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AfD – Einstufung durch den Verfassungsschutz vor der Wahl?
Juristen sehen Verfassungsschutz in der Pflicht, Informationen zu veröffentlichen
Mitte Oktober hatte Thomas Haldenwang in einer Ausschusssitzung des Bundestags erklärt, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz noch in diesem Jahr veröffentlichen werde, wie es die AfD aktuell einstuft. Haldenwang, damals noch Chef des Inlandsgeheimdienstes, machte auch deutlich, dass er nicht mit einer Herabstufung – bisher gilt die AfD als »rechtsextremer Verdachtsfall« – rechne und dass die Behörde Entwicklungen rund um die drei Wahlen in Ostdeutschland in ihre Bewertung einbeziehen werde.
Nun ist seit diesen Aussagen viel passiert. Die Bundesregierung ist zerbrochen, Neuwahlen im Februar sind terminiert und Haldenwang ist in den Ruhestand versetzt worden. Der Wuppertaler will für die CDU zur Bundestagswahl antreten. Das ist unvereinbar mit dem Posten als Geheimdienstchef. Auch die Veröffentlichung der Neubewertung der AfD steht auf der Kippe. Eine neue Einstufung so kurz vor der Wahl sei schwierig – kurz vor den Wahlen müsse man politisch zurückhaltend agieren, heißt es aus Sicherheitskreisen.
Eine, die diese Auffassung vertritt, ist Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU), die zuvor Vizepräsidentin des Bundesamtes für Verfassungsschutz war. »Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung müssen Staatsorgane unmittelbar vor Wahlen alles unterlassen, was in irgendeiner Art und Weise geeignet ist, Einfluss auf die politische Wahlentscheidung der Bürgerinnen und Bürger zu nehmen«, erklärte Badenberg gegenüber der »Tagesschau«. Dies folge aus dem Gebot der Zurückhaltung und »der Verpflichtung des Staates zur Neutralität«, so die Berliner Senatorin. Das Urteil, auf das sich Badenberg bezieht, stammt aus dem Jahr 1977. Im Bundestagswahlkampf 1976 hatte die sozial-liberale Bundesregierung mit einer massiven Anzeigenkampagne Werbung für sich selbst gemacht. Die CDU hatte geklagt, das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass so nicht vorgegangen werden darf.
Die Frage, ob der Verfassungsschutz seine Neubewertung veröffentlichen darf, ist allerdings eine andere. Schließlich geht es hier nicht um eine Werbemaßnahme der Regierung, sondern um die normale Aufgabe einer Behörde. Der Inlandsgeheimdienst selbst erklärt auf Anfrage, dass seine »Maßnahmen und Bewertung« sich »nach den Maßgaben des Bundesverfassungsschutzgesetzes« richten. Dies gelte auch für den Zeitpunkt. Wann eine Neubewertung veröffentlicht wird, beantwortet der Verfassungsschutz nicht. Das Bundesinnenministerium gibt dazu auch keine Stellungnahme ab.
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Von Politiker*innen und Jurist*innen werden nun Forderungen laut, dass der Verfassungsschutz seine Bewertung veröffentlichen müsse. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Till Steffen, der zu den Initiatoren eines AfD-Verbotsantrags durch den Bundestag gehört, erklärte im Jura-Podcast »Recht interessant«, dass der Verfassungsschutz seine Bewertung veröffentlichen müsse. »Das ist eine absolut gebundene Entscheidung. Das ist keine Ermessensentscheidung!«, so der Jurist und Bundestagsabgeordnete. Im Klartext: Wenn der Verfassungsschutz neue Erkenntnisse hat, muss er sie veröffentlichen, daran ist er rechtlich gebunden. Die Veröffentlichung wegen einer staatlichen Neutralitätspflicht zurückzustellen, sei absurd. Der Verfassungsschutz habe die Pflicht, »seine Aufgaben nach Recht und Gesetz zu erfüllen, ohne Rücksicht auf wahltaktische Überlegungen«, so Steffen.
Auch eine Aussage des gerade ausgeschiedenen Verfassungsschutzpräsidenten Thomas Haldenwang kann als Plädoyer für eine zügige Veröffentlichung interpretiert werden. In einem Interview mit der »Taz« erklärte er: »Es ist der Auftrag des Verfassungsschutzes, verfassungsfeindliche Bestrebungen zu beobachten und die Öffentlichkeit darüber zu unterrichten. In dem Moment, in dem der Verfassungsschutz solche Bestrebungen feststellt, gibt es gar kein Ermessen mehr – da muss das Amt tätig werden.«
Die Deutsche Presse-Agentur hat den Berliner Staatsrechtler Ulrich Battis nach seiner Einschätzung befragt. Die fällt eindeutig aus: »Das Bundesamt für Verfassungsschutz muss seine Einschätzung der AfD zeitnah öffentlich machen.« Auf Nachfrage ergänzte Battis, damit sei auch ein Termin vor der Neuwahl gemeint. In der »FAZ« erklärt der Staatsrechtler Florian Meinel, dass er die Bekanntmachung der Einstufung für eine »schlichte Mitteilung über behördliches Handeln« halte. Das entspreche dem Auftrag des Verfassungsschutzes. Unter dem Maßstab der »Neutralitätspflicht« könne man außerdem sowohl für als auch gegen eine Veröffentlichung der Einstufung argumentieren, so der Staatsrechtler.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat derweil bekannt gegeben, dass sie noch in diesem Jahr über die Nachfolge von Thomas Haldenwang entscheiden wolle. Die Sozialdemokratin kündigte an, sich dabei auch vertraulich mit der CDU abzustimmen. Parteitaktische Erwägungen hätte sie bei Personalentscheidungen auch in der Vergangenheit außen vor gelassen, so die Bundesinnenministerin. Gut möglich also, dass der oder die neue Präsidentin des Verfassungsschutzes als Erstes die Frage, wie mit der Einstufung der AfD umzugehen ist, auf dem Tisch hat.
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