »Zeit für was Neues« auftritt, neue Posts dazu, in denen weitere GJ-Mitglieder ihren Austritt aus der Grünen und Eintritt in die Neuorganisation verkündet.

Den Anfang machte noch am Donnerstag der Vorstand des Landesverband Niedersachsens. »Gemeinsam mit zahlreichen weiteren Mitstreiter*innen aus der Grünen Jugend werden wir etwas neues beginnen« heißt es in ihrer Erklärung. »Immer mehr Menschen vereinsamen, unsere Freunde finden keine bezahlbare Wohnung, wir können uns oft nur nudeln mit Pesto ›gönnen‹« so der Vorstand. Es brauche eine starke Linke Partei, die für die Menschen da sei, statt Politiklogiken zu folgen. »Für uns ist diese Partei nicht B90/Die Grünen«.

Danach folgten Austrittserklärungen der GJ-Landesvorstände in Bayern, Nordrheinwestfahlen, Schleswig-Holstein, dem Saarland und zuletzt Hamburg. Auch Teile des Vorstands der rheinland-pfälzischen GJ wollen ihr Amt niederlegen. Eine inhaltliche Erklärung gaben sie allerdings nicht ab und auch auf dem Instagram-Account von Zeit für was Neues tauchten sie bislang nicht auf.

Die einzige Grüne-Mandatsträgerin, die bisher ihren Rücktritt erklärt hat, ist die Hamburger Abgeordnete Ivy May Müller. In einem recht aufwendig produzierten Video auf Instagram teilte sie mit: »Als ich 2020 für die Grünen in den Hamburger Landtag eingezogen bin, wollte ich die Hoffnung meiner Generation ins Parlament tragen,« so Müller. Diese Hoffnung habe ihre Generation verloren. Auch sie ist überzeugt, es brauche einen neuen linken Jugendverband, dem sie sich nach dem GJ-Bundeskongress anschließen möchte.

Kurz darauf verkündete die Landepolitikerin ihren Wechsel in die Linksfraktion des Hamburger Abgeordnetenhauses. Ein Schritt, der in der Grünen für Kritik sorgte. »Das ist ein #Sahrawagenknecht Move« kritisierte der Grüne Bundestagsabgeordnete Kassen Taher Saleh unter dem Beitrag. Anständig wäre es gewesen, so Taher Saleh, das Mandat abzugeben.

Was genau aus der neuen Jugendorganisation entstehen soll, wurde bisher nicht bekannt gegeben. Aus GJ-Mitglieder-Kreisen hat »nd« erfahren dass es Pläne für eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei gibt. Demnach soll der neue Jugendverband zwar vorerst unabhängig bleiben, aber für Die Linke, etwa bei der kommenden Bundestagswahl, Wahlkampf machen. Einzelnen Mitgliedern des neuen Jugendverbandes stünde es dann offen, Mitglied bei der Linkspartei zu werden und direkt für sie zu kandidieren. Der Vorstand der Grünen Jugend wollte sich gegenüber »nd« nicht dazu äußern.

Wut und Enttäuschung

Unter den Mitgliedern der Grünen Jugend, die in der Partei bleiben wollen, sorgte der Schritt des Vorstandes für Wut und Enttäuschung. In einem offenen Mitgliedertreffen, das der Bundesvorstand am vergangenen Donnerstagabend kurzfristig einberäumt hatte, erhoben Teilnehmer*innen schwere Vorwürfe gegenüber der Spitze. »nd« liegen Mitschnitte des Online-Meetings vor.

»Ich bin wirklich extrem enttäuscht von euch« sagte ein Teilnehmer des Treffens, der sichtilich emotional aufgewühlt ist, zu Magdalena Schulz und Svenja Appuhn, die den Vorstand in dem Meeting vertraten. Der Schritt, nach einem Jahr im Amt den Posten niederzulegen, sei »einfach nur unverantwortlich« so das GJ-Mitglied weiter. »Ihr hinterlasst uns einen Scherbenhaufen« sagt ein weiterer Teilnehmer.

Andere äußerten zwar Verständnis für die Rücktrittsentscheidung an sich, gaben sich aber schockiert über die Art und Weise, wie der Vorstand den Schritt kommuniziert hatte. »Ich habe teilweise von Landesverbänden gehört, die über Twitter von dem Rücktritt erfahren haben«, kritisierte eine teilnehmende Person.

Darüber hinaus stehen aber noch schwerere Vorwürfe im Raum. »Ich erwarte, dass wir diese ganze Sache aufarbeiten« forderte ein GJ-Mitlgied wütend. Eine Vermutung, die von ihm und anderen in dem Treffen geäußert wird: Der Bundesvorstand habe Zeit und Ressourcen der Organisation darauf verwendet, das neue Projekt zu gründen und somit GJ-Gelder veruntreut.

Gegründet wurde die Grüne Jugend 1994, ein knappes Jahr nach der Vereinigung der Grünen mit dem Bündnis 90. Rund 16 000 Mitglieder sind aktuell in 16 Landesverbänden organisiert.

Özdimir setzt einen drauf

Mitten im Abspaltungsprozess der linken GJler*innen sorgt Agrarminister und »Oberrealo« Cem Özdemir für Empörung innerhalb des linken Flügels der Grünen. In einem Beitrag für die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« kritisch mit der Migrationspolitik äußerte er sich kritisch gegenüber Migration. Seine Tochter werde häufiger »von Männern mit Migrationshintergrund unangenehm begafft oder sexualisiert«. Klare Grenzen müssten gezogen werden: »Wer einen wertvollen Teil zu unserem Land beitragen kann und will, ist willkommen. Wer nachweislich Schutz sucht, dem helfen wir. Für alle anderen haben wir keinen Platz.« Özdemir wird nachgesagt, Winfried Kretschmann als Ministerpräsident Baden-Württembergs nachfolgen zu wollen.

Die Grünen-Außenministerin Anna-Lena Baerbock verteidigte Özdemirs Text als Beitrag dazu, vermeintliche Widersprüche offensiv zu thematisieren. Für diejenigen in der Grünen Jugend, die noch unentschlossen sind, dürfte dies ein weiterer Anlass sein, die Partei zu verlassen.

»Das ist ein #Sahrawagenknecht Move. Anständig wäre es gewesen, das Mandat abzugeben.«

Kassem Taher Saleh, Bundestagsabgeordneter und Mitglied der grünen Jugend
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