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Wie der Osten den Westen verändert
Zwischen Schein und Sein – Frauenemanzipation in der DDR und im vereinten Deutschland
Er ließ keinen Zweifel: »Hier findet nicht die Vereinigung zweier gleicher Staaten statt«, wusste Wolfgang Schäuble, der maßgeblich an der Aushandlung des Einigungsvertrages beteiligt war, 1990. Von »nachholender Modernisierung« in Ostdeutschland war die Rede, womit die Abwicklung »überflüssiger« Institutionen, die Privatisierung oder Liquidierung von 97 Prozent der Volkseigenen Betriebe (VEB), die Umstellung des staatlichen, kostenlosen Bildungs- und Gesundheitswesens der DDR auf Weststandard und radikaler Eliteaustausch gemeint war. Auf einem Gebiet jedoch gelang es nicht, das Rad der Geschichte zurückzudrehen: bei der Frauenemanzipation.
Von einem »Gleichstellungsvorsprung« im Osten sprach 1992 anerkennend Heiner Geißler, ein CDU-Politiker, der noch eine soziale Ader hatte. Nicht alles sei schlecht in der DDR gewesen, befand er kühn. Das bedeutet natürlich nicht, dass im zweiten deutschen Staat für die Frauen alles bestens bestellt war. Zwischen »Schein und Sein« titelte denn auch Ursula Schröder ihren Rückblick auf einer Veranstaltung des Bildungsvereins Helle Panke in Berlin.
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Auf dem VIII. Parteitag der SED im Juni 1971 wurde die Gleichberechtigung in der DDR als erfüllt verkündet. Etwas voreilig, obwohl die Gleichstellung nicht nur verfassungsrechtlich fixiert und das neue Familiengesetz von 1965 frauenfreundlich war. Seit Mitte der 70er Jahre gab es in der DDR keine Geschlechterunterschiede mehr in der beruflichen Qualifikation von Frauen und Männern. Die hohe Quote bei der weiblichen Erwerbstätigkeit bei gleichzeitiger Mutterschaft verdankte sich der Angebote staatlicher Kinderbetreuung. In der DDR trugen Frauen zu 47 Prozent zum Haushaltseinkommen bei, in der Bundesrepublik waren es 18 Prozent. Ostdeutsche Frauen nutzten zu 90 Prozent Kindergärten, zu 80 Prozent Krippen und Schulhorte. 90 Prozent der Frauen in der DDR waren Mütter, was laut der Soziologin nicht zu toppen war, eingedenk eines gewissen Prozentsatzes ungewollter Kinderlosigkeit.
Ein auffallender Unterschied zum Westen war auch, dass DDR-Bürgerinnen ihr erstes Kind bereits mit Anfang 20 bekamen. Für diese frühe Mutterschaft hatte man im Westen die skurrilsten Erklärungen: Junge Menschen im Arbeiter-und-Bauern-Staat hätten den »Hebel Kind« genutzt, um eine Wohnung zu ergattern. Den Ehekredit hätte man »abkindern« können. Andere Westexperten machten das Fehlen von Alternativen für junge Leute wie etwa Auslandsreisen oder staatliche Nötigung verantwortlich für die frühe Mutterschaft in der DDR. »Unglaublich« nennt Ursula Schröter solche Interpretationen.
Obwohl mit dem auf dem VIII. Parteitag beschlossenen Wohnungsbau- und Sozialprogramm der – nach dem Babyboom der 60er Jahre in Ost und West – sinkenden Geburtenrate entgegengewirkt werden sollte, drei Kinder pro Familie als wünschenswert galten, wollten DDR-Frauen mehrheitlich nur zwei Kinder, wie eine Befragung seinerzeit ergab. Interessant ist, dass der Kinderwunsch am größten bei Bäuerinnen war, gefolgt von Akademikerinnen, wesentlich geringer hingegen bei Arbeiterinnen. Befördert wurde die selbstbewusste Entscheidung von Frauen für oder wider Kinder dadurch, dass ab 1972 in der DDR Abtreibung rechtens war, »wenn Frau es will«. Dieses Recht wollten sich die Ostfrauen 1990 nicht nehmen lassen. Auf zahlreichen Demonstrationen und Kundgebungen bekundeten sie ihren Willen, den in der Bundesrepublik fortbestehenden Strafparagrafen nicht zu akzeptieren.
Anlass für die Streichung von 218 in der DDR war allerdings – soviel Ehrlichkeit muss sein – eine Kampagne von Frauen in der Bundesrepublik: »Wir haben abgetrieben!«, Bekenntnisse von 374 Frauen im »Stern« 1971, initiiert von Alice Schwarzer. Inge Lange, Kandidatin des Politbüros und Leiterin der Abteilung Frauen des Zentralkomitees der SED, gelang es nun mit ihren Mitstreiterinnen, die geschlossene Männerriege im obersten Gremium der »führenden Partei« im Staate für die Straffreiheit von Schwangerschaftsunterbrechungen zu überzeugen, um nicht eventuell vom Klassenfeind überholt zu werden und sich als progressiveren deutschen Staat präsentieren zu können. Der Coup gelang. Und realisierte eine Forderung der KPD aus Zeiten der Weimarer Republik. Schon merkwürdig, dass Kommunisten an der Macht vergessen konnten, wofür Jahrzehnte zuvor ihre viel beschworenen Vorbilder wie Clara Zetkin und Edwin Hoernle auch im Reichstag leidenschaftlich gestritten hatten. Oder auch den in der DDR gefeierten Arzt und Schriftsteller Friedrich Wolf, der mit seinem strafbesetzte Abtreibung anklagenden Drama »Cyankali« 1929 Aufsehen erregt hatte.
Als ein Indiz für die stärkere Emanzipation der DDR-Frauen kann auch die hohe Zahl der Scheidungen gewertet werden. Waren es 1960 noch 14,2 Prozent, so 1985 schon 30,8 und zum Ende der DDR 47 Prozent. Aufschlussreich ist die Neuorientierung nach einer gescheiterten Ehe. Anfang der 70er Jahre bevorzugte der geschiedene Mann als neue Partnerin eine jüngere und weniger qualifizierte (sic!) Frau und umgekehrt die Frauen einen älteren und höher qualifizierten Mann. Beziehungen auf Augenhöhe stellten sich also auch in der DDR nicht automatisch ein. Insofern hatte der »Spiegel« 1969 nicht ganz unrecht, wenn auch in typischer Manier »alter weißer Männer« formuliert, als er schrieb: »Die beruflich erfolgreichen Ehepartnerinnen provozieren bei ihren Männern Minderwertigkeitskomplexe.« Einige Monate zuvor war auf einer Tagung der Akademie der Wissenschaften der DDR bedauernd festgestellt worden: »Aus Rücksicht auf den Ehepartner … scheut sich die eine oder andere Frau, eine größere Verantwortung, eine höhere gesellschaftliche Position einzunehmen als ihr Mann.« Patriarchalische Strukturen wirkten in der DDR fort. Auch die Männer müssen sich ändern, wenn Gleichberechtigung gelingen soll.
Wie aber stand es nun um die Frauenemanzipation nach 1990? Ostdeutsche Frauen, die von der Massenarbeitslosigkeit viel stärker als die Männer betroffen waren, weil vor allem die Leicht- und Textilindustrie weggebrochen wurde, reagierten nicht mit einer Rückkehr in den Hausfrauenstatus. Das Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) registrierte: »Durch die Zuwanderung aus der ehemaligen DDR Anfang der 1990er Jahre hat sich die Wiedervereinigung auch auf das Arbeitsmarktverhalten und die Normen der Westdeutschen ausgewirkt.« Vereinbarkeit von Beruf und Familie wurde ebenso westdeutschen Frauen wichtiger. Und der Westmann lernte hinzu.
Laut soliden Studien ist die Befürwortung egalitärer Geschlechterrollen im Osten dennoch prägnanter ausgeprägt als im Westen. Frauenerwerbstätigkeit wird hier durch ein engmaschigeres Netz der Kinderbetreuung abgesichert, wobei Thüringen mit über 91 Prozent an DDR-Niveau heranreicht. Generell sind alle ostdeutschen Bundesländer diesbezüglich vorbildlicher als die westdeutschen. Wieder, muss man sagen, denn nach 1990 wurden zunächst massenhaft auch Kindergärten und Krippen geschlossen. Westdeutsche Ignoranz. Begründet mit ideologischer Indoktrination, angeblicher »Erziehungsdiktatur«. Es hat eine Weile gedauert, ehe die Hirne westdeutscher Entscheidungsträger die Sinnhaftigkeit solcher Einrichtungen begriffen. Nicht zuletzt auf Druck der Ostfrauen. Mittlerweile hat ALLBUS, eine seit Anfang der 80er Jahre in der Bundesrepublik alle zwei Jahre durchgeführte Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften bestätigt: »Es ist für ein Kind sogar gut, wenn die Mutter berufstätig ist und sich nicht nur um den Haushalt kümmert.«
Auf ihre plötzliche erzwungene Arbeitslosigkeit reagierten Ostfrauen Mitte der 90er Jahre mit einem Gebärstreik – demografisch nach der Massenflucht aus der DDR im Sommer 1989 und der Übersiedlung Zigtausender qualifizierter junger Menschen, darunter viele Frauen, in den 90ern mangels Arbeit im Zuge der Deindustrialisierung Ostdeutschlands eine Katastrophe. Inzwischen gibt es wieder weniger Kinderlosigkeit im Osten als im Westen, in Thüringen am wenigsten. Im Osten wird dafür weniger geheiratet, uneheliche Kinder gibt es häufiger als im Westen. Bezüglich weiblicher Erwerbsarbeit sind seit 2020 jedoch nur noch geringe Unterschiede zwischen Ost und West zu verzeichnen. Einen »Ansteckungseffekt« konstatierte Ursula Schröder, die übrigens selbst als Beispiel einer emanzipierten Ostfrau gelten kann. Hatte die gebürtige Leipzigerin doch Mathematik studiert und war im EDV-Bereich eines VEB tätig, bevor sie nach Berlin übersiedelte und dort ihre Dissertation ablegte, um fortan sich der Soziologie zu verschreiben. DDR-Frauen waren wesentlich mehr auch in naturwissenschaftlichen und technischen Berufen präsent als ihre westdeutschen Geschlechtsgenossinnen.
Fazit des Referats von Ursula Schröter und der lebhaften Diskussion in der Hellen Panke: Es ist etwas geblieben von der DDR im vereinten Deutschland, wovon auch die Westfrauen profitieren. Und dies ist den Ostfrauen zu verdanken. Denn sie gingen unbeirrt ihren Weg weiter, hielten an ihren Vorstellungen von einem guten, selbstbestimmten Leben selbstbewusst fest.
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