Drohende Kürzungen: Berlins Kulturszene wehrt sich

Mit einem großen Aktionstag protestieren Kulturschaffende in der Hauptstadt gegen die umstrittenen Sparpläne der schwarz-roten Koalition

Stadtweiter Ausnahmezustand: Auch die Volksbühne beteiligt sich am Aktionstag der Berliner Kultur.
Stadtweiter Ausnahmezustand: Auch die Volksbühne beteiligt sich am Aktionstag der Berliner Kultur.

»Bitte nicht aufgeben« steht auf einer von vielen Postkarten, die am Mittwoch im Grips-Theater aufgehängt wurden. Das junge Publikum hat aufgeschrieben, was ihm die Aufführungen am Hansaplatz bedeuten. Seit 1969 unterhält das Kinder- und Jugendtheater in Moabit den Berliner Nachwuchs. Doch heute hat das Theater, wie auch viele andere Kultureinrichtungen in der Hauptstadt, seine Fenster mit rot-weißem Flatterband zugeklebt.

Von leeren Regalen vor den Landesbibliotheken und unterbrochenen Theatervorstellungen bis hin zu einer spontanen Gesangseinlage des Ernst-Busch-Chors im nd-Gebäude: Der Protest gegen die geplanten Einsparungen im Kulturbereich zeigt sich am Mittwoch unter dem Motto »#BerlinistKultur« in ganz Berlin. Zehn Prozent ihres Budgets soll die Kulturverwaltung für das kommende Haushaltsjahr 2025 einsparen.

Es wären zehn Prozent, die Einrichtungen wie dem Grips-Theater richtig weh tun. »Wir haben schon so mit den Kostensteigerungen genug zu kämpfen«, sagt Grips-Chef Philipp Harpain zu »nd«. Allein durch die Inflation hätten dem Theater in den vergangenen zwei Jahren rund 100 000 Euro weniger zur Verfügung gestanden. Der Gesamtetat des Theaters betrage etwas mehr als fünf Millionen Euro – für 425 Vorstellungen im Jahr.

Den Werbe- und Produktionsetat habe das Theater bereits reduziert, sagt Harpain. »Jetzt müssen wir auch noch darüber reden, kostenintensive Vorstellungen aus dem Programm zu nehmen.« Erfolgreiche Stücke wie »Ab heute heißt du Sara«, das die Geschichte vom Überleben der deutsch-israelischen Journalistin Inge Deutschkron im Dritten Reich erzählt, stünden bereits zur Diskussion. Die Finanzierungslücke mithilfe der Eintrittspreise auszugleichen, würde laut Harpain eine Erhöhung von 100 Prozent bedeuten. »Eltern und Lehrer würden uns den Vogel zeigen. Wir haben jetzt schon Förderprogramme für Familien, die sich die Tickets nicht leisten können.«

Genausowenig lasse sich an den Gehältern der Beschäftigten sparen, so Harpain. »Wir bewegen uns ohnehin schon am unteren Rand«, sagt der Grips-Leiter. »Leider hält sich hartnäckig das Vorurteil, dass man als Kinder- und Jugendtheater nicht so viel Geld braucht wie andere. Dabei arbeiten hier ja genauso Menschen, die bezahlt werden müssen.« Schon jetzt höre er von Kolleg*innen, die Spielpläne absagen, weil sie mit der fehlenden Planungssicherheit nicht umgehen können.

Harpain macht für die aktuelle Lage nicht Kultursenator Joe Chialo verantworlich, schließlich kommen die Sparvorgaben aus der Finanzverwaltung. Er erwarte von dem CDU-Politiker allerdings, dass er energischer für die Belange Berliner Kulturschaffender eintritt als bisher. Dem Grips-Theater drohe im schlimmsten Fall sogar die Insolvenz.

»Es kann nicht sein, dass der Senat dieses Haushaltschaos auf dem Rücken der Schwächsten austrägt.«

Manuela Schmidt Kulturpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus

Um rund drei Milliarden Euro muss der schwarz-rote Senat seinen 40,5 Milliarden Euro schweren Haushalt für 2025 kürzen, um pauschale Minderausgaben aufzulösen, die er zuvor selbst eingeplant hat. Jede Senatsverwaltung soll dazu ihren Beitrag leisten. Ausnahmen von den zehn Prozent, die der Senat bisher als einheitliche Sparvorgabe kommuniziert, sind bislang nicht bekannt. Im Kulturbereich entsprechen die Kürzungen etwa 120 Millionen Euro.

Manuela Schmidt, kulturpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, zeigt sich empört über die Haushaltspolitik der Großen Koalition. »Mit der Gießkanne zu agieren, ist eigentlich immer falsch«, sagt sie zu »nd«. »Es liegt in der Verantwortung der Politik, Schwerpunkte zu setzen.« Der Senat sei dazu verpflichtet, kulturelle Teilhabe und Bildung sicherzustellen. Zudem profitiere Berlin massiv von Tourist*innen, die gerade wegen der kleinteiligen Kulturszene ihren Weg in die Hauptstadt fänden.

»Es kann nicht sein, dass der Senat dieses Haushaltschaos auf dem Rücken der Schwächsten austrägt«, kritisiert Schmidt. Die Pläne der Großen Koalition würden sogar den radikalen Sparkurs unter dem ehemaligen SPD-Finanzsenator Thilo Sarrazin übertreffen. »Zehn Prozent ist einfach irre für kleine Projekte, bei denen es jetzt schon vorne und hinten fehlt. Mit einer Premiere mehr oder weniger ist es da nicht getan.«

Ex-Finanzsenator Daniel Wesener, der mittlerweile für die Berliner Grünen Kulturfinanzierungsexperte im Abgeordnetenhaus ist, bezweifelt, dass derartige Kürzungen überhaupt im Bereich des Machbaren liegen. »Egal ob bei großen Theatern oder kleineren Einrichtungen: Ein Großteil der Mittel ist langfristig gebunden«, erklärt Wesener »nd«. Dem ohnehin schon prekarisierten Fördersystem im Kulturbereich würde bei gleichmäßigen Kürzungen um zehn Prozent der Kollaps bevorstehen.

Der Grünen-Abgeordnete fordert den Senat deshalb zur Entlastung der Szene auf. Gespräche mit Kulturschaffenden hätten ihm gezeigt: »Das Verständnis dafür, dass gespart werden muss, ist da.« Doch bei einem Etat, der 2,5 Prozent des Gesamthaushalts einnehme und von dem Berlin überproportional profitiere, stelle sich die Frage, ob man derartig hohe Ansprüche rechtfertigen könne.

Aus der schwarz-roten Koalition kommen derweil selbstkritische Töne. »Natürlich hätte das alles besser kommuniziert werden müssen«, sagt Melanie Kühnemann-Grunow (SPD) zu »nd«. Die zehn Prozent seien »nicht in Stein gemeißelt« und werde es mit ihr nicht geben, beteuert die kulturpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. Noch befinde sich die Koalition nicht in den Haushaltsberatungen. »Es wird verschiedene Runden mit dem Kultursenator geben müssen, in denen wir unsere No-Gos festlegen.«

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