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IWF-Jahrestagung: »Kenia braucht einen Schuldenerlass«
Mohamed Almas über die Verantwortung des Währungsfonds und die Gen Z in Kenia
Im Juni und Juli protestierte die Gen Z, die zwischen den Jahren 1995 und 2010 Geborenen, in Kenia gegen die vom Internationalen Währungsfonds geforderten Steuererhöhungen. Nach über 50 Toten durch Polizeirepression zog die Regierung die Erhöhung zurück. Ist die Schuldenkrise von Kenia ein Thema auf der Herbstkonferenz?
Ja, die Schuldenkrise in Kenia ist für die Herbsttagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank von großer Bedeutung. Kenias Probleme mit dem Schuldendienst sind durch die vom IWF empfohlenen Sparmaßnahmen noch verschärft worden. Auch wenn Kenia in Washington nicht im Mittelpunkt der Diskussionen stehen wird, ist es wahrscheinlich, dass die Frage der Schuldentragfähigkeit, insbesondere in Entwicklungsländern, ein zentrales Thema der Debatte sein wird.
Ist der IWF für die Todesfälle bei den Protesten verantwortlich?
Nicht direkt, er spielte aber durch die Auferlegung von Sparmaßnahmen, die an seine Bedingungen für den Kredit über 3,6 Milliarden Dollar geknüpft waren, eine wichtige Rolle. Diese Maßnahmen haben die Unzufriedenheit der Öffentlichkeit hervorgerufen, die die Proteste auslöste und zu Konfrontationen mit den Ordnungskräften führte. Somit hat die Politik des IWF zu dem wirtschaftlichen Druck beigetragen, der die Proteste mit den Toten ausgelöst hat.
Ist die Gen Z, die die Proteste getragen hat, durch die Rücknahme der Steuererhöhung besänftigt?
Nein, die Gen Z ist nicht vollständig befriedet. Die Rücknahme der Steuererhöhung mag zwar eine vorübergehende Erleichterung gebracht haben, aber die zugrunde liegenden wirtschaftlichen Frustrationen, die hohe Arbeitslosigkeit, die Lebenshaltungskosten und das Gefühl der Enttäuschung über das politische System bleiben ungelöst. Bewegungen wie #RutoMustGo (Präsident Willam Ruto soll abtreten, d. Red.) spiegeln eine tief sitzende Unzufriedenheit wider, die über eine einzelne politische Veränderung hinausgeht.
Wie kann Kenia seine Schuldenlast effektiver bewältigen?
Kenia braucht einen vielschichtigen Ansatz, um seine Schuldenlast in den Griff zu bekommen. Die Bekämpfung der Korruption und die Verringerung der Miss-und Vetternwirtschaft sind wichtig, reichen aber nicht aus. Kenia muss sich auf die Umschuldung, die Schaffung von wertschöpfenden Industrien und die Stärkung der Nahrungsmittel- und Energiesouveränität konzentrieren. Die Beteiligung der Öffentlichkeit an der Haushaltsplanung und die Konzentration auf eine progressive Besteuerung – die sicherstellt, dass die Wohlhabenden ihren gerechten Anteil beitragen – sind wichtige Strategien.
Mohamed Almas ist stellvertretender nationaler Koordinator der Bewegung Debt for Climate Movement Kenya. Er leitet die Koordinierung von jugendpolitischen Rundtischgesprächen und den Aufbau von Kapazitäten für die Überwachung der Staatsverschuldung, Haushaltsplanung und Klimagerechtigkeit.
Braucht Kenia einen Schuldenerlass?
Ja, Kenia würde von einem Schuldenerlass profitieren. Obwohl das Land von der HIPC-Initiative (Heavily Indebted Poor Countries – hochverschuldete arme Länder) ausgeschlossen wurde, weil es wirtschaftlich weiter fortgeschritten ist als die infrage kommenden einkommensschwachen Länder, verlangt die aktuelle Schuldensituation Aufmerksamkeit. Das HIPC-Programm, das 39 Ländern bis zum Jahr 2021 Schuldenerleichterung gewährte, ist nun für neue Teilnehmer geschlossen, und auch nachfolgende Initiativen wie die Multilaterale Entschuldungsinitiative (MDRI) schlossen Kenia aus, da sie nur für Länder zur Verfügung standen, die den HIPC-Prozess bereits abgeschlossen hatten.
Nichtsdestotrotz ist Kenias Verschuldung enorm hoch, oder?
Ja. Nachdem Kenia nicht an diesen Initiativen beteiligt war, steht es heute vor einem erheblichen Schuldenproblem, da die Staatschulden im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2024 rund 70 Prozent betragen werden. Die Situation hat sich durch die Kreditaufnahme für Infrastrukturprojekte und externe Schocks wie die Covid-19-Pandemie und die weltweite Inflation noch verschärft. Während Schuldenerlassmaßnahmen anderen Ländern geholfen haben, Mittel für die Entwicklung freizusetzen, hat sich Kenia weitgehend auf Umschuldungsvereinbarungen mit dem IWF und der Weltbank verlassen, die oft mit Sparmaßnahmen verbunden waren, die den Unmut der Bevölkerung geschürt haben.
Hat Kenia vom DSSI, dem Schuldenmoratorium der G20-Staaten als Reaktion auf die Corona-Pandemie, profitiert?
Ja. Die derzeitigen globalen Rahmenregelungen, wie die DSSI der G20 und der Gemeinsame Rahmen für die Behandlung von Schulden, bieten zwar eine vorübergehende Erleichterung, aber nicht den umfassenden Schuldenerlass, den Kenia braucht. Angesichts der zunehmenden Schuldenlast und des damit verbundenen sozialen und wirtschaftlichen Drucks ist es an der Zeit, dass die internationalen Finanzinstitutionen und Kreditgeber ernsthaft neue Ansätze in Erwägung ziehen, einschließlich Umschuldung und Schuldenerlass. Der Fall Kenias zeigt, dass wir über die traditionellen Entschuldungsmechanismen hinausgehen müssen, um die sich überschneidenden Herausforderungen der Schuldentragfähigkeit und der Klimagerechtigkeit anzugehen.
Deutschland ist der viertgrößte Anteilseigner beim IWF. Setzt sich die deutsche Regierung ernsthaft für einen Schuldenerlass ein?
Deutschland setzt sich, insbesondere durch Persönlichkeiten wie Deborah Düring, eine progressive Bundestagsabgeordnete der Grünen und Sprecherin des Auswärtigen Ausschusses, aktiv für einen sinnvollen Schuldenerlass ein. Düring macht sich für die Verabschiedung einer Safe-Harbor-Gesetzgebung stark, die darauf abzielt, private Gläubiger in den Schuldenerlass einzubeziehen. Dieser Vorschlag und ihr allgemeines Engagement für die Schaffung einer transparenten und gerechten multilateralen Schuldenarchitektur sind ein Zeichen dafür, dass Deutschland sich für integrativere und gerechtere Schuldenerlassmechanismen einsetzt.
Was sind die Forderungen der Gen Z an den IWF?
Die Gen Z fordert einen Schuldenerlass, die Abschaffung von Sparmaßnahmen und eine Abkehr von der neoliberalen Politik, die Kenias Wirtschaftswachstum abgewürgt hat. Außerdem fordert sie ein nachhaltigeres und gerechteres Finanzsystem, das dem Gemeinwohl Vorrang vor dem Schuldendienst einräumt. Die Verfechter von Debt for Climate (D4C), des zivilen Netzwerks aus dem Globalen Süden, das von Bewegungen des Globalen Nordens unterstützt wird, haben diese Forderungen mit weitergehenden Forderungen nach Wiedergutmachungsgerechtigkeit und wirtschaftlicher Souveränität in Einklang gebracht. Die erdrückenden und ungerechtfertigten Schulden des Globalen Südens müssen erlassen werden.
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