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Ein ganz normaler Mann?
Victoria de Grazia legt mit der Biografie von Teruzzi eine Geschichte des italienischen Faschismus vor
Attilio Teruzzi ist zunächst der »ganz normale Mann«, der eine Militärkarriere anstrebt, in ebendiesem Militär nach Ende des Ersten Weltkrieges jedoch nicht mehr gebraucht wird. Er wird entlassen, ist ohne Perspektive. Militär, das war für ihn eine Heimat, und es ist beinahe rührend zu lesen, wie Teruzzi trotzig immer noch den Militär gibt in Mailand, dabei jedoch bestenfalls mitleidige Blicke, wenn nicht gar Prügel bezieht. Der Faschismus wird ihm – einem Menschen aus der Arbeiterklasse, einem recht schlicht gestrickten Radaubruder ohne eigene politische Vorstellungskraft – ab 1920 die neue Heimat.
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Die US-amerikanische Historikerin Victoria de Grazia, ist eine ausgewiesene Kennerin des italienischen Faschismus. Sie veröffentlichte hierzu seit den 80er Jahren mehrere Bücher; der vorliegende Titel ist der erste ins Deutsche übersetzte Band. Dabei wählt »Der perfekte Faschist« eine andere Vorgehensweise als die vorherigen Bücher, die sich meist mit der faschistischen Organisierung der Massen auseinandersetzten. Das Buch verwebt eine Einzelbiografie mit dem Aufstieg und Niedergang des italienischen Faschismus. De Grazia hat sich dazu einer Lebensgeschichte angenommen, die wie vielleicht keine zweite die Widersprüchlichkeit des Faschismus als Ideologie wie auch auf persönlicher Ebene widerspiegelt.
Teruzzi, Architekt des »Marsches auf Rom«, avanciert vom Abgeordneten, Unterstaatssekretär im Innenministerium und Gouverneur der – nach dem Zweiten Italienisch-Libyschen Krieg unter italienischer Hoheit stehenden – Provinz Cyrenaica sowie Generalleutnant schließlich zum vierten Mann in der faschistischen Hierarchie unter Benito Mussolini: als Minister für das italienische Afrika. Seine Position wird jedoch zunehmend bedroht von den Beziehungen, die Teruzzi eingeht. Wir lernen exemplarisch, dass es wohl auch im Totalitarismus Handlungsspielräume für Entscheidungen gibt, das Private jedoch stets zugleich politisch ist.
Zunächst wurde Teruzzis Ehe mit der Opernsängerin Lilliana Weinman von Mussolini höchstselbst für gut befunden (und mit einer pompös-offiziösen »faschistischen Hochzeit« gefeiert), obgleich diese Jüdin war. Der italienische Faschismus war nicht von Beginn an grundlegend antisemitisch. Mussolini äußerte sich zur Zeit der Nürnberger Gesetze von 1935 noch öffentlich gegen den »nordischen Rassismus«, was ihn nicht davon abhielt, verschiedentlich antisemitische Vorbehalte funktional zu mobilisieren.
Das änderte sich auf deutschen Druck hin in den 40er Jahren. Zu dieser Zeit will Teruzzi längst geschieden sein von seiner Frau, allerdings nicht aus politischen Gründen; auch seine neue Partnerin Yvette Blank ist Jüdin. Es ist skurril zu lesen, wie Teruzzi mit allen Registern um die Scheidung kämpft, die die katholische Kirche in Italien nicht zulässt; dies hat sie sich von Mussolini garantieren lassen. Einzige Möglichkeit ist eine Annullierung: Wenn die Grundlagen der Eheschließung vor dem Kirchengericht als unrechtmäßig – beispielsweise durch Vorspiegelung falscher Tatsachen seitens der Gattin – erkannt werden. Weinman kämpft jahrelang erfolgreich gegen die Scheidung. Dabei hat sie den Vatikan an ihrer Seite, der die Verteidigung seiner Macht über die antisemitischen Denk- und Handlungsweisen der Kurie stellt.
Wir haben es hier also mit einem Sachbuch zu tun, das die kolonialen Projekte Italiens und die Geschichte des Faschismus bis zu seinem Ende aufs Beste mit einer persönlichen Geschichte verwebt und damit umso anschaulicher macht. Wir lesen vom Zusammenhang von Liebe und Macht, vom »neuen faschistischen Mann« und der »neuen Frau«. Und wir lesen in einem Wechsel dämonischer, tragischer und absurder Episoden, wie die Protagonisten der faschistischen Elite unter Mussolini mit der wechselvollen Politik und Sittengeschichte – nicht zuletzt nachdem der deutsche Nationalsozialismus in Italien Raum greift – Schritt zu halten versuchen. Dabei gilt es, in einem System von »fluider« Moral, die Zeichen zu deuten: Ist es sinnvoller, Loyalität zu bekennen, oder in den zunehmenden Kriegswirren doch erfolgsträchtiger, schlicht davonzulaufen und unterzutauchen?
Wir haben es hier mit einer fundierten politologisch-historischen Studie zu tun, die zugleich Biografie, Familiendrama und Sittenpanorama ist. Angesichts gegenwärtiger starker rechtsradikaler und neofaschistischer Strömungen in Europa ist dieses trotz des schaurigen Inhalts wirklich faszinierende Buch umso lesenswerter. Und umso drängender: Auch heute sind wieder junge Menschen, die für sich keine Perspektive sehen, die Basis extrem rechter Bewegungen. Und auch heute fehlt offenkundig eine überzeugende linke/libertäre Alternative. Insofern stellt dieses Buch auch eine Aufforderung dar.
Victoria de Grazia: Der perfekte Faschist. Eine Geschichte von Liebe, Macht und Gewalt. A. d. Engl. v. Michael Bischoff. Wagenbach,
508 S., geb., 38 €.
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