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Ein Quantum Klimahilfen
Der Streit über ein neues Finanzziel wird die UN-Konferenz in Baku dominieren. Es geht um Billionen und eine neue Finanzarchitektur
Die pakistanische Risikokapitalfirma Sarmayacar erhält 15 Millionen US-Dollar vom »Grünen Klimafonds« der Vereinten Nationen. Damit sollen in dem südasiatischen Land lokale Start-ups in Sektoren wie erneuerbare Energien, Elektromobilität und nachhaltige Landwirtschaft gefördert werden, wie das Unternehmen vor wenigen Tagen in Dhaka mitteilte. Laut Firmengründer Rabeel Warraich will Sarmayacar »nach Möglichkeiten zur Beschleunigung von Klima-Tech-Innovationen im Lande suchen«. Weitere 10 Millionen Dollar schießt der Staat zu, auch private Geldgeber werden umworben, damit insgesamt 40 Millionen zusammenkommen.
Das Beispiel zeigt: Wenn bei der bevorstehenden 29. Weltklimakonferenz (COP 29) in Baku über Finanzierungsfragen gestritten wird, geht es um weit mehr als bilaterale Entwicklungshilfe des Globalen Nordens für Projekte im Süden. Das liegt schon an der schieren Größe: Beim UN-Klimagipfel 2009 in Kopenhagen war vereinbart worden, dass die OECD-Länder ab 2020 pro Jahr 100 Milliarden Dollar für Klimaschutz und -anpassung in armen Ländern bereitstellen. Mit Ach und Krach wurde das Ziel erstmals 2022 erreicht. Da die Vereinbarung im kommenden Jahr ausläuft, braucht es eine Nachfolgeregelung ab 2026 – im UN-Sprech: »New Collective Quantitative Goal on Climate Finance«, kurz Quantum genannt. Es wird bei COP 29 aber um ganz andere Summen gehen, mit einer Dezimalstelle mehr. »Das neue Klimafinanzierungsziel muss ein Quantensprung werden«, betont David Ryfisch von der Entwicklungsorganisation Germanwatch.
Wie weiter bei der globalen Klimapolitik? Darüber beraten über 200 Staaten vom 11. bis 22. November in Baku.
Die Verhandlungsparteien sind sich dessen bewusst: Soll es mit der Einhaltung der Klimaziele des Pariser Abkommens noch etwas werden, muss sehr viel Geld in den Globalen Süden wandern – für Klimaschutzmaßnahmen, für die Anpassung an die längst spürbaren Folgen der Erderwärmung und – als neuer Block – für die Bewältigung der immer höheren Schäden und Verluste. Viele Länder sind hoch verschuldet und daher finanziell überfordert.
Damit es in Baku nicht zugeht wie auf dem Markt, gibt es Versuche, das neue Quantum sachlich zu ermitteln. Rechnet man die nationalen Klimaschutzziele zusammen, läge im Zeitraum bis 2030 der Finanzbedarf der Entwicklungsländer pro Jahr bei 1 bis 1,4 Billionen US-Dollar. Problem dabei: Die nationalen Ziele reichen bisher bei weitem nicht aus, um die Erderwärmung wie angestrebt auf deutlich unter zwei Grad Celsius zu begrenzen. Eine Expertengruppe unter UN-Dach hat daher versucht, den Bedarf mithilfe von Modellrechnungen zu ermitteln, und kommt auf eine Summe von 2400 Milliarden US-Dollar pro Jahr, wovon mindestens 1000 Milliarden aus internationalen Quellen stammen müssten. In all diesen Berechnungen sind Verluste und Schäden nicht berücksichtigt.
Worum es geht, machte erstmals vor zwei Jahren die Bridgetown-Initiative der Regierung von Barbados deutlich. Diese fordert eine »integrative, widerstandsfähige Finanzierung« zur Bewältigung der Klima- und Entwicklungskrise. Eine zentrale Rolle wird dabei dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zugedacht, der mit zinsgünstigen Krediten und neuen Finanzierungsmodellen Geld mobilisieren und, so das Zauberwort, »hebeln« soll. »Wir glauben, einen Plan zu haben, der 5 Billionen Dollar freimacht«, wie es die Premierministerin des klimabedrohten Karibikstaates, Mia Mottley, ausdrückt.
Die Summen klingen schwindelerregend, doch die Klimafinanzströme liegen längst im Billionenbereich. Exponentiell steigen vor allem die Investitionen der größten CO2-Emittenten EU, USA und China. So beziffert das Deutsche Klima-Konsortium die Ausgaben für das Jahr 2022 weltweit auf etwa 1268 Milliarden US-Dollar. Die Experten aus mehreren Forschungseinrichtungen haben dabei aber massive Schieflagen entdeckt: 93 Prozent der Mittel fließen in Klimaschutz – zwei Drittel allein Gut in die Energie- und die Verkehrswende – und nur 7 Prozent in Anpassung. »Geberländer zeigen generell eine starke Präferenz für die Mittelverwendung im Klimaschutz, weil sie über die Technologien dazu verfügen und diese verkaufen oder weil sie ihrer Wählerbasis kurzfristige klimapolitische Erfolge präsentieren wollen«, heißt es in einem aktuellen Bericht. Dagegen seien Maßnahmen zur Klimaanpassung häufig von lokalen Ressourcen abhängig und kleinteilig, sie wirkten langfristig. Ebenfalls problematisch: Der größte Teil der internationalen Mittel werde »vergeben über ein sehr komplexes Geflecht unterschiedlichster Quellen und Finanzströme«. Tatsächlich spielt der unter UN-Dach eingerichtete »Grünen Klimafonds« nur eine Nebenrolle – 3 bis 4 Milliarden Dollar steuert er pro Jahr zur Klimafinanzierung bei.
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Daher geht es in Baku nicht nur um Summen, sondern auch um solche Fragen: Wer soll zahlen und an wen? Zu welchen Zwecken, in welcher Form und über welche Kanäle? Was zählt überhaupt zur Klimafinanzierung – nur Zuschüsse und stark vergünstigte Kredite oder auch private, profitorientierte Anlagen? Wie lassen sich mehr Mittel für Anpassungsmaßnahmen mobilisieren? Und noch ganz am Anfang steht der Bereich Schäden und Verluste, für den erst 2022 die Einrichtung eines UN-Sonderfonds beschlossen wurde. Dieser ist bisher noch ziemlich leer, auf ein Finanzziel hat man sich bisher noch gar nicht geeinigt. Dabei wird der Bedarf mit fortschreitendem Klimawandel immer größer. Allein bei Infrastruktur- und Gebäudeschäden kam Munich Re für 2023 auf 250 Milliarden Dollar, wobei der Rückversicherungskonzern vor allem Industriestaaten und große Schwellenländer im Blick hat. Hinzu kommen dauerhafte Verluste, die bisher nicht beziffert werden: das Aussterben biologischer Arten oder Verluste von Kulturland durch Meeresspiegelanstieg und Verwüstung.
Angesichts des riesigen Finanzbedarfs stehen in Baku auch strukturelle Veränderungen zur Debatte: Nötig sei »ein neuer Ansatz für eine tragfähige, internationale Klimafinanzarchitektur«, wie es das Deutsche Klima-Konsortium ausdrückt. Das betrifft Institutionen, die die ganz großen Summen bewegen, wie die Zentralbanken, die multilateralen Entwicklungsbanken und den IWF. Dessen jüngste Jahrestagung hat indes wenig Bewegung gebracht.
In den Fokus gerät nun auch stärker, woher das viele Geld kommen soll. Im Gespräch sind CO2-Abgaben auf den internationalen Schiffs- und Flugverkehr. Aber auch die Beendigung der Subventionen in fossilen Industrien, für die weltweit dreistellige Milliardensummen fließen. Diese sind zuletzt sogar noch gestiegen, da Öl, Gas und Kohle gegenüber den Erneuerbaren kaum noch konkurrenzfähig sind. Selbst die Weltbank stellte laut einer Aufstellung der NGO Urgewald im vergangenen Jahr 4,7 Milliarden Dollar für fossile Projekte bereit.
Zunehmend richtet sich der Blick auch auf die Vermögenden: Nach Berechnungen des Weltklimarats verursachen die zehn Prozent Haushalte mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen bis zu 48 Prozent der konsumbasierten Treibhausgasemissionen. Die untersten 50 Prozent – vier Milliarden Menschen – tragen nur 12 Prozent bei. Das Netzwerk CAN-Europe schätzt, dass eine Klima-Vermögensteuer von nur einem Prozent auf alle Vermögen von mehr als einer Million US-Dollar gut eine Billion Dollar pro Jahr einbringen würde. Auf G20-Ebene wird über eine Vermögensteuer für Milliardäre diskutiert, die 250 Milliarden Dollar mobilisieren könnte.
Eine Einigung in Finanzfragen gilt als entscheidend für den Erfolg von COP 29, wie es der Leiter des UN-Klimasekretariats, Simon Stiell, betont. Für viele arme Länder ist dies essentiell, denn ohne Mittel von außen sind alle anderen Klimabereiche für sie schlicht nicht bezahlbar. Seit Jahren überlagert der Nord-Süd-Streit darum die UN-Klimakonferenzen. Mit Blick auf Baku verlangen die afrikanischen Staaten von den Industrieländern bis 2030 direkte Zuschüsse in Höhe von 1300 Milliarden US-Dollar pro Jahr allein für Klimaschutz und -anpassung. Das Geld soll zusätzlich zur Entwicklungshilfe fließen und möglichst über UN-Fonds wie den GCF.
Allerdings werden die Widerstände gegen solche Forderungen massiv sein: Wie Germanwatch vorrechnet, wurde und wird in diesem Jahr in Ländern mit der Hälfte der Weltbevölkerung gewählt. In einigen gewann das »fossil geprägte, autoritäre, rechtsradikale Lager« an Einfluss. Dies bedeute in der Regel weniger internationale Zusammenarbeit, gerade auch, wenn es um Zahlungen geht. Die Wahl Donald Trumps zum nächsten Präsidenten in Washington ist hier besonders problematisch, denn die USA gehören zu den größten bilateralen Geldgebern weltweit. Auch der Einfluss auf die Politik von IWF und Weltbank ist sehr groß. Die bisherige US-Regierung unterstützt die Forderung nach »deutlich über einer Billion Dollar pro Jahr«, auch wenn sie sämtliche privaten wie öffentlichen Investitionen dafür anrechnen lassen möchte. Ob selbst diese Position in Baku noch vertreten wird, ist unklar, zumal sie von Trump nicht unterstützt werden und es dafür auch keine Mehrheiten im Parlament mehr geben dürfte.
Allerdings beraten in Baku mehr als 200 Länder, und die anderen großen Länder dürften den G77-Block, dem 134 Entwicklungsländer angehören, sicher nicht gegen sich aufbringen wollen. Einige Beobachter erwarten nun, dass andere die führende Rolle bei den Verhandlungen übernehmen werden: »Eine verstärkte Klima-Allianz mit Europa und China im Zentrum ist unsere beste Hoffnung für die nächsten Jahre«, meint Li Shuo vom Asia Society Policy Institute. Allerdings ist auch das fraglich, denn die beiden wichtigsten EU-Saaten Frankreich und jetzt auch Deutschland verfügen aktuell über keine mehrheitsfähigen Regierungen.
Daher könnten die Schwellenländer eine wichtige Rolle übernehmen. Zwar ist die Brics-Gruppe mit ihrer eigenen Bank ein Papiertiger, zumal die Länder in Klimafragen kontroverse Positionen vertreten. Aber bilateral spielen Schwellenländer bei der internationalen Klimafinanzierung eine Rolle. Zehn von ihnen, darunter China, Südkorea, Indien, Brasilien, Saudi-Arabien und Nigeria, lagen bereits 2020 unter den Top 30, wie der Think Tank »Overseas Development Institute« ermittelt hat. Die EU-Staaten fordern daher eine verbindliche Ausweitung der Beitragszahler – aktuell sind es 24 Staaten. Dies aber lehnt eine Gruppe um China und Indien ab, die verlangt, dass die westlichen Staaten jährlich mindestens eine Billion US-Dollar bereitstellen. Es könnte in Baku daher entscheidend werden, ob sich die EU und China annähern.
Statt solcher Machtspielchen fordern Umwelt- und Entwicklungsorganisationen eine »gerechte Aufteilung« nach objektiven Kriterien: So soll ermittelt werden, wer wie viel einzahlen kann und muss. Das Geld fließt dann an die einzelnen Länder, und zwar nach ihrem Klimarisiko pro Kopf. Bisher seien 90 Prozent der bewerteten Länder unterfinanziert, rechnen NGO wie Oxfam und Brot für die Welt vor.
Dazu gehört auch Pakistan. Das hoch verschuldete 250-Millionen-Einwohner-Land will zwar bis 2030 seine Emissionen um die Hälfte reduzieren, etwa durch massiven Ausbau der Erneuerbaren und einem Einfuhrverbot für Kohle. Auch schreibt ein Klimagesetz Maßnahmen zur Anpassung vor. Doch es fehlen die Mittel dafür, zumal Dürren, extreme Hitzeperioden, aber auch Überschwemmungen und Zyklone sowie die Folgen der Gletscherschmelze im Himalaya das Land hart treffen. Pakistan liegt beim CO2-Ausstoß pro Kopf auf Rang 126 – und gehört beim Klimawandel zu den zehn verletzlichsten Staaten weltweit.
Eine Einigung in Finanzfragen gilt als entscheidend für den Erfolg von COP 29.
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