Der Bauplan des Lebens wird weiter entschlüsselt

Die Entdeckung der microRNA ist nobelpreiswürdig, an möglichen medizinischen Anwendungen wird aber noch geforscht

Medizin-Nobelpreis: Der Bauplan des Lebens wird weiter entschlüsselt

Verpackt in die Doppelhelix der DNA geben Organismen genetische Informationen von Generation zu Generation weiter. Seit James Watson, Francis Crick und Maurice Wilkins 1953 die Struktur der DNA veröffentlichten, wurde allerdings deutlich, dass es weit mehr als DNA braucht, um genetische Information in ausdifferenzierte Organismen zu übersetzen. So reiht sich der diesjährige Nobelpreis für Medizin oder Physiologie ein in die Durchbrüche bei der Entschlüsselung der Bausteine des Lebens. Ausgezeichnet werden die US-amerikanischen Forscher Victor Ambros und Gary Ruvkun für die Entdeckung der microRNA.

Auf die Spur der microRNA kamen die beiden Forscher bereits im Jahr 1993, als sie sich über die Mutationen bestimmter Gene des Fadenwurms Caenorhabditis elegans, eines Modellorganismus der Molekularbiologie, austauschten. Dabei stellte sich heraus, dass die kleinere microRNA die etwas größere Boten-RNA (mRNA) regulieren kann. Bei der Genexpression und Translation, das heißt dem Auslesen der Erbinformation aus der DNA ist die mRNA am Werk. Dieser »Bote« enthält wiederum die Information für den Bau der Proteine.

Seit den ersten Arbeiten der diesjährigen Laureaten wurde immer deutlicher, dass es nicht nur die mRNA ist, die reguliert, welche Zellen wann und wie wachsen, sondern auch die microRNA, die bestimmte Abschnitte der mRNA blockieren kann und damit Einfluss nimmt auf die Transformation der Erbinformation. Forschungslabore weltweit konnten mittlerweile Zehntausende microRNA-Sequenzen in 271 verschiedenen Organismen identifizieren, im Menschen sind über 1000 microRNA bekannt. Entwickelt hat sich diese Form der Genexpression vermutlich über 500 Millionen Jahre im Zuge der Evolution immer komplexerer Organismen.

Bei der komplexen Steuerung von Wachstum und Gewebeeigenschaften, gibt es aber auch zahllose Möglichkeiten, wie sich zu Krankheiten führende Fehler einschleichen können. Von den microRNA ist bisher bekannt, dass sie an der Entstehung des DICER1-Syndroms beteiligt sind, das häufig zum Auftreten verschiedener Krebserkrankungen schon in der Kindheit führt. Mutationen von micro-RNA-Sequenzen sind außerdem verbunden mit einer seltenen Augenkrankheit und einer angeborenen Skelettstörung. »Es werden Fortschritte erzielt bei der Entwicklung micro-RNA-basierter Diagnosen und Therapien, etwa von Stoffwechselstörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, neurodegenerativer Leiden und Krebs«, schreibt Rickard Sandberg, Mitglied des Nobel-Komitees in einer Erläuterung zur diesjährigen Auswahl.

Wie die University of Massachusetts mitteilt, wird bei der Entwicklung von Behandlungen mit chronischer lymphatischer Leukämie bereits nach den microRNA gesucht, die mit dieser Krebsart in Verbindung stehen. Auf dem Gebiet der Herzmedizin wiederum werde untersucht, ob microRNA als Frühdiagnoseinstrument zur Erkennung von Herzrhythmusstörungen, Vorhofflimmern oder Herzinfarkten eingesetzt werden könnte. »Mehrere Forschungsstudien haben ergeben, dass miRNAs eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung des Herzmuskels spielen und dass sich die Menge der miRNA in Herzen, die durch einen Herzinfarkt geschädigt wurden, verändert«, heißt es vonseiten der Universität.

Unmittelbar bevor steht eine diagnostische oder therapeutische Anwendung der Erkenntnisse über die microRNA wohl nicht. Ein Problem dabei dürfte sein, dass eine microRNA wahrscheinlich auf verschiedene Gene Einfluss nimmt, die an der Codierung von Proteinen beteiligt sind. Bei der Manipulation einer bestimmten microRNA sind daher unerwünschte Effekte, sogenannte Off-Target-Effekte, zu befürchten. Wie das Nobel-Komitee erläutert, hat die Forschung auch erkennen lassen, dass verschiedene microRNA dieselbe Zielsequenz haben können. Das System sei daher robust und könne nicht einfach durch Viren manipuliert werden. Das wirft natürlich die Frage auf, inwiefern Menschen in der Lage sein werden, hier mit therapeutischen Absichten einzugreifen.

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