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Gerecht am Klima basteln
Technische Eingriffe in das Klimasystem sind umstritten. Dazu gehört auch die Frage, ob überhaupt dazu geforscht werden soll
Erneut ist der globale Treibhausgasausstoß gestiegen, anstatt zu sinken. Das zeigen die jüngsten Zahlen der UN-Umweltorganisation Unep. Im Jahr 2023 stieß die Menschheit 57,1 Gigatonnen CO2-Äquivalente aus, 1,3 Prozent mehr als im Vorjahr. Um noch auf den 1,5-Grad-Pfad zu gelangen, müssten die Emissionen laut Unep bis 2035 jährlich um 7,5 Prozent gesenkt werden.
Da ein Überschreiten der in Paris vereinbarten Klimaziele immer wahrscheinlicher wird, werden vermehrt technische Lösungen diskutiert, um die Temperaturen auf der Erde nachträglich wieder zu senken. Um Forschungen in diesem Bereich zu regulieren, hat die American Geophysical Union (AGU) Ende Oktober ein »ethisches Rahmenwerk für die Forschung zu Eingriffen in das Klimasystem« vorgelegt.
Um die Klimaerwärmung zum Teil wieder rückgängig zu machen, gibt es theoretisch zwei Wege: Kohlendioxidentnahme (Carbon Dioxide Removal, kurz CDR) oder eine Verminderung der Sonneneinstrahlung (Solar Radiation Management, kurz SRM). Zu CDR zählen neben großflächiger Aufforstung auch weniger erprobte Techniken, etwa das Ausbringen von Gesteinsmehl, das bei seiner Verwitterung CO2 aus der Luft bindet, oder verschiedene Techniken, um die Ozeane zu einer noch größeren Kohlendioxidaufnahme zu bringen.
Die Sonne abschirmen
Bei SRM wird am Treibhausgehalt der Atmosphäre hingegen nichts verändert, stattdessen soll ein größerer Teil der Sonnenstrahlen reflektiert werden, sodass sie Luft, Böden und Meere weniger erwärmen können. In der Diskussion ist hier etwa, Schwefelpartikel und andere Aerosole in der Stratosphäre auszubringen, die dort einen kühlenden Effekt hätten, oder eine Aufhellung von Wolken über dem Meer. SRM ist – mehr noch als CDR – in erster Linie ein Gedankenspiel, Freilandversuche hat es nur in äußerst begrenztem Umfang gegeben. Und Vorsicht ist geboten, denn in der Konsequenz könnte länderübergreifend und über einen längeren Zeitraum in das Klimasystem eingegriffen werden. So warnt etwa das Center for International Environmental Law (CIEL), dass sich SRM unvorhersehbar auf Wettermuster, Biodiversität und Landwirtschaft auswirken könnte.
De facto besteht ein 2010 beschlossenes Moratorium für die Anwendung von SRM unter der Biodiversitätskonvention, bis die Technologien wissenschaftlich bewertet werden können. Kleinere Forschungsprojekte sind von dem Moratorium nicht betroffen. Doch mit einem absehbaren Verfehlen der Klimaziele von Paris wächst der Druck, die Forschung in diesem auch »Geoengineering« genannten Bereich voranzutreiben. Seit 2022 hat die AGU daher einen ethischen Rahmen für die Forschung sowohl im Bereich CDR als auch SRM erarbeitet. Risiken sollen so gemindert und vor allem keine neuen Klimaungerechtigkeiten geschaffen werden. Schon jetzt sei die Last der Klimafolgen nicht gleichmäßig auf alle Menschen auf der Erde verteilt, betont der Projektleiter der AGU, Billy Williams. »Wenn wir über Technologien nachdenken, um der Erwärmung entgegenzuwirken, ist es wichtig, dass wir diese ungleiche Belastung nicht noch verstärken«, sagt er.
Kein Ersatz für Emissionsreduktionen
Forschungsvorhaben, Finanzierungszusagen und Forschungspolitik sollten sich laut der vorgelegten Rahmenrichtlinie an fünf Grundprinzipien halten. Eingriffe ins Klima sollten demnach niemals Emissionsreduktionen ersetzen. Sie sollten einer übergreifenden Klimagerechtigkeit folgen und negative Klimafolgen nicht von einer Gruppe von Betroffenen auf eine andere verschieben. Die Öffentlichkeit sei vorab in Diskussionen einzubinden werden, möglicherweise betroffene indigene Bevölkerungen nach dem Prinzip der freien, vorherigen und informierten Zustimmung zu konsultieren. Desweiteren wird Transparenz über die Finanzierung von Geoengineering-Experimenten gefordert. Bei bedeutenden Risiken sollten Forschungsvorhaben von einer unabhängigen Institution geprüft werden.
Die Richtlinie sei in einem zweijährigen Prozess von über 40 transdisziplinären Expert*innen weltweit erarbeitet worden, heißt es bei der AGU. Oliver Munnion vom Geoengineering Monitor, einem Netzwerk von ETC Group, Biofuelwatch und Heinrich-Böll-Stiftung, sieht die Zusammensetzung des Expertenteams allerdings kritisch. Dort überwögen Pro-Geoengineering-Stimmen aus dem Globalen Norden, sagte Munnion »nd.Die Woche«.
Bislang gibt es keine internationalen völkerrechtlichen Vorgaben für die Geoengineering-Forschung. Die AGU möchte nun bei Forschenden, Geldgebern und Regierungen für ihren Vorschlag werben. Eine Annahme der ethischen Prinzipien könnte zur öffentlichen Akzeptanz des Forschungsfeldes beitragen, so die Hoffnung der AGU.
Bei an der Erarbeitung der Richtlinien nicht beteiligten Forschenden stößt der Vorschlag bereits auf Kritik. »Die Risiken und Chancen bei CDR und SRM sind sehr unterschiedlich und es verwundert, dass diese beiden Technologiegruppen in einem Report zusammengefasst werden«, sagt Wilfried Rickels, Leiter des Forschungszentrums Global Commons und Klimapolitik am Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Aufgaben und Verantwortung der Politik würden mit der Richtlinie auf die Wissenschaft übertragen. Nicht beantwortet werde die Frage: »Welche Möglichkeiten, Chancen und Risiken ergeben sich für CDR in global nicht-koordinierten Klimapolitiken?«
Ethischer Rahmen als Legitimation
Grundlegende Kritik aus einer ganz anderen Richtung kommt von der Nichtregierungsorganisation CIEL. »Der Rahmen der American Geophysical Union verleiht Technologien eine unzulässige Legitimation, die in einer ethischen Klimastrategie keinen Platz haben sollten. Geoengineering würde direkt gegen zentrale Prinzipien des Umweltschutzes, der Menschenrechte und der Klimagerechtigkeit verstoßen, die in internationalen Verträgen verankert sind«, erklärt CIEL-Campaignerin Mary Church. Zudem hätten indigene Gruppen bereits in der Vergangenheit wiederholt Ablehnung gegenüber Geoengineering-Forschung zum Ausdruck gebracht.
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