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Man weiß es und man mag es
Stefanie Sargnagel war im Mittleren Westen und berichtet in Romanlänge
Stefanie Sargnagel ist eine Autorin modernen Typs … und dann wieder doch nicht. Bekannt wurde sie — wir schreiben die späten Nuller, frühen zehner Jahre — durch lakonische Statusmeldungen mit höherem Formulierungsanspruch auf Facebook und melancholisch-lebensklugen Tweets. So ein Content beschert einem zwar Fans und Friends, aber keine Werbepartnerschaft mit Modemarken. Sargnagel, die bürgerlich Sprengnagel heißt, jobbte damals in Wien, wo sie auf die Welt kam, aufwuchs und wohnt, in einem Call-Center. 2013 erschienen in einem kleinen Verlag »Binge Living. Die Callcenter-Monologe«. Drei Jahre später kommt sie ins Fernsehen zum Bachmann-Preis: Dort hadert man in der Bildungsbürger-Jury mit der Güte ihres Texts, aber das Publikum liebt’s.
Ein großer deutscher Verlag namens Rowohlt aus dem kalten Hamburg nimmt die Wienerin schließlich unter Vertrag. 2020 erscheint als bereits sechstes Buch die erste Langprosa. Sein Titel: »Dicht«. Das Buch bildet eine vermutlich Sargnagels Lebens sehr nahe Gymnasialzeit ab. Im Jahr darauf kommt »Sargnagel — der Film« in das eine oder andere Kino. Die mittlerweile 38jährige Autorin mit der roten Baskenmütze ist also eine literarische Berühmtheit: Von Internet-Schwermut vom gesellschaftlichen Rande zu Publikumsverlagsanerkennung.
So stellt man sich einen modernen Werdegang des Profi-Schreibens vor. In Wahrheit aber sind deutlich mehr Menschen mit Roman heutzutage Absolvent*innen staatlich anerkannter Schreibhochschulen. In Deutschland gibt’s die in Leipzig und Hildesheim; die weltweit erste Möglichkeit zertifiziert-qualifizierter Schreiberling von Literatur zu sein, konnte man aber seit 1936 in Iowa City erwerben, im »Iowa Writer’s Workshop«. In den Mittleren Westen verschlägt es nun die etablierte Autorin Sargnagel im Jahre 2022 und die Erzählerin Sargnagel in dem 300 Seiten starken, nun ja, autobiografischen Reisebericht mit mindestens einer erfundenen Szene. Das Buch »Iowa. Ein Ausflug nach Amerika« stand auf der Longlist für den diesjährigen Deutschen Buchpreis.
Sargnagel wird vom Liberal Arts College in Grinnell eingeladen, um Studierende der deutschen Sprache zu lehren. Das ist geografisch nicht weit entfernt von der berühmten Schreibschule, aber noch kleiner, beschaulicher, sozial öder. Mitnehmen darf sie die seit Jahrzehnten in Kreuzberg weltberühmte Liedermacherin Christiane Rösinger. Die ist etwas mehr als zwei Jahrzehnte älter als Sargnagel, leistet ein Konzert vor begeisterten Studierenden vor Ort ab, in dem es darum geht, wie überbewertet doch die Liebe sei. Außerdem kabbelt sich die geborene Hügelsheimerin ganz gern mit ihrer Wiener Freundin. Grund sind oft die feinen generationellen Unterschiede: Handy-Sucht, Vertrauen in Google Maps, allgemeine Resilienz. Rösinger durfte in Sargnagels Buch Fußnoten setzen, wenn das Gedächtnis der Haupt-Autorin zu Fehldarstellungen im Text führte. Eine Fantasie-Leistung ist »Iowa« also nicht.
Stattdessen geht es um das Totschlagen der vom Staat oder einer Stiftung finanzierten Zeit fernab der linken Künstler-Bubble. Und es geht um Staunen im angesichts eines Landes, das Österreicher, Westdeutsche, Mitglieder der sogenannten Millenial-Generation von Kindesbeinen an aus Film und Fernsehen kennen, und den allermeisten doch beim Betreten sehr, sehr fremd vorkommt: Ohne Auto geht nichts, die Supermärkte sind riesig, Rauchen ist maximal verpönt, das Essen ist in der Regel miserabel und unverschämt gesundheitsschädlich, Bildung ist sauteuer, die meisten Menschen wirken erstmal sehr, sehr nett.
Sonderlich tief eintauchen in die Seele Amerikas tut Sargnagel aber nicht, sie bleibt nicht an einem Phänomen dran, dem sie hinterherforscht — schließlich muss sie ein bisschen lehren und zudem wird, generationsgerecht, viel gelümmelt, gechillt, in dem Haus, das die Uni stellt, vor einem riesigen Fernseher. Großes Faszinosum dort: »The Real Housewives of L. A.«, eine Serie über sehr reiche Ehefrauen, die sich plastischer Chirurgie unterzogen haben und sich die Zeit vertreiben mit Charity-Parties, wobei seelisch alle angeknackst sind in Wahrheit, ganz tief drin.
Am Ende des Buchs und der Reise erlebt die Autorin mit ihrer Mutter, eine Wiener Sozialarbeiterin, hunderte Kilometer weiter westwärts das Elend der abertausend Obdachlosen in Los Angeles kennen, aus dem YouTuber grinsend Profit schlagen mit ihrem Online-Elends-Tourismus, und das noch die linksten Europäer dazu verführt, sich eine schlichte, sichere Sozialdemokratie zu wünschen.
Ansonsten werden noch Nachfahren deutscher Auswanderer begutachtet, die in streng christlichen Sekten leben. Bei Amish-People kauft die Städterin Bio-Eier. Es gibt Ausführungen über Transzendentale Meditation, deren Sekten-Organisation in Iowa ebenfalls eine Uni stellt. Sargnagel begibt sich auf Tinder, wo fast alle Männer military-affin sind. Dass Rösinger und sie nicht ins Bürgertum geboren wurden, kommt zur Sprache, und wie man sich zwischen den Rich Kids der Kunst-Welt habituell erkennt. Wenn man so will, geht es auch um’s Älterwerden, Jugend hinter sich lassen, Jugend suchen. Das lässt man sich alles ganz gerne erzählen, viele Leser*innen dürften vieles davon aber schon wissen, regelmäßig besprechen sie es in ihren Kreisen.
Sargnagels Selbstironie, Mut zum Witz, unprätentiöse Schilderungskunst machen das recht lang geratene Buch aber zu einer angenehmen Erholungslektüre, z. B., wenn man verkatert ist, sich aber schämt, stundenlang Serien zu gucken. Ein Buch, eine lange Prosa sehr gegenwärtiger Art ist »Iowa« vielleicht auch deshalb, weil es nicht um die ästhetische Herausforderung geht, aber auch kein Genre erkundet wird, sondern einem geholfen wird, ein bisschen abzuschalten und sich lesend bei anderen, sympathisch wirkenden Menschen zu wähnen. Para-exotische Perma-Internet-Stipendiumsreisen-Literatur könnte man das nennen.
Stefanie Sargnagel: Iowa. Ein Ausflug nach Amerika. Rowohlt. 304 S., geb., 22 €.
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