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Vom Angriff zum Alltag: Gelassenheit in Teheran
Der israelische Vergeltungsschlag wird in Iran von der Bevölkerung achselzuckend hingenommen
Einen Tag nach dem israelischen Vergeltungsschlag herrscht in der iranischen Hauptstadt Teheran wieder Alltag. Die Straßen sind voll, Cafés belebt – das Leben geht unbeeindruckt weiter, als wäre der Raketenangriff längst Vergangenheit. Bereits am Samstagmorgen hatte die Attacke bei vielen Leuten nur Schulterzucken ausgelöst. »Das war doch kein richtiger Angriff«, sagte ein Safranverkäufer im wohlhabenden Norden Teherans.
Stundenlang hatte Israels Luftwaffe in der Nacht zum Samstag militärische Ziele im Iran bombardiert, ohne auf nennenswerte Gegenwehr zu stoßen. Die Operation unter dem Namen »Tage der Umkehr« war eine Vergeltung für den massiven iranischen Raketenangriff auf Israel Anfang Oktober. Seit Monaten schaukelt sich der Konflikt zwischen den beiden Ländern weiter hoch und droht immer wieder zu einem großen, regionalen Krieg zu eskalieren.
Eine Bewohnerin eines östlichen Vororts von Teheran berichtete am Telefon kurz nach den nächtlichen Angriffen, die Fenster hätten gezittert, als Kampfjets über den Himmel donnerten. Es folgten laute dumpfe Explosionen mit Feuerblitzen in der Ferne. Nicht weit davon entfernt liegt auch ein hochsensibler militärischer Komplex in der Vorstadt Partschin. »Vielleicht haben sie dort angegriffen«, sagte die Frau. Am Fenster zu stehen und zuzuschauen – »das war Stress«.
Insider in Teheran berichtet über mögliche Reaktion
Irans Staatsmedien spielten den Angriff zunächst herunter, israelische Kampfflugzeuge seien nicht in den eigenen Luftraum eingedrungen. Der Schaden sei minimal, hieß es. Dahinter könnte sich laut Insidern der Wunsch der Staatsführung verbergen, diese Runde der Eskalation zunächst als abgeschlossen zu betrachten. »Ich persönlich glaube, dass jetzt erst einmal Propaganda-Rhetorik kommen wird, aber für den hiesigen Markt«, sagt ein Experte.
Israel habe mit seinem Angriff auf den Rat der USA gehört, nicht die Ölindustrie und Nuklearanlagen zu bombardieren, erläutert der Insider, der mit dem Denken der Revolutionsgarden, Irans Elitestreitmacht, bestens vertraut ist. »Irans Außenminister hat während seiner Nahost-Tour ja betont, dass er keine Eskalation will. Daher sollten die Spannungen eigentlich erst einmal beendet sein.«
Religionsführer Chamenei überraschend gemäßigt
Auch Irans Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei, der in allen strategischen Belangen das letzte Wort hat, äußerte sich gemäßigt. »Wie die Kraft und der Wille des iranischen Volkes dem zionistischen Regime verdeutlicht werden sollen, müssen die Verantwortlichen entscheiden«, sagte Chamenei bei einer Veranstaltung in der Hauptstadt Teheran. »Es soll das getan werden, was dem Wohl dieses Volkes und Landes entspricht.«
Anders als in der Vergangenheit forderte das Staatsoberhaupt dieses Mal also keine Rache. Seine Äußerungen gelten als letztes Wort, an dem sich sowohl Regierung als auch Militär orientieren. Bei dem israelischen Angriff waren nach offizieller Darstellung vier Soldaten getötet und mehrere Militärstandorte wie Radaranlagen beschädigt worden.
»Wenn die andere Seite stärker ist, sollte man sich zurückhalten«
Irans Gesellschaft ist Krisen längst gewohnt – die desolate Wirtschaftslage und die wiederkehrenden Proteste gegen die Regierung gehören seit Jahren zum Alltag. Wenig überraschend also, dass sich viele Bewohner der Hauptstadt trotz der Bombardierungen am frühen Samstagmorgen bereits im Park zum Frühsport trafen. Andere erfuhren erst später davon. »Ich habe keine Angst vor einem israelischen Angriff, weil ich weiß, dass ihre Ziele militärisch und nicht auf die Bevölkerung gerichtet sind«, sagte Kian, ein 20-jähriger Architekturstudent.
Staus, Hupen und das übliche Verkehrschaos in Teheran – die Tage danach unterscheiden sich nicht vom Alltag der Stadt. Auch die Schulen blieben geöffnet, und der Flugverkehr nahm wie gewohnt seinen Betrieb auf. Ironischerweise gewann sogar die iranische Währung Rial gegenüber dem Euro an Wert, nachdem sie wochenlang gefallen war. Ein Passant zuckte nur mit den Schultern, als er auf den Angriff angesprochen wurde. Er, etwa Ende 50, war selbst bei der Armee. Was er davon hält? »Wenn die andere Seite stärker ist, sollte man sich zurückhalten.« dpa/nd
»Es soll das getan werden, was dem Wohl dieses Volkes und Landes entspricht.«
Ajatollah Ali Chamenei Irans Religionsführer
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