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Massaker - in der alten wie neuen Welt
Marina Münkler über das dramatische 16. Jahrhundert
Globalgeschichte hat Konjunktur. Sie nimmt die ganze Welt in den Blick. Im neuen Buch der Dresdner Kulturprofessorin Marina Münkler ruht der Blick jedoch auf Europa im »dramatischen 16. Jahrhundert«. Das ist nicht wenig. »Drei große Konfliktlinien prägen das Jahrhundert: das Vordringen der Spanier und Portugiesen auf den amerikanischen Kontinent und in den Indischen Ozean, die Expansion des Osmanischen Reichs und der Zerfall der Christenheit in zwei sich unversöhnlich gegenüberstehende Lager im Zuge der Reformation«, konstatiert die Autorin in ihrer detailreichen, profunden Darstellung.
Im ersten Komplex behandelt sie das Eindringen der europäischen Seemächte Spanien und Portugal vor allem in Amerika. Sie belegt, wir arrogant die Europäer den Indigenen dort begegneten, deren großartige Kulturen nicht wahrnehmend. Sie diffamierten jene als »Wilde«, die zu unterdrücken, zu berauben und zu ermorden rechtens sei. Marina Münkler weiß aber auch von ersten Ansätzen zur Herausbildung des modernen Völkerrechts zu berichten. Besondere Würdigung erfährt der Dominikaner Bartolomé de Las Casas, der jahrelang einen mutigen Kampf zum Schutz der »Indios« gegenüber der brutalen Ausplünderung und Ausrottungspolitik der spanischen Krone ausfocht.
Von gleicher Ignoranz war die Haltung der Europäer gegenüber den Osmanen, die ein großes Reich geschaffen hatten, das sich von Vorderasien über Nordafrika bis auf den europäischen Kontinent erstreckte. Deren politische, administrative und militärische Überlegenheit wurde mit dem Schreckgespenst »Türkengefahr« verunglimpft. Der Sultan war ein absoluter Herrscher, »dessen Machtfülle die der europäischen Könige wie auch des Kaisers bei weitem übertraf«. Und während die europäischen Heere noch von kämpfenden Rittern angeführt wurden, waren die Janitscharen bestens ausgebildete Fußtruppen, die auch in Unterzahl erfolgreich sein konnten. Osmanische Siege verdankten sich auch ihrer Artillerie, die so manche Schlacht entschied. Allein auf See waren die türkischen Streitkräfte den europäischen Seemächten nicht gewachsen. So verloren sie in der Seeschlacht von Lepanto (1571) fast ihre gesamte Flotte. Die Autorin relativiert diesen von westlicher Historiografie propagandistisch übertrieben ausgeschlachteten Erfolg: Er habe das westliche Mittelmeer nicht restlos und das östliche überhaupt nicht befrieden können.
Das dritte große Thema des Buches ist eng mit dem Namen Martin Luthers verbunden. Marina Münkler beleuchtet die Missstände in der römisch-katholischen Kirche, die das Fass zum Überlaufen brachte. Der Ablasshandel, der Gläubigen ermöglichte, durch eine Geldzahlung sich von ihren Sünden zu reinigen, um nach dem Tod vom Fegefeuer verschont zu bleiben, diente nicht nur der Finanzierung der sogenannten Türkenkriege, sondern auch und vor allem der überaus üppigen Apanage der Kurie. Luther legte den Finger auf diese Wunde und erreichte mit seinen Flugschriften – dank Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks – ein weitreichendes Publikum. Die Autorin beschränkt sich nicht auf die 95 Thesen von Wittenberg, sondern ruft die gesamte Polemik Luthers, aber auch seiner Widersacher auf. Schließlich wendet sie sich den Bauern sowie Teilen der städtischen Mittelschichten und des niederen Adels zu, die den reformatorischen Ansatz von Luther zu dessen Missfallen in eine soziale Revolte weitertrieben. Den überlegenen Heeren der Landesherren waren sie nicht gewachsen: »In den Berichten stehen Tausende erschlagener Bauern allenfalls ein paar Dutzend Toten auf Seiten des landesherrschaftlichen Militärs gegenüber. Der Bauernkrieg in Deutschland war ein Massakerkrieg, und darin war er der spanischen Kriegführung bei der Eroberung der Neuen Welt nicht unähnlich.«
Marina Münkler: Anbruch der neuen Zeit. Das dramatische 16. Jahrhundert. Rowohlt, 539 S., geb., 34 €.
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