»Aldi übernimmt keine Verantwortung«

Der Discounter profitierte von Zwangsarbeit in der DDR. Opfer protestieren vor Zentrale

Das Frauengefängnis Hoheneck war bis 2001 ein Gefängnis auf Schloss Hoheneck in Stollberg im sächsischen Erzgebirgskreis. Heute befindet sich dort eine Gedenkstätte.
Das Frauengefängnis Hoheneck war bis 2001 ein Gefängnis auf Schloss Hoheneck in Stollberg im sächsischen Erzgebirgskreis. Heute befindet sich dort eine Gedenkstätte.

Erneut haben Häftlinge der ehemaligen DDR vor der Konzernzentrale von Aldi Nord in Essen sowie vor einem nahegelegenen Aldi-Supermarkt protestiert und dabei auf ihr Schicksal aufmerksam gemacht. Mit Plakaten und Handzetteln versuchten sie, die Kunden und Belegschaft des Discounters über die gesundheitlichen Folgen der Haftarbeit und das ablehnende Verhalten der Aldi-Konzernleitung aufzuklären. Erneut aber haben sie vergeblich auf eine Reaktion vom Discounter gewartet.

Schuften für Billigware

Ende April stellte die Humboldt-Universität eine Untersuchung mit dem Namen »Zwangsarbeit politischer Häftlinge in Strafvollzugseinrichtungen der DDR« vor. Demnach haben sowohl Aldi Nord als auch Aldi Süd massiv von der Arbeit in der DDR Gefangener profitiert. Der Konzern tut sich aber schwer damit, dieses dunkle Kapitel der Firmengeschichte aufzuarbeiten.

Konkret, so erläutert es Peter Keup von der »Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft«, kurz UOKG, waren in der einstigen Frauenhaftanstalt in Hoheneck in Sachsen Millionen von Strumpfhosen hergestellt worden. »Der VEB Esda-Thalheim hatte eine Fertigungsstelle im Frauengefängnis Hoheneck«, so der wissenschaftliche Mitarbeiter beim 1991 gegründeten Verein mit Sitz in Berlin im Gespräch mit »nd«. Die Damenstrumpfhosen wurden im europäischen Westen, vor allem aber auch bei Aldi im sogenannten Billigsegment verscherbelt.

Auch bei der Protestaktion in Essen war eine Person dabei, die damals selbst in der Strumpfhosen-Produktion arbeiten musste. Sie berichtet über »chronische Gesundheitsschäden durch die Zwangsarbeit«. Nicht nur psychischem Stress, sondern auch giftigen Chemikalien wie Chromoxid und Quecksilber sei sie ausgesetzt gewesen.

»Trotz wissenschaftlicher Belege für die menschenunwürdige Zwangsarbeit politischer Häftlinge weigert sich Aldi, Verantwortung zu übernehmen und auf die Opfer zuzugehen«, kritisiert die UOKG um ihren Bundesvorsitzenden Dieter Dombrowski.

Wie die Protestierenden in Essen fordert auch die UOKG weiterhin, Aldi solle »die Forschungsergebnisse zu den Lieferketten zur Kenntnis nehmen und auf die Betroffenen zugehen«. Genauer gesagt erwarte der Verein eine Entschuldigung bis hin zu einer monetären Unterstützung, so Keup.

Aldi selbst will erst 2013 von den Lieferungen aus dem Gefängnis erfahren haben. Aus einer Medienanfrage. Seitdem passiert: nichts. Auf eine Anfrage des »nd« wird nicht geantwortet. Vertretern der UOKG schrieb Aldi hingegen: »Aldi Nord und Süd bedauern die in der ehemaligen DDR offenbar übliche Praxis, politische Häftlinge und Strafgefangene unter Zwang für die Produktion von Gütern einzusetzen zutiefst.« Und weiter heißt es unverfroren: »Aufgrund des großen zeitlichen Abstands zu den Vorkommnissen ist es Aldi Nord und Süd nicht möglich, die Details in dem Umfang aufzubereiten, der für eine weitere Aufklärung und abschließende Bewertung nötig wäre.« Anderen großen Firmen wie Ikea ist dies offenkundig gelungen. Auch diese hatten von billiger Produktion in DDR-Gefängnissen profitiert.

Wo bleibt die Entschuldigung?

Der Discounter verwehrt sich einem Aufklärungsprozess und einer Entschuldigung, scheint es: »Die Unternehmen können daher zum aktuellen Zeitpunkt keine weiteren Erkenntnisse liefern und stehen entsprechend für kein Gespräch (mit der UOKG, Anm. d. Red.) zur Verfügung.«

Das Frauengefängnis Hoheneck war bis 2001 ein Gefängnis auf Schloss Hoheneck in Stollberg im sächsischen Erzgebirgskreis. Etwa 24 000 Frauen waren zu DDR-Zeiten in Hoheneck inhaftiert, darunter ungefähr 8000 politische Häftlinge. Es gab Zellen für Isolationshaft und Dunkelhaft. Seit diesem Juli ist das ehemalige Gefängnis eine Gedenkstätte. Ungeachtet dessen gibt auch einen Aldi-Supermarkt in Hoheneck.

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