Donald Trump: Großer kleiner Mann

Die faschistische Gefahr (Teil 2): Das Menetekel Donald Trump

  • Helmut Dahmer
  • Lesedauer: 7 Min.
Anstifter Trump begutachtete den Sturm seiner Anhänger am Fernseher und erklärte dann, er »liebe« sie, weil sie »ganz besondere« Leute seien.
Anstifter Trump begutachtete den Sturm seiner Anhänger am Fernseher und erklärte dann, er »liebe« sie, weil sie »ganz besondere« Leute seien.

Seit Langem haben sozialistische Soziologen und Politiker in- und außerhalb der Vereinigten Staaten nicht nur vor der parlamentarisch nicht kontrollierbaren »Power Elite« (C. W. Mills), sondern auch vor einem spezifisch amerikanischen »Faschismus« gewarnt. Seit dem 6. Januar 2021 wissen wir, wie der aussieht: Als die Anhänger von Donald Trump versuchten, das Kapitol zu stürmen.

Der von Januar 2017 bis Januar 2021 regierende republikanische Präsident Trump wandte sich seit Beginn seiner Polit-Karriere über die ihn favorisierenden sozialen Medien – Twitter, damals kontrolliert von Jack Dorsey, Facebook, kontrolliert von Mark Zuckerberg, und den Fernsehsender Fox News, kontrolliert von Rupert Murdoch – direkt an die Erniedrigten und Beleidigten unter den weißen Wählern, denen er sich (ein milliardenschwerer Immobilienmakler und TV-Entertainer) erfolgreich als »einer der ihren« zu präsentieren wusste. Als ein unwissender, sprachlich armseliger Haudrauf und sexistischer Grobian mit starrer Mimik und ein paar einstudierten, stets repetierten »imperialen« Gesten, der zur Freude von 63 Millionen Wählern ins Weiße Haus geschwemmt wurde und rhetorisch gegen »Eliten« und »Lügenpresse« Front machte.

Das war ein Mann ihres Herzens, der mit anderen Mächtigen dieser Erde auf Du und Du stand, Außenpolitik wie ein Elefant im Porzellanladen betrieb, sich mit Ja-Sagern umgab und Leuten, die nicht »spurten«, jederzeit den Stuhl vor die Tür setzte. Trump erschien seinen Anhängern als ein »ganzer Kerl«, der sich die Welt zurechtfantasiert, wie es ihm passt, einer, der der privilegierten weißen Bourgeoisie ebenso wie den Delogierten, Nichtversicherten und den Arbeitslosen der Arbeiterklasse die »Wiederherstellung« glanzvoller Zeiten verhieß. Und dabei die Konservierung der alten Ungleichheit zwischen Weiß und Nichtweiß und zwischen männlich und weiblich – zwischen denen, die haben, und denen, die nichts haben, zusicherte.

Dieser »kleine«, aber vermögende Mann, ein ungehobelter Klotz mit beschränktem Horizont, war »groß«, weil er die stärkste Armee der Welt kommandierte und den Einsatz atomarer Vernichtungswaffen anordnen konnte. Hinter ihm standen auch gegen Ende seiner Amtszeit 2021 noch gut 74 Millionen potenzielle Wähler (aus allen Sozialschichten), von denen ein Großteil bewaffnet war und deren »harten« Kern organisierte faschistische Gruppen (wie die »Proud Boys« und die »White Supremacists«) bildeten. Dieser Präsident, ein »Querdenker« und QAnon-Sympathisant, brach die Regeln einer parlamentarischen Demokratie, indem er schon im Vorfeld der 2020er Wahlen ankündigte, eine Niederlage nicht anzuerkennen.

Wie alle paranoiden Charaktere leidet Trump an »pathischer Projektion«, das heißt: er ist, als notorischer Lügner, außerstande, seine Wunsch- und Albträume nicht für die Wirklichkeit zu halten. Gerade darauf beruht ja die Faszination, die solche Leute – als »Charismatiker« – auf ihre (ebenfalls lebhaft tagträumenden) Anhänger ausüben. Sie glauben noch an den »Endsieg«, sei es im Krieg oder im Wahlkampf, wenn längst alles verloren ist.

Als es am 6. Januar 2021 zum einen um die Stichwahlen in Georgia und damit um die Mehrheit im künftigen Senat ging, zum anderen um die »Zertifizierung« der Wahlmännerstimmen, also um die Feststellung der Mehrheits-Minderheits-Verhältnisse bei der Präsidentschaftswahl vom November 2020, mobilisierte er seine Anhänger, um zu verhindern, dass (der evangelikale) Vizepräsident Mike Pence pflichtgemäß den Sieg Bidens verkündete. Vom Weißen Haus aus dirigierte er einen Protestmarsch aufs Kapitol, um Druck auf Pence und die Abgeordneten auszuüben. Ein Stoßtrupp gewalttätiger Randalierer in abenteuerlicher Kostümierung und ausgerüstet mit Hieb-, Stich- und Schusswaffen, Kabelbindern und Rohrbomben drang in das Gebäude ein und begann eine Jagd auf Abgeordnete und Polizisten. Fünf Tote blieben auf der Strecke. Trump, der Anstifter, begutachtete am Fernseher im Weißen Haus diesen Lauf der Dinge und erklärte den Randalierern, er »liebe« sie, weil sie »ganz besondere« Leute seien. Spät, aber dann doch, drängten ihn seine verbliebenen Berater zu einer zwielichtigen Erklärung, in der er seine Legende von der »Gestohlenen Wahl« (an Wahlurnen unbesiegt!) bekräftigte, seine Anhänger aber zu einem friedlichen Rückzug aufforderte.

Im Parlament hing alles an einer Person, dem Vizepräsidenten Pence, der vier Jahre lang Trumps Komplize gewesen war und nun wie ein Rohr im Wind schwankte, zunächst das Zertifizierungsverfahren unterbrach, dann aber, nachdem die evakuierten Abgeordneten sich wieder einfanden (und zwei trumpistische Abgeordnete ihre Einsprüche zurückzogen), die Formalie zu Ende brachte und nun in Trumps Augen nur noch als »Weichei« und »Verräter« galt. In diesen Nachtstunden entschied sich für diesmal das Schicksal der US-Demokratie. Und das sei all denen eine Lehre, die auf die vermeintliche »Stabilität der Institutionen« setzen.

Verfassungsfragen sind, wie Ferdinand Lassalle wusste, Machtfragen, und was aus den demokratischen Institutionen wird, hängt von den Menschen ab, die sie verteidigen, und von der Durchsetzungsfähigkeit – also der Macht oder Ohnmacht – der gesellschaftlichen Klassen, für die sie stehen. Hätte die Besetzung des Kapitols angedauert, Pence das laufende Verfahren, statt es fortzusetzen, abgebrochen, wäre ein Interregnum entstanden, in das der wartende Trump (mit oder ohne Unterstützung von Pence) vorgestoßen wäre, um (mit Hilfe von Nationalgarde und Armee) die »Ordnung wiederherzustellen«, die Wahl zu annullieren und »einfach« weiterzuregieren.

Was aber folgt für die Opposition gegen Trump aus dessen vierjähriger Präsidentschaft und daraus, dass er noch immer einen Rückhalt von mehr als 74 Millionen potenziellen Wählern hat? Die Linke ist in den Vereinigten Staaten traditionell schwach und, wie gegenwärtig in vielen Ländern, auf kleine agitatorisch und propagandistisch tätige Gruppen beschränkt. Deren Überlebenschance besteht darin, Verbündete (auf dem linken Flügel der Demokraten, im Gewerkschaftsapparat, in der Studentenschaft, der Frauen- und Minderheitenbewegung, bei den »Black Life Matters«-Demonstranten, den Hispano-Amerikanern und bei der »Fridays for Future«-Jugend) zu werben, die es ihnen eventuell einmal ermöglichen, eine dritte, sozialistische Partei zu formieren.

Die Vereinigten Staaten sind seit dem Ersten Weltkrieg die bedeutendste ökonomisch-militärisch-kulturelle Bastion des Weltkapitalismus. Die amerikanische Demokratie ist – wie die französische – im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts entstanden, und sie war lange Zeit – wie die älteste, die athenische – eine Sklavenhalter-Demokratie. Ihre Voraussetzung war die erfolgreiche Landnahme durch europäische Religions- und Wirtschaftsflüchtlinge, die in einer langen Reihe von »Indianerkriegen« die Urbevölkerung vertrieben und dezimierten und sodann durch afrikanische Sklaven ersetzten. Nach dem Bürgerkrieg der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts und im Gefolge der Studenten- und »Rassen-Unruhen« des 20. Jahrhunderts (während des »Kalten Krieges«) wurde aus der offenen Apartheids-Gesellschaft eine verdeckte. Deren Fortexistenz ist erst nach der Ermordung des Schwarzen George Floyd durch drei weiße Polizisten auf offener Straße (in Minneapolis im Frühjahr 2020) national und international wieder ins kollektive Bewusstsein gerückt.

In allen als »demokratisch« bezeichneten Staaten – es werden derzeit weltweit immer weniger – figurieren die »demokratischen« Strukturen nur als eine Insel inmitten vordemokratischer Wirtschafts- und Lebensverhältnisse, eine Insel, die jederzeit in Gefahr steht, von dem vordemokratischen Meer, aus dem sie aufgetaucht ist, wieder verschlungen zu werden, sich also in ein mehr oder weniger »autoritäres« Regime zu verwandeln. Auf dem abschüssigen Weg dorthin geben die Parteien und Regierungen, die Mangel und Ungleichheit samt dem gärenden faschistischen Untergrund nur verwalten, den Status quo (von dem sie selbst leben) als »alternativlos« aus. Tatsächlich beruht der Erfolg der sogenannten »populistischen« Demagogen und Parteien und die Faszination, die von faschistischen, »evangelikalen« oder »islamistischen« Sekten ausgeht, darauf, dass die Entwicklung der höchstentwickelten Gesellschaften in steigendem Maße auf »Eindimensionalität« (Herbert Marcuse) hinausläuft. Wo plausible Alternativen zum Status quo und zu der von ihm determinierten Entwicklung nicht mehr gedacht, geschweige denn in die öffentliche Diskussion und in Wahlkämpfe eingeführt werden können, füllen skrupellose Demagogen das Vakuum mit globalen Pseudoerklärungen und fantastischen, gewaltträchtigen Heilsversprechen.

Helmut Dahmer ist Sozialphilosoph und lebt in Wien. Von 1974 bis 2002 war er Professor für Soziologie in Darmstadt.

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