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Buchmesse: Italien ist ein schlecht gelauntes Land

Wie man zum Dissidenten wird: Italien stand im Mittelpunkt der Frankfurter Buchmesse

Nicht die Kritik soll negiert werden, sondern der Kritiker selbst: Der Schriftsteller Roberto Saviano war trotzdem der Star der Frankfurter Buchmesse.
Nicht die Kritik soll negiert werden, sondern der Kritiker selbst: Der Schriftsteller Roberto Saviano war trotzdem der Star der Frankfurter Buchmesse.

»Komm ein bisschen mit nach Italien / Komm ein bisschen mit ans blaue Meer / Und wir tun als ob das Leben / eine schöne Reise wär« sang die Sophranistin Isabell Münsch vergangene Woche im Haus der IG Metall, als die Büchergilde Gutenberg während der Frankfurter Buchmesse ihren 100. Geburtstag feierte. Es ist ein altes Lied der kürzlich verstorbenen Catarina Valente aus den 1950er Jahren, als die Deutschen anfingen, im Massentourismus Zerstreuung zu suchen, auch um sich von ihrer faschistischen Vergangenheit abzulenken.

Dieses Jahr war es ein bisschen anders, da kam Italien nach Deutschland, um als Ehrengastland der Frankfurter Buchmesse von seiner postfaschistisch regierten Gegenwart unter Giorgia Meloni abzulenken. Seine offiziellen Vertreter wollten bitte bloß nicht von irgendetwas politischem reden. Und dieser Ansatz wurde dann prompt zum Politikum. Auf der Buchmesse wurde darüber geredet, wovon Italien schweigen wollte.

Die Probleme begannen schon im Frühjahr mit der Weigerung der Regierung, den Schriftsteller Roberto Saviano, mit seinen gesellschaftskritischen Büchern einer der erfolgreichsten Autoren des Landes, als Teil der offiziellen Delegation mit nach Frankfurt nehmen zu wollen. Sein Werk sei »unoriginell« erklärte Mauro Mazza, Italiens Beauftragter für den Messeauftritt in Frankfurt, auch wenn Saviano nach seinen Enthüllungsbüchern über die Mafia unter Polizeischutz leben muss. Daraufhin wurde Saviano von Juergen Boos, dem Chef der Buchmesse, extra eingeladen. Die Meloni-Regierung habe ein Signal schicken wollen«, sagte Saviano bei einer rappelvollen Veranstaltung des PEN Berlin auf der Messe, ungefähr mit dieser Botschaft: »Wir können uns von unseren Kritikern befreien«. Für ihn eine neue Qualität, eine Form der verdeckten Zensur.

Anders als früher würden seine Gegner nicht mehr den Wahrheitsgehalt seiner Aussagen bestreiten, sondern seine ganze Person in Frage stellen. Deshalb konnte Italiens Kulturminister Alessandro Giuli bei der Eröffnung der Buchmesse auch behaupten, dass seine Regierung die »Freiheit der Meinungsäußerung in jeder Form« verteidige. Nicht die Kritik werde negiert, sondern der Kritiker selbst, meinte Saviano. Das sei eine Bedeutungsverschiebung. Er werde zum Dissidenten erklärt, der nur »Schlechtes« von seinem Land erzähle – »und Dissidenten gibt es nur in autoritären Staaten und nicht in Demokratien«.

Trotzdem war Saviano der Star der Messe. Schon im Vorfeld hatten sich 40 italienische Autoren und Autorinnen mit ihm in einem offenen Brief solidarisiert, den der Drehbuchautor und Schriftsteller Paolo Giordano initiiert hatte. Es war das erste Mal, dass sich Italiens Autoren und Autorinnen zusammentaten, um gegen die Meloni-Regierung zu protestieren. Einige der Unterzeichner, wie Giordano, der Mussolini-Biograf Antonio Scurati oder Francesca Melandri, die früher einmal den Premio Stresa, den italienischen Buchpreis, gewonnen hatte, weigerten sich, als Teil der offiziellen Delegation ihres Landes nach Frankfurt zu reisen und ließen sich von ihren deutschen Verlagen einladen. Andere wie Helena Janeczek, deutsch-italienische Tochter von Holocaust-Überlebenden, oder der Schriftsteller und George-Orwell-Übersetzer Vincenzo Latronico blieben Teil der Delegation, traten aber im Rahmen eines alternativen Italien-Programms auf, das, meist moderiert von der Journalistin Birgit Schönau, der PEN Berlin organisiert hatte, um die Angriffe auf die Meinungsfreiheit unter Meloni zu diskutieren (der andere deutsche PEN war mal wieder nicht zu bemerken). »Wir sind praktisch wie Abtrünnige auf der Buchmesse«, erklärte Giordano und bekräftigte so Savianos Diagnose, sie seien Dissidenten.

Die postfaschistische Repression in Italien vollzieht sich subkutan. Anders als in Polen unter der PiS oder in Ungarn unter Orbán gibt es keine neuen Gesetze zur Einschränkung der Pressefreiheit, aber es werden Einzelpersonen brüskiert wie Scurati, der im Fernsehen nicht mehr zum Thema Mussolini sprechen durfte, oder verklagt wie Saviano, weil er im Fernsehen die Meloni-Regierung wegen ihrer Anti-Flüchtlingspolitik als »Bastarde« bezeichnet hatte. Oder wie der Schriftsteller Christian Raimo, nachdem er Melonis Bildungspolitik mit dem »Todesstern« aus »Krieg der Sterne« verglichen hatte. Anders als der Bestsellerautor Saviano muss Raimo – wie viele italienische Autoren – als Lehrer arbeiten. Ihm wurde bedeutet, dass er mit solchen Äußerungen, die er nicht im Unterricht zu seinen Schülern, sondern auf einer linken Veranstaltung getätigt hatte, seinen Job gefährde.

Während die Meloni-Regierung außenpolitisch treu zu EU und Nato steht und die Verteidigung Israels und der Ukraine unterstützt, agieren die Postfaschisten auf der symbolischen Ebene mehrdeutiger, worauf der Kunsthistoriker Luciano Cheles in der »Süddeutschen Zeitung« hingewiesen hat. Sie benutzen eine Art faschistischen Zitat-Pop, um den Verehrern des »Duce« entgegen zu kommen. So erscheint auch das Motto des italienischen Buchmesse-Auftritts »Verwurzelt in der Zukunft« wie von einem alten Slogan des Movimento Sociale Italiano, der neofaschistischen Vorgängerpartei von Melonis Fratelli d’Italia, abgeleitet, der da lautete: »Nostalgie für die Zukunft«. Kulturminister Giuli redete bei der Eröffnung der Buchmesse von einer langen Geschichte der Kooperation zwischen Italien und Deutschland, was man für diese beiden ehemaligen »Achsen-Mächte« natürlich so formulieren kann, auch wenn Italien 1988 das letzte Mal Gastland der Buchmesse gewesen war. Bezeichnenderweise sprachen 2024 Italiens Offizielle immer wieder von der »Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg«. Aber hatte die nicht einen eigenen Namen, der mit »F« anfängt und mit »s« aufhört?

Immerhin erlaubte sich Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) die Bemerkung, dass man auf der Hut sein müsse, denn »Demokratien sterben nicht mit einem Knall, sie siechen dahin. Das Gift dieses Siechtums heißt Gleichgültigkeit«. Erstaunlich lieblos war dann auch der italienische Pavillon auf der Messe gehalten. Zwischen den Auftritten von Katalonien und von Portugal hingezimmert, sollte er an eine italienische Piazza erinnern – wenn man das wusste, konnte man es auch erkennen. Scurati dagegen erinnerte der Pavillon eher »an ein Beerdigungsinstitut«: Viel Vergangenheit und kaum Gegenwartsbezug.

Für Michael Braun, Italienkorrespondent der »Taz«, ist Melonis Politik auf aggressive Weise in sich gekehrt, anders als der »Gute-Laune-Populismus« von Silvio Berlusconi, der seinen Wählern stets das Blaue vom Himmel versprach, etwa weniger Steuern, eine Million neue Jobs und die kostenlose Behandlung für kranke Haustiere. Meloni sei dagegen auf der Suche nach Italiens inneren Feinden, den Migranten und Flüchtlingen, die sie zu den Schuldigen der italienischen Dauerkrise erkläre, führte Braun aus, als er sein neues Buch »Von Berlusconi zu Meloni« vorstellte. Überhaupt müsse man sich Italien entgegen seinem sonnigen Image als Urlaubsziel als ein »schlecht gelauntes Land« vorstellen, ohne Sozialstaat und ohne Mindestlohn, stattdessen oft mit Stundenlöhnen um die fünf Euro in der Gastronomie in Rom oder um die drei Euro in der Landwirtschaft im Süden. Während in Deutschland und Frankreich das Bruttoinlandsprodukt seit 2000 konstant anstieg, ist es in Italien konstant gesunken.

Melonis Scheinlösung, die »Schmeisst sie alle raus«-Parole als emotionales Politikangebot für alle Rassisten und solche, die es werden wollen, wird auch zunehmend in Deutschland verbreitet, in Abstufungen auch von den bisherigen großen Parteien in Reaktion auf die neue große Partei AfD, die mit »Remigration jetzt!«-Wahlplakaten ihre jüngsten Wahlerfolge in Ostdeutschland befeuerte. Diese Forderung kommt aus dem bundesdeutschen Neofaschismus der 70er, erklärte Marcus Bensmann von Correctiv auf der Buchmesse, als er mit Jean Peters, ebenfalls Correctiv, das Buch »Niemand kann sagen, er hätte es nicht gewusst. Die ungeheuerlichen Pläne der AfD« präsentierte.

Auf durchaus unterhaltsame Weise erläuterten die beiden nicht nur technische Details ihrer berühmten Enthüllung des rechtsradikalen Geheimtreffens in einem Potsdamer Hotel Anfang des Jahres (Arbeit mit versteckter Kamera in der Armbanduhr im Hotel), sondern vor allem dessen politische Implikationen, die von der AfD bis zur CDU reichen. Das ist genau der Brückenschlag, der die AfD und ihre Pläne, Menschen mit migrantischer Familiengeschichte (mindestens ein Viertel der Bevölkerung) diskriminieren zu wollen, so gefährlich macht. Sie nennen es die »ethnische Wahl«, damit die Staatsbürger nicht mehr als gleich gelten können.

Anders als viele denken, geht es der AfD nicht in erster Linie um die Verächtlichmachung vermeintlich linker Politik, auch wenn sie stets die Grünen und die zunehmend bedeutungsloser werdende Linkspartei angreift. Nein, es geht den Rechtsradikalen um »die inhaltliche ›Entkernung‹ der konservativen Parteien und Beseitigung ihrer liberal-demokratischen Traditionen«, wie Peter Kurz in einem Gastbeitrag in der »FAZ« zur Buchmesse schrieb. Für den SPD-Politiker, der bis 2023 Oberbürgermeister von Mannheim war, soll damit keine »Diskursverschiebung« (auch so ein beliebtes Schlagwort) bezweckt werden, sondern vielmehr das Ende des Diskurses überhaupt.

Die rund 30 Prozent, die die AfD bei den letzten Wahlen im Osten eingefahren hat, haben auch damit zu tun, dass dort nur »Bonsaiausgaben« der »normalen« Parteien existieren, wie der Soziologe Steffen Mau auf einer weiteren Veranstaltung von PEN Berlin im Gespräch mit dessen Sprecher Deniz Yücel betonte. In Ostdeutschland sei die Mitgliederzahl der CDU seit 1990 von damals 130 000 auf jetzt 30 000 gefallen. Trotzdem wollte Mau, der für den Osten den Ausdruck »Ossifikation« als spezifische politisch-biografische Schmerzerfahrung in der »innerdeutschen Zweigesellschaftlichkeit« nach der Wiedervereinigung erfunden hat, weniger von einem allgemeinen Ost-West-Gegensatz sprechen als von bestimmten Ost-Ost-Verwerfungen, beispielsweise zwischen Großstädten und ländlichen Regionen oder zwischen Männern und Frauen. Mau empfiehlt, die Björn Höckes von den Machtpositionen fernzuhalten anstatt zu darauf zu hoffen, dass sie sich durch eine etwaige Regierungsbeteiligung selbst schwächen, weil dadurch Migranten aber auch queere Menschen noch mehr unter Druck geraten würden, als sie es im Osten ohnehin schon sind.

Yücels Frage, ob die Ostdeutschen in ihrer Gesamtheit vielleicht die größte Migrationsgruppe in der Bundesrepublik darstellen, verneinte Mau und kehrte sie um: Ziehe man die 20 Prozent der Bevölkerung, die mittlerweile von West- nach Ostdeutschland gezogen sind, ab, dann bleibe die Ex-DDR weiterhin das »Land der kleinen Leute«, in dem nur zwei Prozent der gesamtdeutschen Erbschaftssteuer bezahlt würden. Auch wenn sich dort kaum jemand die DDR zurückwünscht, sei man allgemein staatsferner eingestellt. Eine Entwicklung, die Mau auch für Westdeutschland prognostiziert, wie auch Michel Braun und Roberto Saviano die postfaschistischen Angriffe auf die Demokratie in Italien als das kommende Muster für Deutschland beschreiben.

Laut Saviano empfehle die Meloni-Regierung den Intellektuellen, sich mit historischen Themen, »sagen wir der Bibel oder dem Ersten Weltkrieg«, zu befassen, wenn sie keinen Ärger haben möchten. Sich mit der komplexen Gegenwart auseinanderzusetzen, oder gar den Flüchtlingen im Mittelmeer helfen zu wollen, das geht für die Postfaschisten gar nicht. Übrigens lesen in Italien nur 41 Prozent der Bevölkerung ein Buch pro Jahr. Und die anderen? Gar keins, sagt Saviano. »Komm ein bisschen mit nach Italien«, hatte Catarina Valente gesungen, »komm ein bisschen mit, / weil sich das lohnt. / Denn am Tag scheint dort die Sonne / und am Abend scheint der Mond.«

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