Enge, aber ungleiche Handelspartner

Für Deutschland sind die USA in den bilateralen Beziehungen wichtiger, als dies umgekehrt der Fall ist

November 2019: feierlicher Start der Erweiterung der VW-Elektrofahrzeugproduktion in Chattanooga (US-Bundesstaat Tennessee)
November 2019: feierlicher Start der Erweiterung der VW-Elektrofahrzeugproduktion in Chattanooga (US-Bundesstaat Tennessee)

Wenn US-Präsident Joe Biden zum Staatsbesuch nach Deutschland reist, treffen sich Vertreter zweier eng miteinander verflochtener Wirtschaftsmächte. Die Vereinigten Staaten sind in der ersten Jahreshälfte 2024 zum wichtigsten Handelspartner der Bundesrepublik aufgestiegen – zum ersten Mal seit 2015. Während China trotz abnehmender Umsätze nach wie vor der wichtigste Lieferant bleibt, sind die USA mit großem Abstand der wichtigste Abnehmer von Exportprodukten »Made in Germany«. Um mehr als zwei Drittel sind die deutschen US-Exporte höher als die in die Volksrepublik.

Deutschland ist aber nur Handelspartner Nummer vier der USA – abgeschlagen hinter Mexiko, Kanada und China – erzielt, dabei aber einen gewaltigen Exportüberschuss von zuletzt mehr als 80 Milliarden Dollar im Jahr 2023: Der Ausfuhrwert ist mehr als doppelt so hoch wie der bei den Importen. Deutschland ist damit aber auch weitaus abhängiger vom großen Handelspartner, als es umgekehrt der Fall ist.

Getrieben werden die Beziehungen von der erstaunlich robusten US-Wirtschaft. In den vergangenen zwei Jahren legte das Bruttoinlandsprodukt um rund fünf Prozent zu. Dagegen trat die deutsche Wirtschaft auf der Stelle. Die konjunkturelle Schwäche hatte bereits vor den Zinsanhebungen der Europäischen Zentralbank (EZB) eingesetzt. Ende 2021 lag das reale Bruttoinlandsprodukt lediglich ein Prozent höher als vier Jahre zuvor. Der Euroraum ohne Deutschland habe im selben Zeitraum einen Anstieg um 4,9 Prozent und die Vereinigten Staaten sogar um 10 Prozent verzeichnet, schreibt EZB-Direktorin Isabel Schnabel mit Blick auf die deutsch-amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen.

Die Gründe für das schnelle US-Wachstum sind vielfältig. Sie reichen von Präsident Bidens protektionistischer Handelspolitik, der wie sein Vorgänger Donald Trump auf »America first« und hohe Zölle auf chinesische Importe setzt. Zuletzt erhöhte Biden sogar noch Zölle und sprach Exportverbote auf sensible Technologien aus.

Als Jobmotor erwiesen sich die durch hohe Staatsverschuldung finanzierten Subventionen, etwa durch den bekannten »Inflation Reduction Act«, sowie Steuererleichterungen für Unternehmen. Auch die globale Dominanz von Tech-Konzernen wie Apple oder Google stärken vor der Präsidentenwahl Anfang November genauso die Konjunktur wie die nach wie vor besondere Stellung des Dollar in der Weltwirtschaft. Hinzu kommen eine geringe Sparquote der Bürger von etwa vier Prozent (Deutschland: zwölf Prozent), eine für US-Verhältnisse hohe Beschäftigungsquote und Migration. Alles dies kurbelt die konsumtiefe Nachfrage in den USA und damit die Konjunktur an.

Die transatlantischen Beziehungen profitieren derweil auch von »Decoupling«-Tendenzen, mit denen sich Unternehmen in Deutschland unabhängiger von China machen wollen. Förderlich sind zudem die Bestrebungen ganzer Branchen, ihre internationalen Lieferketten zu diversifizieren, lauten die Erklärungen, welche Ökonomen und Praktiker geben, wenn man sie auf die erstaunliche Stärke der deutsch-amerikanischen Beziehungen anspricht.

Die herausragende Bedeutung der Vereinigten Staaten als Export-Zielland variiert von Branche zu Branche: Der US-Anteil an den deutschen Warenexporten ist zweistellig für die Automobilindustrie, den Maschinenbau und auch für die Pharmaindustrie, die fast ein Viertel der eigenen Exporte in den USA absetzt. Doch auch Datenverarbeitungsgeräte, elektronische und optische Erzeugnisse sowie elektrische Ausrüstungen werden zu fast einem Zehntel über den Atlantik verschifft, zeigen Daten, die das Statistische Bundesamt am Mittwoch veröffentlichte.

Darüber hinaus sind die Investitionsbeziehungen zwischen Deutschland und den USA weit enger und weniger einseitig als zwischen Deutschland und China. Im Jahr 2022 entfielen rund 27,5 Prozent aller deutschen Direktinvestitionen auf die Vereinigten Staaten – verglichen mit lediglich 7,9 Prozent für China. Diese und andere Zahlen bestätigen die nachhaltigen Voraussetzungen für enge bilaterale Wirtschaftsbeziehungen.

Der Ausgang der US-Präsidentschaftswahl dürfte keinen großen Unterschied machen. So gilt »America first« für Kamala Harris wie für Donald Trump. Der kleine Unterschied zwischen der Demokratin und dem Republikaner: Während Ex-Präsident Trump allen, die sich nicht gefügig zeigen, scheinbar wahllos den Handelskrieg erklärt, dürfte die amtierende Vizepräsidentin, wie ihr derzeitiger Chef Biden, einigermaßen Rücksicht auf verbündete Länder nehmen. So liebäugelt Trump mit höheren Zöllen für wichtige Importe auch aus Europa. Harris andererseits würde wohl eher »grüne« Energien im Inland stärker staatlich fördern. Dabei war die Stromerzeugung aus Windkraft und Solarenergie bereits während Trumps »grauer« Präsidentschaft Jahr für Jahr auf Rekordniveau gestiegen. Profit schlägt Politik.

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