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Die Grünen: Von der Fortschritts- zur Verbotspartei
Die Grünen haben an Beliebtheit eingebüßt. Sie werden haftbar gemacht für ein Problem, das auch die anderen Parteien nicht lösen können
Es ist noch nicht lange her, da galten die Grünen als die Zukunft schlechthin – als aufgeklärt, klimafreundlich, technologisch fortschrittlich. Wesentlich für ihre Beliebtheit in der breiten Masse war das Versprechen, den Klimawandel zu stoppen und dadurch gleichzeitig Deutschland industriell voranzubringen. Mit dem Plan, Umweltschutz als Wachstumsprogramm zu betreiben, war die linke Öko-Truppe zur staatstragenden Partei der Mitte und des Standortes aufgerückt. Inzwischen allerdings hat sie an Zustimmung eingebüßt, sie wird kritisiert als Verbotspartei, die der deutschen Industrie die Atemluft nimmt. Ihr grünes Modernisierungsversprechen ist brüchig geworden. Das ist kein Wunder. Denn im laufenden Weltwirtschaftskrieg erweist sich die viel beschworene »Harmonie von Ökologie und Ökonomie« als fundamentaler Widerspruch.
Markenkern der Grünen war stets die Versöhnung von Umweltschutz und kapitalistischem Wachstum – eine Versöhnung, die einen Gegensatz zum Ausgangspunkt hat. Denn betriebswirtschaftlich lohnt sich die Verfeuerung fossiler Energien und die Nutzung der Atmosphäre als billige Schadstoff-Deponie, was unter anderem zum Klimawandel führt. Dagegen setzten die Grünen zwei ökonomische Argumente: Erstens werde der Klimawandel auf Dauer teurer als der Klimaschutz. Zweitens ließe sich durch die frühzeitige Umstellung der Industrie der Klimaschutz zum Wachstumsprogramm machen, indem man grüne Technologie zum deutschen Exportschlager macht.
Das grüne Versprechen...
Stand der Schutz der Umwelt vor dem Profit noch am Anfang des grünen Programms, so wurde daraus der Schutz des Profits durch Umweltschutz nach der Logik: Da die Begrenzung des Klimawandels nötig ist zum Wohle des Wachstums, muss Deutschland seine Unternehmen zur CO2-Einsparung zwingen, damit sie so zu technologischen Vorreitern werden, die die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes stärken. »Nichts anderes ist unser Anspruch«, sagte Grünen-Politikerin Annalena Baerbock. »Europa als ersten klimaneutralen Kontinent in den nächsten Jahren zu gestalten und damit den Wohlstand und auch den Industriestandort Europa zu sichern.« Diesem Programm konnten sich auch die anderen Parteien anschließen. 2019 wurde es als »Green Deal« zur quasi offiziellen Leitlinie der EU. Hebel dieses Programms war die Verteuerung fossiler Energien und klimaschädlicher Produktion, um den Unternehmen Kosten zu verursachen und sie so zur Entwicklung klimafreundlicher Technologien anzureizen.
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Damit aber war der Widerspruch zwischen Profit und Klimaschutz nicht verschwunden: »Bei einzelnen Unternehmen kann es grüne Wirtschaftswunder durchaus geben«, so die Commerzbank. »Aber gesamtwirtschaftlich ist die Sache schwieriger.« Die Kostensteigerungen verschlechtern die Wettbewerbsposition der Unternehmen. Zudem entwertet sich der existierende, auf fossilen Energien basierende Kapitalstock, Anlagen müssen abgebaut und ersetzt werden, was laut dem französischen Ökonom und Ex-Politiker Jean Pisani-Ferry weltweit Billionen Dollar koste. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag mahnte daher: »Eine Wachstumsstrategie für Europa ergibt sich nicht zwangsläufig.«
Zudem hing das grüne Erfolgsprogramm stets davon ab, dass es den heimischen Unternehmen gelingt, in Sachen Greentech weltweit führend zu werden, um so das globale Geschäft mit Klimatechnologie zu machen. »Um die Ziele des Grünen Deals zu verwirklichen, muss die EU eine Führungsrolle bei sauberen Technologien übernehmen«, so die EU-Kommission.
... und seine Hindernisse
Das grüne Versprechen war also von Anfang an eine Wette auf deutsche Industriestärke. Um diese Wette steht es inzwischen aber schlecht. Seit 2019 herrscht eine globale Industriekrise, die Absätze stocken, das Wirtschaftswachstum ist schwach. Im Zuge des Ukrainekrieges kam es zu starken Preissteigerungen, die auch die privaten Haushalte traf. In diesem Umfeld wiegen die Zusatzkosten durch CO2-Abgaben und Umweltauflagen schwer: Klimafreundliche Produktionsprozesse blieben »auf absehbare Zeit deutlich teurer als ihre fossilen Alternativen«, erklärt der deutsche Industrieverband BDI. Zudem machen die ausländischen Konkurrenten den Deutschen zunehmend die Zukunftsmärkte streitig: China dominiert nicht nur den Markt für Elektroautos, sondern auch die Märkte für Solarenergie oder Windkraft. Im Batteriegeschäft liegt Asien weit vorn.
Die USA haben ihrerseits Förderprogramme in Höhe von Hunderten von Milliarden Dollar zur Stärkung ihrer heimischen Industrie aufgelegt, in deren Führerschaft Washington den »Motor der amerikanischen Macht und Säule unserer nationalen Sicherheit« sieht. Zu ihrem Schutz vor dem Ausland hat der kommende Präsident Donald Trump weitere Zölle angekündigt. Auch aus dem Pariser Klimaschutzabkommen will er aussteigen und die US-Öl- und Gasindustrie fördern. Klimaschutz, so der britische »Economist«, werde zunehmend durch Patriotismus ersetzt.
»Die roten und grünen Herrschaften wollen uns die Heimat kaputtmachen.«
Alice Weidel AfD-Fraktionsvorsitzende
Nicht nur in den USA, auch in Deutschland: Dort übernehmen Politiker*innen der Rechten den Job, den Menschen die Nöte der Industrie zu übersetzen in die Nöte der Bevölkerung, die ihnen eine links-grüne Elite beschert. »Wir schmieren ja auch im internationalen Vergleich ab, wir sind nicht mehr wettbewerbsfähig, unter anderem auch aufgrund der horrenden Energiepreise«, so Alice Weidel von der AfD. Sie beklagt »reinste Verbotspolitik auf allen Politikfeldern. Fangen wir an mit dem Verbrennermotorverbot, mit dem Verbot von Kernkraft, dann mit dem Verbot von Heizungen, dass sich die Menschen nicht mehr frei aussuchen können, welche Heizung sie sich reinschrauben.« Gegen den grünen Standortpatriotismus setzen die Rechten den reinen Patriotismus: Die »roten und grünen Herrschaften wollen uns die Heimat kaputt machen«, so Weidel.
Dieser Haltung nähern sich andere an. 20 Prozent der deutschen Industrie sind akut gefährdet, warnt der BDI. »Wir sind auf der Verliererstraße unterwegs.« Zur Sicherung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit fordert die Industrie billigere Energie und eine »umfassende Überprüfung der EU-Umweltgesetzgebung«. Unter dem Green Deal sei »die EU ins Klimaschutz-Mittelalter zurückgeschossen worden«, wetterte FDP-Politikerin Agnes Strack-Zimmermann im Europawahlkampf. CSU-Chef Markus Söder verlangt von der EU-Kommission, das Aus für Verbrennerautos ab 2035 zurückzunehmen, ebenso Manfred Weber von der konservativen europäischen EVP: Der Green Deal dürfe nicht zum »China-Deal« werden.
Zwar schreitet der Klimawandel zügig voran. Doch die politische Stimmung hat sich gedreht – und darunter leidet das Image der Grünen. Laut einer Umfrage bemängeln Wähler*innen ihre »unrealistischen Ziele und mangelnde Wirtschaftskompetenz« – letzteres zielt direkt gegen den grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck. Auch intern gibt es Forderung nach einem Kurswechsel. Das ganze Thema Klimaschutz habe »bei den Bürgern an Bedeutung verloren«, schreibt eine Gruppe von Grünen-Politiker*innen in der »FAZ«. Die Grünen brauchten eine »realpolitische Erneuerung«.
Der Widerspruch
In der sich verschärfenden globalen Konkurrenz tritt laut »Economist« nun der »fundamentale Widerspruch grüner Investitionen offen zu Tage«, nämlich dass die Rettung der Welt zuweilen schlecht in die betriebswirtschaftliche Rechnung passt. Daraus ergibt sich für die Politik der Widerspruch des Programms einer klimafreundlichen Eroberung des Weltmarktes: Einerseits will man die heimische Industrie stärken, indem man Umweltauflagen zurücknimmt. In diesem Sinne forderte Ex-Finanzminister Christian Lindner in seinem umstrittenen Papier zur »Wirtschaftswende« unter anderem die Abschwächung der deutschen Klimaziele sowie die Abschaffung des Klima- und Transformationsfonds (KTF) und perspektivisch auch der Subventionierung Erneuerbarer Energie.
Zwar soll die Industrie von Klimakosten entlastet werden. Andererseits aber sollen diese Kosten anfallen, damit die Unternehmen in umweltfreundlichere Technologien investieren und so dem Standort die grüne Weltmarktführerschaft sichern. Eine zu langsame Transformation in Richtung Klimaschutz sei das ungleich größere Risiko für Wirtschaftswachstum, Wettbewerbsfähigkeit und die Standortattraktivität, mahnt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. »Für Deutschland könnte das bedeuten, dass Unternehmen abwandern und neue Technologien und Arbeitsplätze anderswo entstehen.« Um das zu verhindern, fordert man staatliche Investitionen und appelliert an die Leistungsbereitschaft der Bevölkerung: »Wird Europa nicht produktiver«, so der jüngste Report zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit Europas, »werden wir nicht in der Lage sein, führend in neuen Technologien und ein unabhängiger Spieler auf der Weltbühne zu werden.« Die Grünen haben noch Zukunft.
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