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- 75 Jahre DDR
Die DDR – eine Fehlgeburt?
Als die DDR am 7. Oktober 1949 ins Leben trat, verstand sie sich erst mal als provisorisch
Die DDR ist nicht kleinzukriegen. Sie mäandert noch in den Köpfen Ostdeutscher, vielfach ganz anders erinnert, als in den Werken der institutionalisierten Historiografie. Während immerhin ein Boulevardblatt wie der »Berliner Kurier« mit der DDR auch niedrige Preise und Sozialleistungen verbindet, fällt Politikern zu ihr nicht viel mehr als »Gefängnis«, »Unrechtsstaat« und »zweite Diktatur auf deutschem Boden« ein. »Experten« beklagen die Unfähigkeit der Ostdeutschen, mit Demokratie und Freiheit zurande zu kommen. Nicht hinterfragt wird, ob deren Demokratieverständnis eventuell ein etwas erweitertes ist, das soziale Sicherheit und Friedenspolitik mit einschließt.
Publikationen einer jüngeren Generation von Wissenschaftlern wie von Katja Hoyer, Dirk Oschmann oder Steffen Mau wie auch einige Feuilletonartikel, die von einem differenzierteren, sachlicheren Umgang mit der DDR zeugen, sind kosmetische Korrekturen, die am negativen, abwertenden Gesamtbild der DDR und des sogenannten Realsozialismus in der Öffentlichkeit nichts ändern. Dem Druck beugen sich ohne Not auch manche linke Historiker und Politiker, vielleicht im irrigen Glauben, durch permanente Selbstkritik irgendetwas retten zu können von der an sich doch guten Sache, die mit der sozialistischen Idee verbunden war. Dies verkennt die Tatsache, dass jeglicher Versuch einer sozialen und politischen Domestizierung des Kapitalismus dem Kapital und dessen Ideologen als »kommunistisches Teufelswerk« gilt. Gern übersehen wird übrigens, dass mit dem Ende des Ostblocks auch das viel gerühmte »sozialdemokratische Jahrhundert« abrupt beendet wurde.
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Doch wie kam es überhaupt zur Gründung der DDR? Wenige Monate nach der Verkündung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 in Bonn, die als Gründungsakt der Bundesrepublik Deutschland gilt, sowie drei Wochen nach der Wahl des ersten deutschen Bundeskanzlers, Konrad Adenauer, durch den ersten Deutschen Bundestag am 15. September, zog der Osten wenig begeistert nach. Am 7. Oktober wurde in der sowjetischen Besatzungszone mit der Verabschiedung der »Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik« und der Konstituierung der ersten Volkskammer der zweite deutsche Staat ins Leben gerufen. Parlament und Regierung waren noch mit dem Zusatz »provisorisch« versehen. Stalin begrüßte die DDR als einen »Wendepunkt in der Geschichte Europas«. In Berlin, nun wieder Hauptstadt, wertete Ministerpräsident Otto Grotewohl die DDR als »Ausdruck des unerschütterlichen Willens der demokratischen Kräfte des deutschen Volkes, seine nationale Not zu überwinden und sein Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen«. Dem hielt Adenauer entgegen: »Die Bundesrepublik Deutschland fühlt sich auch verantwortlich für das Schicksal der 18 Millionen Deutschen, die in der Sowjetzone leben.« Bonn bekundete einen Alleinvertretungsanspruch für ganz Deutschland, bald auch den Anspruch, den Osten zu »befreien«.
Die Bundesrepublik wie die DDR, an der Trenn- und Frontlinie des bereits tobenden Kalten Krieges zwischen den einstigen Alliierten gegen Hitlerdeutschland, waren in die sich nun herausbildenden Blöcke ihrer jeweiligen Besatzungsmächte eingebunden. Die Deutschen hatten die faschistische Diktatur nicht aus eigener Kraft überwunden, verordnet von und unter der Aufsicht der Siegermächte hatten sie den Weg zu einer demokratischen Gesellschaft einzuschlagen. Materiell war in West wie Ost viel zu leisten. Aber nicht nur die Trümmer in den Städten, auch in den Köpfen mussten aufgeräumt werden. Dies- und jenseits der Elbe schieden sich jedoch die Geister, ob die Verantwortung für die Wirtschaft wieder zurück in die Hände des kriegsgewinnlerischen Kapitals oder in die des Volkes gegeben werden sollte.
Letzteres war mit einem größeren Wagnis verbunden: Einfache Werktätige sollten zu Gestaltern einer alternativen Wirtschaftsordnung aufsteigen. Mit dem Anspruch, ebenfalls alsbald die Versorgung der Bevölkerung vollauf zu sichern und volle Schaufenster präsentieren zu können, wollte man im Osten darüber hinaus die Klassenspaltung aufbrechen, Bildung für alle gewährleisten, die Gleichstellung von Frau und Mann auch im Alltag und nicht nur auf dem Papier garantieren und die Kluft zwischen Stadt und Land überwinden.
Das Modell für diese gesellschaftliche Neuorientierung wurde aber – oft im Widerspruch zu eigenen Überzeugungen – aus Moskau importiert, wobei durchaus hin und wieder versucht wurde, spezifische Erfahrungen der deutschen Arbeiterbewegung einzubringen. Ein komplizierter widerspruchsvoller Prozess. Voraussetzung war, dass sich die Wirtschaft rasch erhole, was nur begrenzt gelang angesichts unzureichender Ressourcen und abgeschnitten von den industriellen Zentren an Rhein und Ruhr sowie dem schlesischen Industrierevier, das nunmehr zu Polen gehörte. Zudem bestand die Sowjetunion auf Reparationen für Leid und Zerstörungen zur Zeit der deutschen Okkupation. In der Bundesrepublik, die kaum Reparationslasten zu tragen hatte, erholte sich die Wirtschaft rasch, die materiellen Bedürfnisse ihrer Bevölkerung konnten mehrheitlich befriedigt werden.
Die DDR war eine logische Konsequenz aus deutscher Geschichte.
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Ja, die DDR stand auf der »richtigen Seite« – hinsichtlich der Bekämpfung faschistischen Ungeistes, der Ahndung von Nazi- und Kriegsverbrechen und der Verständigung und Versöhnung mit ehemaligen Kriegsgegnern und Völkermordopfern im Osten. Sie stand an der Seite der antikolonialen und nationalen Befreiungskämpfer, nicht immer eindeutig, aber mit ganzem Herzen. Die Bevölkerung spendete gern, ob es um Bleistifte für Kuba oder Fahrräder für Vietnam ging. Während die Bundesrepublik gute Geschäfte mit den von den USA gestützten Militärdiktaturen in Lateinamerika machte, ebenso mit dem Apartheidregime in Südafrika trotz internationaler Ächtung.
In der DDR hat man in ihren guten Jahren unter Walter Ulbricht sehr wohl verstanden, dass die Wirtschaft reformiert und mit der wissenschaftlich-technischen Revolution Schritt gehalten werden müsste. Doch das Neue Ökonomische System der Planung und Leitung (NÖS) wurde abgewürgt, die Sozialpolitik fortan auf Pump und nicht gekoppelt mit entsprechender Wirtschaftspolitik vollzogen.
Die 1980er Jahre waren nicht nur Schicksalsjahre der DDR, das veränderte internationale wirtschaftliche und technologische Umfeld traf sie nachdrücklicher. Ökonomische Probleme mehrten sich, Partei- und Staatsführung blieben jedoch in ihrer Reformverweigerung stur. Das Ostbündnis zerbröckelte, jedem war das Hemd näher als der Rock. In der Sowjetunion, selbst mit ökonomischer Misere kämpfend, suchte man die Flucht in die westliche Wirtschaft, unter Preisgabe der eigenen Glacis in Osteuropa und dem bisherigen »Faustpfand« DDR. Es waren letztlich nicht die zu deren 40. Jahrestag im Herbst 1989 auf die Straßen gehenden, Reise- und Meinungsfreiheit fordernden Bürger und Bürgerinnen, Oppositionelle und reformwillige SED-Mitglieder oder auch gänzlich unpolitische Menschen, die sich ein besseres Leben wünschten, die der DDR den Todesstoß versetzten. Ihre »Revolution« hatte sich inzwischen Bonn angeeignet. Jedoch ohne Moskauer Plazet wäre die deutsche Vereinigung 1990 nicht möglich geworden.
Was bleibt unterm Strich? Die DDR war ein Versuch auf deutschem Boden, nach den gescheiterten Revolutionen von 1848/49 und 1918/19 sowie zwölfjähriger faschistischer Barbarei eine bessere, gerechtere Gesellschaft zu praktizieren, deren kategoriale Einordnung noch Generationen von Linken beschäftigen mag. Eine Fehlgeburt deutscher Geschichte war die DDR nicht, sondern eine logische Konsequenz aus dieser.
Dr. Stefan Bollinger ist Mitglied der Historischen Kommission der Linken sowie der Leibniz-Sozietät.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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