»Haltlos« im Kino: Hinwendung zu den Kartoffelthemen

Kida Ramadan wagt sich an seinen ersten Film, in dem es nicht um Gangster geht

Martha (Lilith Stangenberg) ist eigentlich zu egoistisch für ein Baby. Und nun?
Martha (Lilith Stangenberg) ist eigentlich zu egoistisch für ein Baby. Und nun?

Adoption, Schwangerschaft, Frauen. Für Kida Khodr Ramadan sind das sehr deutsche Themen, schreibt er im Presseheft zu seinem neuen Film »Haltlos«, in dem es um Adoption, Schwangerschaft und Frauen geht. Was genau den Rest der Welt so beschäftigt, lässt er offen, ist aber auch egal, denn Ramadan wollte endlich einen Film machen, in dem es nicht um Drogen, Ballerei, Knast und sonstige Gangsterthemen geht. Trotzdem ist »Haltlos« irgendwie aus Versehen schon wieder ein Gangsterfilm geworden. Schnitt (Anja Neraal), Ausstattung (Tbassom Charaf) und die Atmosphäre (Ramadan) sind rauschhaft, abgewrackt und kaputt.

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Martha (Lilith Stangenberg; wie immer als Kate Moss auf Propofol) hat eine Affäre mit einem verheirateten Mann (Samuel Schneider) und wird von ihm schwanger. »Ich will keine Mutter sein, dafür bin ich viel zu egoistisch«, sagt Martha in einer Szene und beschließt, das Kind zur Adoption freizugeben. Der bürokratische Prozess wird geschildert wie ein Gebrauchtwagenverkauf (»Hier is’ dit Formular für die Klinik.«), einzige Nachfrage bleibt, ob sich Martha das auch gut überlegt hat. Und damit ist der Hauptkonflikt des 93-minütigen Films auch schon klar.

Anschließend pendelt Martha wie im Fiebertraum zwischen ihrem Liebhaber, ihrer Mutter (Jeanette Hain), ihrem Vater (Torsten Merten darf die Wohnungstür dreimal in Unterhose auf- und wortlos wieder zumachen), diversen Berliner Parks, Cafés und ihrer Wohnung hin und her und weiß nicht recht weiter.

Marthas Mutter ist eine strenge, spießige Normalbürgerin, die ihrer Tochter einen »richtigen Mann« und einen »richtigen Job« (Martha ist Mitarbeiterin bei einem Musiklabel) empfiehlt, dann hätte sie die aktuellen Probleme nicht. Ihre Schwester Isabel (Zsá Zsá Inci Bürkle) lebt ihr ein Leben nach dem Baukastenprinzip vor (inklusive fremdgehendem Mann) und ist Martha im Herumtaumeln auch keine Stütze. Die beiden formulieren stellvertretend für die Gesellschaft mal implizit, mal explizit die Anforderungen an die moderne Frau von heute: sexy Biest, aber auch häuslich. Karriereorientiert, aber fürsorglich. An dieses Konvolut an Wertevorstellungen will Martha sich nicht anpassen und sie kann es auch schlichtweg nicht.

In diesem Kampf, es doch unbedingt schaffen zu wollen, aber nicht zu können, zeigt Lilith Stangenberg, warum sie vom deutschen Indie-Kino so vergöttert wird. Stangenberg reißt sich vor der Kamera abermals quasi den Arsch auf, um Marthas Widerspenstigkeit eine Form zu geben. Sie schreit, weint, sabbert und wimmert vor sich hin, sodass man fast von einem biblischen Ausmaß an Leiden ausgehen muss, das sie durchlebt. Und es stimmt ja, was Martha in »Haltlos« widerfährt, ist eine Odyssee aus Zweifel, unerwiderter Liebe, Suchen, Finden, Verlieren.

Moral kommt in Ramadans Filmen nie vor und auch dieses Mal ist das die angenehme Seite des Films. Martha will Mutter sein, weil alle anderen das von ihr wollen. Sie schafft es aber nicht. Auch, weil ausgerechnet die ihr nicht helfen wollen, die vorher noch versprochen haben »immer für dich da« zu sein. Wir schauen ihr also dabei zu, wie sie zwischen Verlorensein und kurz aufploppendem Verantwortungsbewusstsein hin und her pendelt. Nicht mehr und nicht weniger.

Ramadan schreibt im selben oben erwähnten Presseheft, dass er filmisch gesehen bisher immer nur Fußball gespielt hat und jetzt auch mal Volleyball ausprobieren wollte. Solche unprätentiös behämmerten Sätze sind wohl der Grund, warum Kida Ramadan fast kultisch verehrt wird. »Haltlos« ist ein weiterer Versuch, als echter Künstler anerkannt zu werden, das merkt man dem Film an. Hier arbeitet einer, der mehr können will als nur düstere Ballerfilme mit Wumms-bumms-Bass-Musik zu drehen (die Musik in »Haltlos« ist übrigens von Brezel Göring und das Aufregendste am ganzen Film). Der Versuch ist ganz okay gelungen, falls Lilith Stangenberg – glaubt man dem Presseheft, hat sie die Hälfte der Regiearbeit übernommen – die schlechteren Parts des Films zu verschulden hat.

Martha bei ihrem Unglück zuzusehen, gleicht einem Trip, so schnell wechselt die Handlung zwischen leidenschaftlicher Liebesnacht, kalten Krankenhausfluren, ziellosen Parkbesuchen und dem strafenden Blick der Mutter. Marthas innerer Kampf findet viel im Außen statt: schreien, krampfen, weinen. Zeit zum Verarbeiten bleibt dem Zuschauer nicht, denn in der nächsten Szene muss Martha wieder von einer Wohnung zur anderen laufen oder im Park einen Döner essen.

Die starken Szenen sind die, in denen klar wird, wie sehr Martha eigentlich neben der normalen Welt stattfindet. Wenn ihre Freundin Fiona (Susanna Abdul Majid) sie fragt, ob es ein Junge oder Mädchen wird, dann denkt Martha darüber nach, warum wir überhaupt Namen brauchen, während Fiona einfach weiter pragmatisches Zeug labert. Leider gibt es von diesen Szenen recht wenige. Es gilt das Primat der Ästhetik. Und so windet sich Stangenberg die meiste Zeit in einer nonchalant eingerichteten Wohnung auf dem Bett hin und her, sitzt mit verfilzten Haaren und Trainingsanzug in Spelunken oder Parks herum und ist verzweifelt.

Über Adoption, Schwangerschaft und Frauen lernen wir eigentlich nichts, was zumindest Frauen nicht sowieso schon wissen. Aber Volleyball ist auch ein komplizierter Sport.

»Haltlos«, Deutschland 2024. Regie: Kida Khodr Ramadan, Buch: Antje Schall. Mit: Lilith Stangenberg, Samuel Schneider, Jeanette Hain. 96 Minuten, Kinostart: 24.10.

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