Sozialpolitik der Ampel – war da was?

Weniger Armut, Hilfe bei Wohnkosten, anständige Löhne: Über die Pläne der Ampel-Koalition und was daraus geworden ist

  • Eva Roth
  • Lesedauer: 5 Min.
Eine Stabilisierung des Rentenniveaus und eine höhere Kindergrundsicherung hat die FDP blockiert.
Eine Stabilisierung des Rentenniveaus und eine höhere Kindergrundsicherung hat die FDP blockiert.

Anfang Juni beschließt der Bundestag eine ungewöhnlich starke Erhöhung des Mindestlohns. Im November folgen Reformen des Wohngelds und der sozialen Grundsicherung. Beide sollen Menschen mit geringen oder gar keinen Einkünften besser unterstützen. Das war 2022. Nun ist die Ampel-Koalition am Ende, die FDP ist bereits vor Monaten wieder auf ihren marktliberalen Kurs eingeschwenkt, große Reformpläne liegen vor, sind aber bislang nicht beschlossen. Zeit, Bilanz zu ziehen: Wir haben uns einige wichtige sozialpolitischen Vorhaben der Ampel-Koalition angeschaut.

»Die Sozialpolitik der Ampel war konservativ, sie hat bestehende Ungleichheiten fort- und festgeschrieben. Ihre sozialpolitische Bilanz bleibt selbst hinter ihren selbst formulierten Ansprüchen zurück«, urteilt Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands auf »nd«-Anfrage. Der Sozialforscher Gerhard Bosch von der Uni Duisburg-Essen hätte sich auch mehr gewünscht. Wenn man indes bedenkt, dass die FDP Teil der Koalition war, »ist die Bilanz eigentlich ganz gut«, sagte der Wissenschaftler dem »nd«. Er nennt als Beispiele den Mindestlohn-Beschluss und dass es Arbeitslosen erleichtert wurde, sich weiterzubilden.

Was der Mindestlohn-Beschluss gebracht hat

Tatsächlich ist der gesetzliche Mindestlohn über Jahre nur wenig gestiegen. Grundlage dafür waren Beschlüsse der zuständigen Kommission. Im Hochinflationsjahr 2022 griff dann das Parlament ein und entschied, den Mindestlohn ab Oktober auf zwölf Euro pro Stunde anzuheben. Aufs Kalenderjahr berechnet bedeutete das: 2022 war der Mindestlohn insgesamt rund zehn Prozent höher als im Vorjahr. 2023 betrug der Zuwachs nochmal rund 14 Prozent. Denn Beschäftigte hatten das ganze Jahr über Anspruch auf zwölf Euro, und nicht nur, wie 2022, von Oktober bis Dezember. Trotz der hohen Inflation in den beiden Jahren hatten die Beschäftigten damit auch preisbereinigt Anspruch auf mehr Geld. Inzwischen hat die Mindestlohn-Kommission wieder übernommen und – gegen den Willen der Gewerkschaftsvertreter – eine Erhöhung um lediglich 41 Cent oder 3,4 Prozent für dieses Jahr beschlossen. Das gleiche ist fürs kommende Jahr vorgesehen.

80 Prozent mehr Haushalte erhalten Wohngeld

Was die Reform des Wohngelds bewirkte, hat das Statistische Bundesamt Ende September aufgeschlüsselt: Zum Jahresende 2023 bezogen demnach rund 1,2 Millionen Haushalte mit geringen Einkünften Wohngeld – das waren 80 Prozent mehr als zuvor. Im Schnitt erhielten die Haushalte 297 Euro pro Monat und damit 106 Euro mehr als vor der Reform. Besonders häufig werden Menschen mit niedrigen Einkommen in Ostdeutschland unterstützt: In Sachsen beziehen 4,5 Prozent aller Haushalte Wohngeld, in Mecklenburg-Vorpommern sogar 5,5 Prozent.

Seit langem besonders heftig umkämpft sind staatliche Hilfen für die Ärmsten: die Grundsicherung, die das soziokulturelle Existenzminimum gewährleisten soll. Sozialverbände, Gewerkschafter und Linke kritisierten über Jahre Hartz IV, 2022 beschloss die SPD/Grüne/FDP-Mehrheit im Bundestag dann, die Grundsicherung in Bürgergeld umzubenennen und die Bedingungen für Betroffene zu verbessern. Den unionsgeführten Bundesländern ging das zu weit, der Bundesrat lehnte das Vorhaben zunächst ab.

»Die Sozialpolitik der Ampel war konservativ.«

Joachim Rock 
Paritätischer Wohlfahrtsverband

Am 25. November wurde dann eine abgeschwächte Reform beschlossen. Demnach können Bürgergeld-Empfänger beispielsweise leichter eine Weiterbildung machen, Kürzungen bei den Leistungen wurden begrenzt und eine »Karenzzeit« von einem Jahr eingeführt, in der die tatsächlichen Wohnkosten übernommen werden. Was sich inzwischen als wichtig herausgestellt hat: Die Berechnung der Regelsätze wurde geändert. Sie orientieren sich an der Lohnentwicklung und der Inflation. Neu ist, dass sie nicht mehr rückwirkend an die Teuerung angepasst werden, sondern vorausschauend. Im Ergebnis stiegen die Regelsätze 2023 um knapp zwölf Prozent und damit für Alleinstehende um 53 Euro auf 502 Euro pro Monat. In diesem Jahr wurden sie nochmal um zwölf Prozent erhöht, auf 563 Euro. Im kommenden Jahr werden die Leistungen dann gar nicht angehoben.

Angriffe auf die Grundsicherung

Noch heute halten Sozialverbände die Grundsicherung für zu niedrig. Auch die Sanktionen wurden wieder verschärft, kritisiert Joachim Rock vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Gleichzeitig greift die größte Oppositionspartei das Bürgergeld von der anderen Seite an und hat eine Kampagne gegen den Basisschutz gestartet. »Nicht nur die Einwanderer, sondern auch die, die hier sind, können sich relativ schnell ausrechnen, dass es besser ist, Bürgergeld zu beziehen als arbeiten zu gehen. Da lacht die ganze Welt über Deutschland, was wir da machen mit diesem Schwachsinn, der sich Bürgergeld nennt«, polterte CDU-Chef Friedrich Merz im Februar. Diese Woche antwortete CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann in der »FAZ« auf die Frage, was die erste Maßnahme einer CDU-Regierung wäre: »Zu den ersten Maßnahmen wird die Abschaffung des Bürgergelds in der heutigen Form gehören.« Wer arbeiten könne, aber nicht arbeiten gehe, solle künftig gar keine Sozialleistung mehr erhalten.

Auch FDP-Chef Christian Lindner hat schon vor seiner Entlassung als Finanzminister verlangt, das Bürgergeld zu senken. Seine Partei hat überdies in den vergangenen Monaten andere Projekte blockiert, die im Koalitionsvertrag vereinbart worden sind. So wendet sich die FDP-Fraktion gegen das Rentenpaket II, das eine Stabilisierung des Rentenniveaus auf 48 Prozent vorsieht. Lindner selbst stellte sich gegen die geplante Kindergrundsicherung. Inzwischen ist von dem Vorhaben nichts mehr zu hören. Auch das Tariftreuegesetz lehnte er in seinem »Wirtschaftswende«-Papier von Anfang November ab.

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Dass dieses Gesetz bislang nicht umgesetzt wurde, nennt Bosch besonders bedauerlich. Wenn der Bund nur noch an tarifgebundene Unternehmen Aufträge vergäbe, hätte das eine enorme Wirkung auf die gesamte Bezahlstruktur, es würde beispielsweise in der Baubranche deutliche Verbesserungen für Beschäftigte bringen, betont er. Rock bemängelt zudem, dass es nicht gelungen sei, die angekündigte Zahl an neuen und geförderten Wohnungen auch nur annäherend zu erreichen.

Die CDU, die derzeit in Umfragen weit vorne liegt, will nicht nur das Bürgergeld abschaffen. Sie hat im Bundestag auch gegen die Wohngeldreform votiert und sich beim Mindestlohn enthalten. Das Rentenpaket II lehnt der sozialpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Stephan Strecke, ebenfalls ab.

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